"Das ist nicht mein Tisch." Diesen Spruch habe ich in einem Restaurant bestimmt zwanzig Jahre nicht mehr gehört. Bei Karstadt gibt es ihn noch. Zumindest sinngemäß. Kürzlich stand ich bei Karstadt vormittags an einer der Doppelkassen, von der aber nur eine geöffnet war. Ich wollte Clipverschlüsse für Gefrierbeutel kaufen. Damit halte ich meine Cornflakes frisch. Vor mir standen rund sieben Kunden. Bei der Kundin ganz vorne funktionierte etwas mit der Kartenzahlung nicht. Da hatte ich eine geniale Idee: "Können Sie bitte noch eine Kasse aufmachen?"
Die Dame an der Kasse blickte über ihre Lesebrille mit Kordel: "Wie Sie sehen, bin ich alleine."
Ich deutete in Richtung der Badezimmerteppiche. Dort stand eine Verkäuferin in Gedanken versunken und pulte an ihren Fingernägeln.
"Die Kollegin kann da nicht weg. Die muss in der Abteilung bleiben." Weit und breit kein Kunde dort. Da fiel mir ein: Am Eingang zur U-Bahn gab es doch einen dm-Drogeriemarkt. Also kaufte ich da. Für einen Einkauf bei Karstadt hatte ich einfach keine Zeit.
Bei dm gibt es übrigens eine Klingel. Wenn man dort an der Leine zieht, machen die meist sofort eine weitere Kasse auf.
Eine Freundin brachte es kürzlich auf den Punkt: "Zur Not gucke ich bei Karstadt." Da dachte ich mir: Das ist es: das Karstadt-Problem. Es gibt große Kreise in unserer Gesellschaft, die kämen nicht im Traum auf die Idee, ohne Not, einfach mal so zu Karstadt zu gehen. Die gehen zu Karstadt, weil es gerade nicht anders geht. Aber mal zum Gucken, zum Bummeln? Hilfe, nein. Allerdings ist die Not bei vielen Kunden meist nicht groß genug, wie es Karstadt zum Überleben bräuchte. Sjödtedt sagt es selber: "Karstadt ist nicht profitabel. Und das muss sich schnell ändern." Ach nee. Aber wie? Es ist doch so schrecklich aussichtslos.
Wem ein Knopf abfällt oder wer Garn braucht, um Socken zu stricken, der flitzt schnell mal zu Karstadt rein. Aber wer bei Klamotten die großen angesagten Designer sucht, der klappert die Fußgängerzonen oder Einkaufszentren ab. Oder geht zu Peek & Cloppenburg. Dort gibt es neben den großen Marken auch Mal ein paar Geheimtipps und neue Ideen. Karstadt hingegen hat den Schnäppchenmarkt.
Wem zuhause eine Glühbirne durchbrennt, der geht zu Karstadt. Aber wann waren Sie zum letzten Mal in der Karstadt-Lampenabteilung? Dort kommt es einem doch hoch. Kennen Sie einen Menschen, der von sich sagt: "Diesen Fluter habe ich von Karstadt"?
Eine Tischsteckdose kriegt man bei Karstadt. Aber die große Auswahl an Elektronik vom Toaster bis zum iPad, das erwarten wir doch bei Saturn oder Promarkt. Karstadt hat nur von allem ein bisschen.
Wer einen billigen Sudoku-Sammelband braucht, der geht zu Karstadt. Wer ein gutes Buch sucht, der lässt sich in einem gut sortierten Buchgeschäft beraten. Dort kann er auch schmökern und bekommt einen Espresso.
Neulich räumte ich im Kollegen-Kreis ein, im Bistro bei Karstadt einen Salat gegessen zu haben. "Was, du gehst bei Karstadt essen?" Ich musste mich entschuldigen. Karstadt finden die Leute peinlich.
Bei was aber ist Karstadt spitze? Wo ist Karstadt erste Adresse? Wenn Sie mich fragen: bei Schreibwaren und Ledergeldbeuteln. Und manchmal bei Haushaltswaren, okay. Neulich wollte ich zwei Weingläser nachkaufen. Es waren welche auf einer sehr gelungenen Party zu Bruch gegangen. Die zwei Gläser kosteten bei Karstadt rund 39 Euro. Bei Amazon rund 35 Euro. Ich sagte zur Verkäuferin: "Wenn Sie mir den Amazon-Preis anbieten, kaufe ich bei Ihnen." Ihre Antwort: "Nein."
Ich zuckte nur zweimal: zum einen mit den Schultern, zum anderen mit dem rechten Daumen auf meinem Telefon. Gekauft bei Amazon. War auch praktischer. Da musste ich die Gläser nicht nach Hause tragen. Das Gleiche gilt für Koffer, Druckerpapier, Parfum, Uhren, Bücher und und und. Das Internet setzt die Maßstäbe. Karstadt schon seit Jahrzehnten nicht mehr.
Bei Saturn bekommt man den Artikel übrigens zum Amazonpreis. Man muss nur drum bitten. Die haben es begriffen.
Statt neuer Innovationen nur lahme Nachahmung
Wenn sich doch wenigstens was tun würde! Bei Karstadt in Bielefeld haben die neulich umgebaut. In solch einer Lage rund drei Gehminuten von Kaufhof und Saturn entfernt muss man den Kunden ja schließlich etwas bieten. Die Innovations-Offensive. Und dann, nach der großen Neueröffnung, da waren die Bonbons jetzt vorne links und die Handtücher weiter hinten. Sonst ist mir nichts aufgefallen. Steckt da eine geheime Strategie dahinter, die der Kunde nicht begreifen soll?
Oh Gott, Frau Sjöstedt, kann man da wirklich noch was retten? Das Tafelsilber, also das KaDeWe, das Hamburger Alsterhaus und Oberpollinger in München, wurde ja schon verscheuert und gehört nicht mehr zur Karstadt Warenhaus GmbH.
Sie müssen nun ausgerechnet an die langweiligen, spießigen Dickschiffe in den mittelgroßen Städten ran. Die mit den grauen Linoleum-Böden, den stinkenden Klimaanlagen (Köln!), den niedrigen Decken. Mit Mitarbeitern, denen die Gewerkschaften eingeimpft haben, dass früher alles besser war.
Dabei war damals alles genauso. Und das ist ja gerade das Schlimme!
Früher waren Warenhäuser noch die große weitere Einkaufswelt. Ein Erlebnis! Heute fühlt sich nur noch die Generation an Kunden wohl, die jung war, als die ersten Warenhäuser aufmachten in Deutschland.
Aber was hat Karstadt in den vergangenen Jahren anderes zustande gebracht, als den Schlussverkauf jetzt Sale zu nennen (den viele der Stammkunden übrigens deutsch Saale aussprechen)?
Kein Wunder, dass Karstadt die junge Generation verloren hat. Und wie reagiert jetzt Karstadt? Trennt einzelne Ecken ab, streicht die Wände schwarz, nennt den Bereich statt Karstadt englisch KTown, stellt eine Vitrine mit Muffins dazu und wartet, dass die Teenies kommen. Zu KTown im Karstadt! Die traurige Karstadt-Strategie: halbherzig nachmachen, statt voranzugehen. Motto: Wir haben das jetzt auch.
Und zehn Meter weiter türmen sich Bürotassen mit dummen Sprüchen drauf im Sale. Mein fünfzehn Jahre altes Patenkind Ida nennt es so: "Schlecht!"
Frau Sjöstedt kommt aus Schweden. Wo Kaufhäuser wie NK oder Åléns noch Maßstäbe setzen. Mit Spitzenmarken der erfolgreichsten Designer, sei es bei Glas, Kleidung oder sogar Lampen. In mitunter beeindruckendem Ambiente. Wo man hingeht, um sich inspirieren zu lassen und Einrichtungsideen zu holen. Wo hochmotivierte, gut aussehende junge Menschen die Kleidung, die sie verkaufen, am eigenen Leib präsentieren. Die fast perfekt Englisch sprechen. Dort finden Sie etwa Designer-Tagesdecken, mit denen haben die deutschen Aussteller auf der Kölner Möbelmesse 2014 gerade ihre Neuheiten dekoriert.
Ich darf mal zusammenfassen: Alles muss neu bei Karstadt! Neues Ambiente, neues Sortiment, neuer Service, neue, frische Gesichter. Und gleichzeitig Preise, die mit dem Internet mithalten können. Alles andere braucht kein Mensch.
Summe, die Investor Nicolas Berggruen bisher von eigenem Vermögen in Karstadt investiert hat: einen Euro.
Das wird nichts mehr, Frau Sjöstedt. Machen Sie sich ein paar schöne Monate in Essen und möbeln Sie ein paar Filialen so auf, dass man sie den Mitarbeitern zuliebe wenigstens noch an Kaufhof verschenken kann. In unbändiger Vorfreude darauf ist der Kaufhof-Chef Lovo Mandrac offiziell allerdings nicht. Denn als lahmender Konkurrent ohne Zukunft nutzt Karstadt Kaufhof gerade am allermeisten.