Warum ist mir mulmig bei einem Einkauf bei Karstadt? Ich habe meine Seele ausgequetscht und weiß es jetzt.
Eigentlich ist das Warenhaus ein starkes Alternativkonzept zum Onlinehandel: Wie bei Amazon gibt es einen riesigen Haufen an Produkten unter einem Dach. Vom Tintenkiller über das Tee-Ei, den Wischmob, Geleebohnen, das Waffeleisen bis zum Geschenkset aus Rasierseife und Pinsel.
Amazons größter Vorteil: Man muss zum Einkaufen nicht aus dem Haus. Karstadts größter Vorteil: Man kann alles anfassen und anprobieren. Passt das Shirt in L nicht, dauert der Wechsel zu XL den Fußmarsch von der Umkleidekabine zum Klamottenständer und zurück. Bei Amazon dauert es mitunter Tage.
Die Top 10 Warenhausbetreiber Europa 2015
Unternehmen: Dunnes
Land: Großbritannien
Brutto-Außenumsatz (2013): 2.365 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 155
Verkaufsfläche: 293.113 m²
Quelle: Planet Retail - 9. Juni 2015
Unternehmen: Karstadt (ohne Karstadt Feinkost (Perfetto))
Land: Deutschland
Brutto-Außenumsatz (2013): 2.770 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 86
Verkaufsfläche: 1.263.254 m²
Unternehmen: Debenhams
Land: Großbritannien
Brutto-Außenumsatz (2013): 3.199 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 186
Verkaufsfläche: 1.264.607 m²
Unternehmen: Home Retail Group
Land: Großbritannien
Brutto-Außenumsatz (2013): 3.299 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 754
Verkaufsfläche: 544.533 m²
Unternehmen: Metro Group (nur Galeria Kaufhof (ohne Sport Arena und Dinea))
Land: Deutschland
Brutto-Außenumsatz (2013): 3.336 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 120
Verkaufsfläche: 1.298.820 m²
Unternehmen: Galeries Lafayette
Land: Frankreich
Brutto-Außenumsatz (2013): 3.604 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 64
Verkaufsfläche: 530.048 m²
Unternehmen: John Lewis
Land: Großbritannien
Brutto-Außenumsatz (2013): 3.764 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 41
Verkaufsfläche: 437.839 m²
Unternehmen: Casino
Land: Frankreich
Brutto-Außenumsatz (2013): 4.051 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 304
Verkaufsfläche: 546.700 m²
Unternehmen: El Corte Inglés
Land: Spanien
Brutto-Außenumsatz (2013): 9.531 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 88
Verkaufsfläche: 2.420.000 m²
Unternehmen: Marks & Spencer (ohne Spezialkonzepte)
Land: Großbritannien
Brutto-Außenumsatz (2013): 11.258 Mio. Euro
Anzahl Filialen: 387
Verkaufsfläche: 1.404.958 m²
Das Warenhaus hat also durchaus seinen Reiz. Und gerade deshalb dieses mulmige Gefühl bei Karstadt. Es ist diese ungute Vermutung: So wird das nichts mehr. Und das wäre so schade. Nicht nur für die Mitarbeiter. Die wären am meisten zu bedauern. Aber es wäre auch eben schade für uns potenzielle Kunden.
Es gibt ja nur einen einzigen Grund, warum wir Geld ausgeben. Weil wir glauben, dass es besser ist, es wegzugeben, als es zu behalten. Selbst derjenige, der wegen einer Erpressung Lösegeld zahlt, tut dies, weil er meint, dass die Vorteile dieser Investition die Nachteile überwiegen.
Der Gipfel der Gefühle ist es, wenn wir beim Geldausgeben regelrecht Freude empfinden.
Zu Karstadt gehe ich nur, wenn mir nichts anderes übrig bleibt. Und das tut mir leid. Aber leider kenne ich keinen einzigen Karstadt-Fan persönlich. Nun könnten Sie mir zurufen: "Herr Dingsdums, äh, Werner, fragen Sie halt mal Ihre Großmutter. Die wird Karstadt-Fans kennen."
Tja, und das ist das Problem. Die angestrebte Zielgruppe und der tatsächliche Kundenstamm sind zwei Welten.
Amazons größtes Problem ist die vertane Zeit zwischen Bestellung und Zustellung.
Karstadts größtes Problem ist die vertane Zeit zwischen 1881 und 2016.
Die Deutsche Bahn wiederum hat es gut. Junge Leute meiden den ICE ja nicht, weil er lahm, uncool und spießig ist. Er ist einfach sauteuer. Sobald es aber Sparpreise regnet wie im Moment, fahren junge und gutverdienende Menschen zusammen Zug. Weil er Generationen übergreifend bequem und schnell ist. Alt und Jung sind sich da einig.
Ganz anders bei Karstadt. Aber wirklich ganz, ganz anders. Karstadt bietet den Kunden 60+ die gewohnte Welt. Motto: Einkaufen wie seit anno dunnemals. Keine Überraschungen. Aber wie die Jungen zusätzlich begeistern ohne die Älteren zu verprellen?
Es ist ein Drahtseil-Akt. Denn Shopping ist Lifestyle. Und der Lifestyle der Jungen ist nicht identisch mit denen der Älteren. Eine Shopping-Mall hat dieses Problem nicht. Die Lifestyle-Welten sind dort in verschiedene Shops aufgeteilt. Gerry Weber und Seidensticker existieren dort friedlich im gleichen Haus neben H&M und Zara. Jeweils im zur Marke designten Interieur und mit Personal, das die eigenen Produkte kennt und glaubhaft beraten kann.
Was aber tut Karstadt? Ich habe das Gefühl, die wollen nicht, was sie müssen. Sich neu erfinden. Sie machen klein klein, weil ihnen nichts Besseres einfällt. Karstadt ist mit Herz und Seele altmodisch. Das ist sympathisch authentisch. Aber eben nicht mehr massentauglich. Und das passt nicht zur Größe.
Und so imitiert das Management halbherzig, was andere längst probiert haben. Ich kenne das schon vom insolventen "Strauss Innovation". Man nennt es Concept-Store, glaube ich. Da werden dann zwischen einen Stapel mit Intimwaschlappen oder so ein paar Kartons Krokant-Ostereier aus Italien drapiert.
Karstadt macht sowas auch. In der Filiale in Trier können Sie zwischen Damenhandtaschen spontan das 1000-teilige Ravensburger Puzzle der Porta Nigra shoppen. Ist das die neue Karstadt-Welt?
Endzeitstimmung im zweiten Obergeschoss
Das Restaurant in der Filiale in Bielefeld ist recht frisch renoviert. Nun ist es freundlich und hell. Trotz nur ganz weniger Fenster.
Aber es fehlt die Seele. Das Restaurant wirkt nicht, als hätten sich Menschen mit Leidenschaft für Essen und Trinken zusammengesetzt und tolle Ideen gebrainstormt: Was können wir den Bielefeldern Geiles bieten? Was gibt es hier noch nicht?
Sondern eher wie: »Was sollen wir bloß tun? Ok, zusammenreißen jetzt. Also: In Cafés sind jetzt Sofaecken angesagt, helles Holz auch: Industriedesign mit kuscheligen Akzenten ist supercool, also bitte liefern: 25 Tische hell, 120 Stühle hell, 25 skandinavisch schlichte Decken-Lampen, acht Sessel, zwei Sofas, vier Beistelltische und ein paar Raumtrenner im Europaletten-Look. Fototapete. Fertig. Next.«
Nun sieht es dort ein bisschen aus wie Ikea, ein bisschen wie Starbucks, ein bisschen wie Nordsee. Nachlaufen, statt Vorbild sein. Das stößt all die Kunden ab, die sich gerne inspirieren lassen. Was ist einzigartig Karstadt? Hmm, der Linoleumboden? Die schweren Stahltüren zum Treppenhaus?
Das Haus im Kölner Zentrum wollte die jungen Leute in einer eigenen Abteilung glücklich machen. Sie strichen die Wände schwarz, knallten einen winzigen Verkaufstresen für Muffins an die Seite, nannten das Ganze K-Town und scheiterten.
Die Idee war ja gut: das Einkaufszentrum-Prinzip. Getrennte Lifestyles. Aber eben 20 Jahre zu spät. Auf Facebook lästerten die Kölner über den Namen. Dabei war K-Town doch eigentlich eine witzige Idee. Aber die kauften potenzielle Kunden Karstadt nicht ab. Der Titel wirkte auf viele nicht humorvoll, sondern wie billige Anbiederei an die Jugendlichen. Jetzt heißt die Ecke wieder Karstadt. Es ist vertrackt.
Wenn Saturn Sonderpreis-Aktionen raushaut, dann hat man das Gefühl: alles exakt geplant. Wenn Karstadt, wie jüngst in der Hamburger Mönckebergstraße gesehen, seine knallroten Prozentzeichenschilder krumm und schief auf die Wühltische steckt, wirkt das wie: Wenn das bis heute Abend nicht rausverkauft ist, kommt das hinten auf der Rampe in den Müllcontainer.
Und dann diese mit rotem Edding durchgekritzelten Preisschilder! Damit erobert man keine neuen Kunden. Aber lässt man es, bleiben die alten weg. Es ist schon wieder vertrackt.
Alleine, wenn Karstadt neudeutsch »Sale« schreibt, wirkt es auf mich aufgesetzt. Die würden doch viel lieber Winterschlussverkauf sagen. So wie damals.
Aber Moment! In der Bielefelder Filiale gibt es wirklich etwas, das habe ich auf der ganzen Welt noch nie gesehen: Da kleben jetzt im 2. OG überall Pfeile auf dem Boden, die dem Kunden den Weg zur Kasse weisen. Folgt man denen, fällt man fast die Treppe runter. Denn die Kassen stehen im ersten Stock. Da haben die doch glatt die Kassen oben eingestampft. Endzeitstimmung im zweiten Obergeschoss. Sonst ist mir nichts nennenswert Neues ins Auge gefallen.
Schräg gegenüber von Karstadt in Bielefeld hat gerade der Kaufhof für immer geschlossen. Das Gebäude wird zurzeit abgerissen. Es entsteht ein Center mit vielen einzelnen Shops bekannter Marken. Für das Warenhauskonzept sah der Investor dort keinen Platz mehr.
Dann steht bald eine topmoderne Shopping-Mall gegenüber von Karstadt. Man kann allen Karstädtern dort nur wünschen, dass ihr Management bis dahin eine zündende Idee gehabt hat.