Er sei „neu im Sortiment“: So wurde der Österreicher Walter Kadnar bei seiner ersten Veranstaltung von Ikea Deutschland vorgestellt: der Präsentation der Zahlen für das vergangene Geschäftsjahr 2021/2022 (01.09.2021 bis 31.08.2022). Seit Oktober führt Kadnar die wichtigste Landeseinheit der Dachgesellschaft Ingka Holding. Kadnar dürfte seinem Vorgänger Dennis Balslev, der Ikea Deutschland fast fünf Jahre führte, äußerst dankbar für dessen Vorarbeit sein; denn nur vier Wochen nach seinem Amtsantritt konnte der Neue erfreuliche Zahlen verkünden: Ikea Deutschland steigerte seinen Umsatz im vergangenen Geschäftsjahr um 7,1 Prozent auf rund 5,7 Milliarden Euro. Damit hat sich das schwedische Einrichtungshaus als Marktführer im deutschen Möbelhandel behauptet – auch wenn der ärgste Kontrahent XXXLutz erst vor wenigen Wochen durch die angekündigten Übernahmen von Möbel Braun sowie Home24 näher heranrücken dürfte.
Dass Ikea weiterhin so deutlich wächst, ist etwas überraschend. Schließlich weist der Konsumklimaindex der GfK seit Monaten deutlich ins Minus. Deutschlands Verbraucher müssen sparen: Die Inflation ist mit über zehn Prozent so hoch wie seit den 1950er Jahren nicht mehr, zudem haben viele Angst vor der nächsten Strom- und Gasrechnung. Der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof beantragte vergangene Woche erneut Schutzschirm-Insolvenz. Doch bei Ikea? „Die Bude ist voll“, sagte Kadnar ruhig.
Der Möbelhändler betreibt deutschlandweit 54 Einrichtungshäuser. Diese suchten im vergangenen Geschäftsjahr 73,7 Millionen Besucher auf – ein Anstieg um 38,5 Prozent. Dieser Zuwachs erklärt sich mit Corona: Im vorangegangenen Geschäftsjahr 2020/2021 musste Ikea, wie andere Händler auch, die Läden zeitweise zwangsschließen. „Das Treffen mit Menschen hat immer Relevanz bei Ikea“, sagt Kadnar. Und die Häuser, oftmals auf der grünen Wiese vor den Toren der Städte, hätten darüber hinaus „auch Relevanz als Ausflugsziel. Und wenn ich dabei etwas verkaufen kann, freue ich mich natürlich auch.“ Hauptumsatztreiber seien vor allem Küchen und Betten gewesen, sagt Kadnar. Aber auch Möbel und Einrichtungsgegenstände, die der häuslichen Organisation zugute kämen – in einer Zeit, in der das eigene Zuhause dauerhaft auf Lebens- und Arbeitsraum umgestellt werde.
Im kommenden Frühjahr kommen zwei weitere, wenn auch deutlich kleinere Läden hinzu: In Berlin, erklärte Kadnar, werde Ikea zwei neue Planungsstudios eröffnen. In Berlin-Steglitz baut Ikea ein 600 Quadratmeter großes Planungsstudio, und ein rund 365 Quadratmeter großes Studio wird im Einkaufszentrum Forum Köpenick eröffnen. In Berlin betreibt Ikea bereits drei solcher Planungsstudios, alle innerstädtisch gelegen, sowie vier klassische Einrichtungshäuser etwas außerhalb der Stadt. In den für Ikea-Verhältnisse recht kleinen Planungsstudios können Kunden vor allem Küchen, aber auch Wohn- und Schlafzimmer mit Experten planen. „Heute konzentrieren wir uns mehr auf Metropolen mit neuen Formaten, um Kunden dort zu erreichen, wo sie wohnen“, begründete Kadnar.
Ob darüber hinaus weitere Eröffnungen geplant seien, wollte Kadnar nicht direkt beantworten. Vielmehr machte er eine Andeutung in Richtung München: Dort betreibt Ikea zwei klassische Einrichtungshäuser, fernab der Innenstadt, darunter mit jenem in München-Eching im Norden auch die allererste Ikea-Filiale in Deutschland (eröffnete 1974). Jenes sei auch sein „Ausbildungshaus“, sagte Kadnar. Er habe in München „eine Idee“, formulierte er vage. Später erklärte er, dass er noch dabei sei, seinen neuen Zuständigkeitsbereich kennenzulernen und im Zuge dessen vor kurzem Hamburg besucht habe. Hamburg ist aus Ikea-Sicht mit München vergleichbar: Auch dort betreibt Ikea zwei klassische Einrichtungshäuser, nördlich und südlich der Innenstadt. Mit einem Unterschied: 2014 eröffnete Ikea im Stadtteil Altona seine deutschlandweit erste, kompakte Innenstadt-Filiale. „Die Städter wollen mehr Ikea“, befand Kadnar. Und die beiden Münchener Standorte „helfen uns nicht, in die Stadt zu kommen.“ Nicht auszuschließen, dass er bei seiner Münchener Idee an Altona denkt.
Dabei muss auch Ikea Deutschland an einer Stelle ein deftiges Minus hinnehmen: Der Online-Anteil schrumpfte um 25,5 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Damit erwirtschaftet Ikea in Deutschland noch etwas mehr als doppelt so viel, wie der reine Online-Möbelhändler Home24 insgesamt (615 Millionen Euro Umsatz). Dieser Rückgang mag Kadnar zwar schmerzen, denn der Online-Kunde gibt bei Ikea im Durchschnitt mit knapp 243 Euro mehr als doppelt so viel aus wie der Durchschnittskunde, der stationär einkauft (rund 104 Euro); doch dank der unbeschränkten Öffnung aller Einrichtungshäuser wuchs auch das Essensangebot von Ikea wieder: Ikea Food steigerte den Umsatz um 77 Prozent auf 204 Millionen Euro.
Mit einem Online-Anteil von rund 25 Prozent liege Ikea-Deutschland ziemlich genau im Durchschnitt aller Ikea-Landesgesellschaften, sagte Kadnar. Aber der Anteil werde weiter wachsen, „schon allein aus der Tatsache des Generationswechsels. Das setzt sich einfach durch. Auch ich werde in meiner Pension anders sein und anders einkaufen als meine Eltern oder Großeltern.“ Deutschland sei da aber noch nicht so weit wie andere europäische Länder.
Kadnar hat einige kennengelernt: Er war Geschäftsführer von Ikea-Polen in Warschau, anschließend viereinhalb Jahre in Moskau, bevor er 2017 nach Paris wechselte als Chef von Ikea Frankreich. Der erneute Wechsel nach Hofheim am Taunus, zwischen Wiesbaden und Frankfurt, wo die Verwaltung von Ikea Deutschland ihren Sitz hat, sei diesbezüglich eine Umstellung für ihn gewesen: „Ich zahle hier jetzt wieder oft Cash“, sagt Kadnar, „das bin ich gar nicht mehr gewohnt gewesen.“
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