"Guten Tag, ich hätte gerne Vitrocap."
"Gerne." Die Apothekerin drückte eine Taste am Computer und hielt dann ihre Hand in den Schachtelschacht hinter sich. Die Pillen plumpsten ihr automatisch in die Finger. Ich las: "Ergänzende bilanzierte Diät zu diätetischen Behandlung". Ich fragte: "Wie genau muss man denn diätetisch essen, um Collagen-Klumpen im Auge vorzubeugen?"
Sie sagte: "Gesund." Sie hätte doch einfach sagen können: "Keine Ahnung. Ich bin ja keine Ärztin."
Da lernen die Apotheker an der Uni jahrelang vor sich hin. Aber an den Bedürfnissen vieler Kunden vorbei. Heutzutage müssen sie eben kaum noch Salben mischen und Pillen drehen. Sie müssen Schachteln in kleine Plastiktütchen stecken und ein Päckchen Tempos dazu.
Und weil ihnen der Monitor auf der Kasse den Text der Beipackzettel anzeigt, wissen sie auch eine Menge über die gekauften Präparate zu berichten. Aber sobald eine Frage aufkommt, die sich nicht mit ein paar Mausklicks lösen lässt, herrscht in vielen Apotheken dösige Stille. Macht aber nichts. Ich frage einfach meinen Arzt, lese die Packungsbeilage und recherchiere im Internet. Das reicht völlig. Warum sollte ich auch ausgerechnet auf jenen hören, der mit meiner Medizin Geld verdienen will?
Wie kommt es zum Beispiel, dass jetzt im November gefühlt jede Apotheke ihre Auslagen hinter dem Tresen bis zur Decke mit den blauen Kartons von Orthomol immun vollstopft? Antwort: Weil das Zeug unfassbar teuer ist. Dabei gibt es keine einzige Studie, die die Wirksamkeit des Sirups zur Vorbeugung gegen Erkältung belegt. Keine!
Muss es auch nicht geben. Ist ja nur ein Nahrungsergänzungsmittel. Selbst der Hersteller behauptet das nirgends. Aber die Apotheken verkaufen es als gesundes Herbstmittelchen vor der kalten Jahreszeit. Motto: Kann doch zumindest nicht schaden.
Geldmacherei und seriöse Beratung gleichzeitig. Kann das funktionieren? Dass Ärzte ihre Fortbildungen zum Teil von der Pharmaindustrie bezahlen lassen, ist denen selber nicht geheuer. Viele Mediziner fordern ein Verbot des Sponsorings. Aber dass wir Apotheker zu Risiken und Nebenwirkungen befragen sollen, obwohl sie mehr verdienen, je mehr und je teurer sie verkaufen, stört die Apotheker-Zunft offenbar nicht. Wie Supermarktverkäufer mit Hochschulabschluss.
Und nun berichtet die WiWo in der aktuellen Ausgabe: Einzelne Apotheken fallen jetzt auch noch auf organisierte Kriminelle rein und lassen sich versehentlich gefälschte Medizin andrehen - die sie ahnungslos an ihre Kunden weiterverkaufen. Nahezu monatlich werden neue Fälle bekannt.
Das war doch das letzte unumstößliche Argument der Apotheker: Originale Präparate kauft man am sichersten beim Original und nicht im Pfui-Bäh-Internet. Was spricht nun noch gegen eine anonyme Internet-Apotheke, solange sie seriös ist? Den netten Apotheker von nebenan können die Kriminellen von der Pillenmafia ja offensichtlich genauso erwischen. Trotz des weißen Kittels.
Ich bin gar nicht der Meinung, dass Apotheker alles auswendig wissen müssen und kein Geld verdienen sollen. Aber wenn sie wenig auswendig wissen, sollen sie eben weniger verdienen. Das macht die Zäpfchen und Tabletten und Säfte und Salben und Ampullen billiger. Und wenn sich Apotheken nur lohnen, wenn wir Patienten dafür ordentlich drauf zahlen, dann sollten lieber einige Apotheken dort verschwinden, wo es sie doppelt und dreifach gibt. Dann bleibt uns am Ende des Monate mehr Geld für Brotaufstrich, Lakritz und Frischkäse.