Lieferengpässe Wie Ikeas Paketlieferungen an einer 70-Cent-Spülbürste scheitern

Ikea-Lieferungen platzen wegen Kleinstartikeln. Quelle: dpa Picture-Alliance

Ikea gibt sich gerne familiär, als freundliches Möbelhaus aus Schweden, in dem sich alles um die Kunden dreht. Im Onlineshop aber verärgert das Unternehmen deutsche Kunden mit einer eigenwilligen Praxis: Ganze Paketlieferungen werden storniert, wenn ein kleiner Artikel fehlt. Wie eine Ikea-Lieferung über 200 Euro etwa an einer Spülbürste für 70 Cent scheiterte, zeigt dieser Selbstversuch.  

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Meine persönliche Trefferquote ist erstaunlich schlecht: Drei Mal habe ich in den letzten Wochen bei Ikea online eine größere Lieferung geordert. Drei Mal bezahlte ich das Geld per Vorkasse mit Paypal. Drei Mal schrieb mir Ikea umgehend eine Mail: „Wir bestätigen dir den Eingang deiner Bestellung und zugleich den Vertragsabschluss.“

Vorkasse! Vertragsabschluss! Worte wie diese klingen in den Ohren von Rechtsanwalt Arndt Nagel aus München eindeutig: „Aus einem bereits geschlossenen Vertrag kommt ein Händler eigentlich nicht mehr raus“, sagt der Fachanwalt für Informationstechnologierecht. Doch dem Dickschiff Ikea scheint das egal zu sein: Zwei Mal storniert der Einzelhandelsriese meine Lieferung, weil ein Cent-Artikel fehlt. Mit meinem Ärger darüber bin ich nicht alleine – wie Einträge in Internetforen zeigen. Doch der Reihe nach.

Längst ist Ikea in Deutschland auch online ein Dickschiff: Im Geschäftsjahr 2022 setzte das Möbelunternehmen hier auf diesem Weg stolze 1,3 Milliarden Euro um. Das waren rund 25 Prozent des insgesamt hierzulande erzielten Umsatzes. Allein: Es könnte wohl deutlich mehr sein. Denn immer wieder scheitert der Einzelhandelsriese derzeit an Paketlieferungen – weil ein einziger, oft marginaler Artikel fehlt. Bei meiner Bestellung über rund 187 Euro vom 21. Oktober ist der Abfalleimer Hörlass für 3,99 Euro nicht mehr lieferbar – obwohl er bei der Bestellung online noch als lieferbar angezeigt worden ist. Die restlichen Waren sind laut Onlineseite von Ikea allerdings weiterhin vorrätig. Doch Ikea will nicht liefern, storniert stattdessen alle Artikel und erstattet das bereits bezahlte Geld.

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Ich versuche es also erneut: Geduldig klicke ich in meinem Onlinekonto Stück für Stück alle Artikel aus der ersten, nun stornierten Bestellung an – und lege sie erneut in den Warenkorb. Da ich in vorweihnachtlicher Shoppinglaune bin, lege ich sogar noch ein paar Artikel mehr dazu. Meine Order summiert sich dieses Mal inklusive des Portos auf 232 Euro. Doch zehn Tage später kommt erneut eine schlechte Nachricht aus dem Ikea Customer Support Center in Rostock: „Guten Tag, Frau Reimann, der von Ihnen gewünschte Artikel ANTAGEN ist leider aktuell nicht lieferbar. Bei Paketbestellungen ist es nicht möglich einzelne Artikel zu entfernen. Daher haben wir Ihre Postbestellung mit Ordernummer 1317294373 storniert.“

Ikea storniert Großlieferung, weil die kleine Spülbürste

Ikea weigert sich, mir lieferbare Artikel zu senden

Antagen – das ist eine Spülbürste für 70 Cent. Ja, genau: 70 Cent! Es gibt sie in verschiedenen Farben. Und sie ist eigentlich ein Alltagsartikel. Und ja: Schon ein paar Tage später zeigt auch die Onlineseite von Ikea wieder an, dass Antagen lieferbar sei. Doch Ikea will mir auch die am Tag des stornierten Pakets lieferbaren Artikel nicht mehr senden. Und das, obwohl die Schweden meine 231,94 Euro bereits einkassiert haben. Die Ware ist bezahlt – doch Ikea weigert sich wegen einer nicht lieferbaren Spülbürste, mir auch die bestellten Bettdecken, Kissen und die Bettwäsche zu senden. Hej, Ikea, geht‘s noch? 

Nein, sagt Anwalt Nagel. Was Ikea da mache, sei unzulässig. Gerade bei einer Methode der sofortigen Zahlung gehe „der Händler ganz bewusst das Risiko ein, dass er sich vertraglich gebunden“ habe. Das müsse selbst Ikea so sehen: Schließlich bestätige Ikea den Kunden schriftlich „den Vertragsabschluss“.

Rechtsanwalt Hagen Hild legt nach: „Der Verkäufer darf vom Käufer erst dann eine Zahlung verlangen, wenn der Vertrag bereits zustande gekommen ist. Es ist dagegen nicht zulässig, den Kunden erst bezahlen zu lassen und sich dann als Verkäufer zu überlegen, ob man den Vertrag annehmen will“, sagt der Fachanwalt für IT-Recht von der Kanzlei Hild & Kollegen.

Wie also kann es sein, dass ein Dickschiff wie Ikea kein funktionierendes Warenwirtschaftssystem hat? Wie kann es sein, dass sich Ikea so fragwürdig verhält – und das Vertrauen der Kunden missbraucht? 

Ikea bestätigt: Die Stornierung einer Paketlieferung werde von Ikea vorgenommen und beruhe „auf Einzelfallentscheidungen“. Aufgrund „der global angespannten Warenverfügbarkeitssituation haben wir entschieden, vorübergehend einige Aufträge mit technischer Unterstützung automatisiert zu bearbeiten. In Einzelfällen kann es unter dieser Voraussetzung dazu kommen, dass ein kompletter Auftrag storniert wird und nicht individuell nach einer Lösung gesucht werden kann.“ Die Anzahl der Stornierungen sei „in Anbetracht der Gesamtzahl an Onlinebestellungen nur sehr gering“.

74 Prozent der Kunden stellen Ikea ein „Ungenügend" aus

Sehr gering? Wirklich? Im Internet tummeln sich zahlreiche enttäuschte Kunden. Beim Bewertungsportal Trustpilot etwa haben 74 Prozent der Kunden Ikea ein Ungenügend ausgestellt. Ingo zum Beispiel berichtet in seiner Bewertung von einer „katastrophalen Abwicklung“: „Lieferungen werden versprochen, dann storniert, Bankverbindungen, auf die eine Erstattung erfolgen soll, „verschwinden“, hilflose Mitarbeiter an der Kundenhotline zucken mit den Schultern und trösten: „Ich kann verstehen, dass du sauer bist, aber ich kann es nicht ändern“.

Maria berichtet von einer „schrecklichen Firma“: „Bestellung vor über einem Monat gemacht und 1 Tag vor Lieferung schreiben sie eine Mail, dass alkes storniert wurde. Verdammte Sauerei, nie wieder Ikea 😡“. Und auch Max ist stinksauer: „Online Bestellung einfach so ohne Mein Wissen storniert, weil Ikea das Produkt eventuell nicht im Lager war. Kundenservice ist extrem schlecht und der Grund der Stornierung unbekannt.“ In anderen Foren lassen sich ähnliche Meinungen nachlesen. 

Die Liste solcher Einträge ließe sich also fortsetzen. Anwalt Nagel kann den Frust verstehen: Der Käufer, sagt er, habe „Anspruch auf die Lieferung“. Und der Händler müsse „alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um seiner Lieferpflicht nachzukommen“. „Der Verkäufer muss liefern, wie vereinbart. Er ist vertraglich gebunden und muss sich überlegen, wie er etwa das Problem mit der Spülbürste löst. Zur Not muss er sie auf seine Kosten nachliefern“, sagt Anwalt Hild. Im Ernstfall, meint Nagel, müsse sich Ikea eben bei der Konkurrenz eindecken. Will Ikea wirklich behaupten, dass in ganz Deutschland keine Spülbürste für 70 Cent mehr vorrätig war? Und meint Ikea ernsthaft, dass in keinem seiner deutschen Warenhäuser noch der Mülleimer aufzutreiben war?

Vertragsbruch als Geschäftsphilosophie

Für Ikea könnte es sogar noch schlimmer kommen: Denn das Verhalten, meint Anwalt Arndt Nagel, sei auch wettbewerbsrechtlich relevant. Täusche ein Händler seine Kunden über einen Warenvorrat, den er gar nicht habe, so könne das unter Umständen eine wettbewerbswidrige Irreführung sein. Davon geht auch Rechtsanwalt Hild aus – „spätestens, wenn der Verbraucher aufgefordert wird, zu leisten“. Zumal Ikea ja nicht einmal die Ware verschicke, die vorrätig und bezahlt sei – „das ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten“, meint Nagel. Und auch vor Schadensersatzansprüchen sei Ikea nicht sicher: Bekommt der Kunde seine Ware nicht, so kann er Ikea eine Frist setzen, binnen der Ikea die Ware verschicken muss. Grundsätzlich sei eine Woche ausreichend, meint Nagel. Komme Ikea seiner Lieferpflicht dann noch immer nicht nach, könne der Kunde sich die Ware woanders besorgen – sollte das nur teurer möglich sein, müsse Ikea die Mehrkosten tragen.

Der Möbelriese wehrt sich: „Die Darstellung, dass wir in unserem Onlineshop Produkte anzeigen, die wir nicht haben, entspricht nicht den Tatsachen“, erklärt Ikea. Im Gegenteil habe man „alle im Onlineshop angezeigten Produkte in Produktion sowie im Vertrieb“. Doch aufgrund von Störungen in der Lieferkette seien „einzelne Produkte … vorübergehend an bestimmten Standorten nicht verfügbar beziehungsweise lieferbar. Hierbei handelt es sich aktuell in der Regel um Verzögerungen weniger Tage“, sagt Ikea.

Wieso Ikea jedoch nicht das tut, was eigentlich alle anderen Onlinehändler tun: wenigstens die verfügbaren Artikel versenden? Man verschicke „grundsätzlich keine Teillieferungen einer Paketbestellung“, sagt Ikea – und macht es damit, eigentlich nur noch schlimmer. Denn das ist aus meiner Sicht Vertragsbruch als Geschäftsphilosophie.

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Für mich ist die Sache damit allerdings auch ausgestanden: Ich habe – todesmutig – noch ein drittes Mal bei Ikea bestellt. Dieses Mal aber nur für 150,79 Euro und keinen Klimbim, also nur die nötigsten Artikel. Es ist ein Weihnachtswunder geschehen: Das Paket ist mittlerweile angekommen. Pünktlich vor dem Fest…

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