Unverpackt-Läden „Wir streben nach guter Qualität, nicht nach Preisführerschaft“

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Inkubatoren für nachhaltige Start-ups

Vor Angeboten von Start-ups mit nachhaltigen, plastik- oder glutenfreien, veganen, handgemachten oder recycelten Produkten können sich die Unverpackt-Unternehmer zurzeit kaum retten. Die Start-ups würden es durch die Verhandlungsmacht der großen Supermärkte nie schaffen, ihre Produkte in großen Läden zu platzieren, da die Hürde, bei Rewe oder Edeka gelistet zu werden, viel zu hoch liegt. Unverpackt-Läden geben Kleinunternehmen mit ihrer Ladenfläche eine Chance und sind damit Inkubatoren für Start-ups des nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens.

Die Zusammenarbeit hört aber untereinander und mit kleinen Produzenten nicht auf: Optimalerweise knüpfen die Läden ein Netzwerk mit anderen kleinen Betrieben in der Umgebung und verkaufen ihre Produkte zum Beispiel an benachbarte Restaurants.

Manchmal kommen Unternehmer zu Unverpackt Düsseldorf und bieten an, ein Franchise-Konzept zu entwickeln. Amend lehnt immer wieder ab. Er möchte sich nicht von Abhängigkeiten einschränken lassen. Ein Unverpackt-Laden ist für viele Unternehmer auch Selbstverwirklichung. Frau und Herr über den eigenen Laden zu sein, ermöglicht auch, die Ganzheitlichkeit des fairen und nachhaltigen Wirtschaftskonzepts auszuleben. „Fair Trade darf in Deutschland nicht aufhören: Auch unsere Mitarbeiter haben gute Löhne verdient, von denen sie sich fair bepreiste Lebensmittel in guter Qualität leisten können“ ist Björn Amend wichtig.

Deutscher Pionier: Bio, Fairtrade, CO2-neutral

Der Unverpackt-Laden ist die Bio-Regio-Öko-Alternative zum städtischen Onkel-Mehmet-Laden. Beide stellen die Renaissance des Tante-Emma-Ladens dar. Seit den 1970er Jahren ist der klassische Tante-Emma-Laden durch den Siegeszug der unpersönlichen Selbstbedienungsläden wie Discounter und Supermärkten abgelöst. Ab den 1980er Jahren nahmen die neu zugezogenen Immigranten in Deutschland mit ihren Einzelhandelsgeschäften den Platz der Nahversorger im Stadtviertel ein. 2014 wurde Deutschlands erster Lebensmittel-Laden ohne Verpackungen in Kiel eröffnet.

Seit 2016 betreiben Gregor und Olga Witt „Tante Olga – Kölns 1. Unverpackt-Laden“. Gregor Witt ist außerdem Vorsitzender des „Unverpackt e. V. – Verband der Unverpackt-Läden“ mit Sitz in Köln. Tag und Nacht arbeitet Witt an dem Projekt der vielen Unverpackt-Unternehmer, die Lieferkette zu optimieren und Plastik zu vermeiden. Dabei ist zum Beispiel der bayerische Großhändler Bananeira ein Vorreiter: Zusammen mit dem Unverpackt-Verband hat Bananeira eine Tomaten-Passata im Pfandglas auf den Markt gebracht. Die Produkte sind zudem bio, fair gehandelt und CO2-neutral transportiert. In Deutschland entwickelt der Händler mit dem Kölner Verband verpackungsfreie Produkte. Im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts mit den Regnitz-Werkstätten integriert Bananeira außerdem Menschen mit Behinderung in die Produktion.

Ein anderes Wirtschaften

Die Unverpackt-Läden setzen auf Zusammenarbeit statt Konkurrenz und achten auf Umweltschutz, anstatt Ressourcen zu verbrauchen. Sie etablieren damit eine Art des Wirtschaftens, in der das unternehmerische Ziel neu gedacht und Netzwerk- und Skaleneffekte neu definiert werden. Die Unternehmer verfolgen keine Profit- sondern eine Gemeinwohlmaximierung. Bewusst zahlen sie den Produzenten, die biologisch anbauen und die Bauern fair bezahlen, höhere Preise und entlohnen ihre Mitarbeiter in Deutschland nach ihren Kriterien fair. Die Läden schließen sich nicht zu großen Ketten zusammen, die ihnen Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten und Einsparungen in Administration, Logistik und Marketing bieten würden. Stattdessen bleiben sie selbstständig und tauschen sich über ihre Erfolge und Misserfolge, Lieferanten und Prozessoptimierung aus. Es entsteht ein Netzwerk aus Start-ups, Unverpackt-Läden, Restaurants, Großhändlern und Produzenten, die sich für nachhaltigen Konsum einsetzen.

Unverpackt-Unternehmerinnen geht es nach eigenen Aussagen vor allem um die Vision, Leidenschaft für nachhaltigen Konsum zu verbreiten. Dafür gehen sie mitunter über Grenzen, die ein normaler Arbeitnehmer im Einzelhandel wohl nicht bereit wären zu überschreiten: Um ihren Laden zu bestücken, treten sie wie Björn Amend aus Düsseldorf mit bis zu 70 Lieferanten in Kontakt, schleppen 25-Kilo-Säcke und sind ständig damit beschäftigt, die Gravity Bins zu reinigen und zu befüllen.

Christina Rau hat in Flinse & Co den ganzen Tag über Kundschaft: Direkt nach der Müsli-Käuferin stellt eine Kundin zehn Schraubgläser, früher mit Gurken, Saucen und Marmelade gefüllt, jetzt voll mit Nüssen, Linsen und Nudeln auf den Verkaufstresen. „Bei uns im Unverpackt-Laden kann sich jeder genau die Mengen abfüllen, die am besten zu seinem Alltag und Gebrauch passen. Manche Kunden kommen einmal im Monat und holen sich Eimer voll von Haferflocken und Nudeln. Andere kommen mit einem winzigen Glas, um nur ein paar Gramm eines bestimmten Gewürzes zu kaufen“ berichtet Rau mit einem zufriedenen Lächeln.

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