
Als Karl-Heinrich Groth, seines Zeichens Diplom-Volkswirt und Geschäftsführer im Ruhestand, jüngst die Online-Dependance des Warenhausgroßbetriebs Karstadt aufsuchte, war er doch ein wenig überrascht. Eigentlich wollte sich Herr Groth nur über die Modalitäten einer Karstadt-Visa-Karte informieren, stolperte im Online-Formular aber über eine Titel- und Anredevarianz, die es mühelos mit jedem genealogischen Adels-Handbuch aufnehmen konnte.
Statt eines schnöden „Professor“ oder „Doktor“ habe er zwischen insgesamt 141 Titelformen wählen können, berichtet Groth. Darunter nieder- und hochadelige Exotika à la „Erzherzog“, „Baronesse“, „Lord“ und „Kurfürst“; er habe zwischen „Land- und Markgraf“ entscheiden müssen, so Groth, die „Pflazgräfin“ (!) freilich aus orthographischem Dünkel verworfen.
Karstadts Krisen-Chronik
Mit seinem früheren Mutterkonzern Arcandor war Karstadt 2009 in die Insolvenz gerutscht. Im Juni 2010 stieg Investor Nicolas Berggruen ein. Von seinem Einspringen wurde die Wende erhofft. Die Chronik der Krise.
Für die wichtigsten Arcandor-Gesellschaften - darunter die Karstadt Warenhaus GmbH - wird am 1. September 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Am 1. Dezember wird bekannt, dass zehn Karstadt-Standorte mit teils mehreren Häusern nach Angaben der Insolvenzverwaltung geschlossen werden sollen. Etwa 1200 Mitarbeiter sind betroffen.
Beim Essener Amtsgericht wird am 15. März ein Insolvenzplan vorgelegt. Am 12. April stimmen die Gläubiger dem Plan zu. Am 1. Juni haben von bundesweit 94 Kommunen bis auf drei bereits alle einem Verzicht auf die Gewerbesteuer zugestimmt. Die im Insolvenzplan geforderte Zustimmungsquote von 98 Prozent gilt damit als sicher. Nur sechs Tage später erhält die Berggruen Holding vom Gläubigerausschuss den Zuschlag zur Übernahme. Einen Tag später unterschreibt Berggruen den Kaufvertrag unter Vorbehalt. Berggruen fordert vom Karstadt-Standortvermieter Highstreet deutliche Mietsenkungen. Am 14. Juni endet eine erste Verhandlungsrunde zu den künftigen Mieten ohne Ergebnis. Am 20. Juni lehnt Berggruen ein Angebot von Highstreet über Mietsenkungen von mehr als 400 Millionen Euro ab.
Am 26. August hat sich Berggruen mit der Essener Valovis-Bank geeinigt: Die Bank hatte Highstreet ein Darlehen über 850 Millionen Euro gewährt und dafür im Gegenzug 53 Waren-, Sport- und Parkhäuser als Sicherheit erhalten. Man habe sich unter anderem darauf verständigt, dass Berggruen dieses Darlehen bis 2014 ablösen könne, heißt es. Am 2. September stimmen die Highstreet-Gläubiger den geforderten Mietsenkungen zu.
Am 30. September hebt das Essener Amtsgericht das Insolvenzverfahren auf. Damit erhält Berggruen zum 1. Oktober die Schlüsselgewalt für die Karstadt Warenhaus GmbH. 40.000 Gläubiger verzichten auf zwei Milliarden Euro. Die Belegschaft verzichtet auf 150 Millionen Euro.
23. November: Der frühere Woolworth-Manager Andrew Jennings wird zum neuen Karstadt-Chef bestellt. Er beginnt Anfang Januar 2011.
Jennings legt am 6. Juli das Konzept „Karstadt 2015“ vor: Modernisierung der Warenhäuser, stärkeres Online-Geschäft und Expansion der Sporthäuser sind der Kern.
Am 16. Juli kündigt Karstadt die Streichung von 2000 Stellen an.
Karstadt kündigt am 13. April 2013 eine „Tarifpause“ für die Beschäftigten an. Am 9. Juni bestätigt das Unternehmen, dass der Vertrag von Karstadt-Chef Jennings zum Jahresende ausläuft.
Im Februar kommt Ikea-Managerin Eva-Lotta Sjöstedt nach Essen und übernimmt den Geschäftsführerposten. Am 7. Juli legt Sjösted nach nur fünf Monaten alle Ämter nieder. Als Grund dafür nennt sie, dass die „Voraussetzungen“ für den von ihr angestrebten Weg nicht mehr gegeben seien.
Der Österreicher René Benko kauft Karstadt im August für nur einen Euro. Der bisherige Eigentümer Nicolas Berggruen zieht sich komplett zurück. Die Sanierungsaufgaben bleiben gewaltig.
Offenkundig erwarteten Karstadts Online-Konstrukteure auch regen Zuspruch theologischer Kreise an ihrer Kreditkartenvariante. So schrieb sich Groth die Anredeformen „Abt“, „Bruder“, „Schwester“, „Priester“, „Pastor“ und „Kardinal“ aus dem Titelreigen im Internet ab. Nur der „Papst“ fehlte.
Enttäuschend unvollständig fiel auch der wissenschaftliche Bereich aus. Zwar fanden sich im karstädtischen Fundus allerhand „Dr.rer.phxsiol.“, „Dr.rer.forest“ nebst „Dr.Sportwiss.“. Auf gleichermaßen gängige wie gemeine Diplom-Volkswirte und Diplom-Kaufmänner verzichteten Karstadts Titelexperten jedoch.
Herr Groth fragte sich folgerichtig „in wessen Kopf ein derartiges Werk entstanden ist", ging in die nächstgelegene Karstadt-Filiale und beschwerte sich, schrieb noch einen Brief an den Vorstand – und siehe da: Im Online-Formular wurde die Auswahl inzwischen wieder auf „kein“ Titel, „Prof.“, „Dr.“ oder „Prof. Dr.“ begrenzt.





Hat Karstadt-Anführer Stephan Fanderl – übrigens ein „Dr. rer. pol“ – die Experimente seiner Webmaster beerdigt? Hat gar Karstadt-Eigentümer René Benko seine Hände im Spiel? Dessen österreichische Heimat gilt mit all ihren Hofräten, Magistern und rund 900 weiteren Bezeichnungen schließlich als alpenländische Titel-Bastion.
Wer weiß! Ein Unternehmenssprecher jedenfalls schweigt zu Karstadts Titelambitionen.