
WirtschaftsWoche: Herr Schier, kaufen wir heute anders ein als vor 40 Jahren?
Ingo Schier: Ja, auf jeden Fall. Sowohl der Handel als auch die Art des Einkaufens hat sich revolutioniert. Schauen sie sich die Handelslandschaft an: Als vor 60 Jahren der erste Selbstbedienungsladen als Vorform der Supermärkte in Köln eröffnete und damit das Ende der Tante-Emma-Läden einläutete, hatte es der Verbraucher sprichwörtlich plötzlich selbst in der Hand, was er kauft. Der Online-Handel hat das Einkaufen dann ein weiteres Mal umgekrempelt. Und jetzt, da der Online-Handel zur neuen Normalität geworden ist, steht dem Einkaufen aus meiner Sicht ein weiterer Umbruch bevor.
Wohin geht die Reise?
Online- und Offline-Handel sind heute keine Gegensätze mehr, sondern bedingen sich zunehmend. Die beiden Ebenen verbinden sich und agieren beinahe wie Zahnräder. Das sieht man schon daran, dass die Verbraucher sich vor dem Einkauf viel besser informieren können und dies auch tun. Statt Einkaufszettel und Einkaufswagen wird somit das Smartphone zum zentralen Werkzeug des neuen Einkaufs-Zeitalters.
Zur Person
Ingo Schier ist Vorsitzender der Geschäftsführung von Nielsen Deutschland. Im Jahr 1993 begann er seine Karriere im Consumer Marketing von Kraft, war für Reemtsma und den Henkel-Konzern tätig und gründete eine Beratungsgesellschaft, bevor er zu Nielsen wechselte.
Spiegelt sich das in Ihren Daten wieder?
Wie rasant sich das Einkaufen verändert, zeigen auch ganz deutlich unsere Zahlen. Die Deutschen gingen 2016 seltener im stationären Lebensmittelhandel einkaufen als im vergangenen Jahr. Aber: Sie gaben pro Einkauf mehr aus. Umgerechnet geht jeder Haushalt 226 Mal im Jahr einkaufen und zahlt pro Einkauf im Durchschnitt 18 Euro.
Wie kommt's?
Der Stellenwert des Lebensmitteleinkaufs hat sich maßgeblich geändert. Das Einkaufen wird nicht mehr einfach als alltägliche Pflicht gesehen – Verbraucher suchen immer stärker das Einkaufserlebnis. Heutzutage muss Einkaufen Spaß machen. Das bedeutet auf der anderen Seite, dass sich die Geschäfte wandeln müssen. Der klassische Supermarkt wird zunehmend zum Erlebnismarkt.
Die größten Lebensmittelhändler
(Edeka, Netto)
Gesamtumsatz 2016: 54.750 Mio. Euro (Brutto)
(Rewe-Marken, Nahkauf, Penny, Temma, Standa, toom, Perfetto)
Gesamtumsatz 2016: 41.126 Mio. Euro (Brutto)
(Lidl, Kaufland)
Gesamtumsatz 2016: 37.400 Mio. Euro (Brutto)
(Aldi Nord, Aldi Süd)
Gesamtumsatz 2016: 28.276 Mio. Euro (Brutto)
(Real)
Gesamtumsatz 2016: 13.983 Mio. Euro (Brutto)
(Tankstellen-Shops, Kioske)
Gesamtumsatz 2016: 9152 Mio. Euro (Brutto)
Gesamtumsatz 2016: 7496 Mio. Euro (Brutto)
Gesamtumsatz 2016: 6100 Mio. Euro (Brutto)
Gesamtumsatz 2016: 4908 Mio. Euro (Brutto)
(familia, markant)
Gesamtumsatz 2016: 4083 Mio. Euro (Brutto)
Viele Läden verbreiten eher das Flair von Einkaufsbunkern. Woran machen Sie denn fest, dass es im Handel stärker um den Erlebnisfaktor geht?
Der Trend vom Pflicht-Einkauf zum Shoppingerlebnis macht sich an verschiedenen Stellen bemerkbar. Die deutschen Verbraucher sind Schnäppchenjäger. Das ist aber interessanterweise nicht nur darauf zurückzuführen, dass sie so sparen können, sondern zeigt vielmehr, dass das Sammeln von Treuepunkten & Co. Teil des Einkaufserlebnisses geworden ist. Die Liebe der Deutschen für den stationären Handel ist nach wie vor groß. Fast die Hälfte der Deutschen empfindet den Gang in den Supermarkt als angenehme oder sogar als sehr angenehme Tätigkeit.





Gilt das auch für Discounter?
In den letzten 40 Jahren ist die Anzahl der Discounter stetig gestiegen. Während es 1979 in der BRD noch knapp 1.800 waren, sind es heute rund 16.000. Ihr Angebot wird immer vielfältiger und die Discounter bemühen sich, den Einkaufswagen ihrer Verbraucher zu vergrößern und bieten daher eben auch vermehrt Markenprodukte an. Ein weiterer Grund für den Aufschwung ist sicherlich, dass viele Discounter zunehmend Luxusprodukte wie Champagner oder Hirschkeule zu Weihnachten anbieten. Fakt ist: Discounter übernehmen heute 40 Prozent der Bedarfsdeckung.