Und jetzt frage ich Sie: Wo bleibt da die Tee-Zeremonie? Diese Frage schoss mir regelrecht ins Mark, als ich darüber nachdachte, meiner Schwester (passionierte Tee-Trinkerin und Kaffee-Verächterin) das Special-T-System zu Weihnachten zu schenken. Ich spürte irgendwie: Sie würde es hassen. Sie liebt ihre Schublade mit den ganzen Teedosen, die sie sich aus aller Welt zusammengesammelt hat. Sie liebt es, im Teeladen an den dutzenden Sorten zu schnuppern, sie liebt es, eine Kerze im Stövchen anzuzünden, den Tee mit mehreren Versuchen auszutarieren und zu erforschen, wie heiß das Wasser sein muss und nach wie viel Sekunden das Teenetz aus der Glaskanne raus muss. Mit anderen Worten: Tee trinken ist für sie mehr, als ein Heißgetränk zu konsumieren. Tee ist ein kleines bisschen Handwerk zwischendurch. So wie Plätzchen backen. Die werden nie perfekt, aber schmecken nach einem ehrgeizigen Sonntagnachmittag.
Bin ich im Vergleich zu ihr ein bloßer Tee-Wegschlucker? Ich koche gerne mit Familie und Freunden, ich suche mir meinen neuen Lieblingswein gerne bei schwipsigen Weinproben aus. Warum sollte ich weiter Special T nutzen?
Ich glaube, Nestlé hat selbst erkannt: Der perfekte Designer-Tee ist irgendwie seelenlos. Gucken Sie mal auf deren Internet-Seite www.special-t.de. Dort drückt man emotional kräftig auf die Tube: „Wir haben den legendären Earl Grey durch eine Kombination der zwei edlen Teesorten Keemun und Ceylon mit subtilen Bergamottenoten neu interpretiert. Die Schale dieser wertvollen Frucht stammt aus der italienischen Region Kalabrien… Leicht, mit diskreten, schnell verklingenden Tannin-Noten.“ Ach ja, solch ein salbungsvolles Gequatsche kennt man ja schon aus den Nespresso-Läden, äh, „-Boutiquen".
Und die Grafiken! Man fühlt sich eingetaucht in eine psychedelische Zauberwelt voller geheimnisvoller Blüten, Ranken, Früchten, Bäumen, durch die Models in wallenden Gewändern schleichen wie im Rausch. Man fragt sich: Was haben die denen in den Tee geträufelt?
Aber schneiden Sie dann mal so eine Kapsel auf. Man blickt in einen Hightech-Bio-Brei aus nassem Grünzeug, Plastikstöpseln und Metall. Als hätte man Alien-Brut geschändet. Gar nicht idyllisch und wunderbar.
Special T zu trinken, ist, als wenn man sich ein gerahmtes Ikea-Riesenfoto von Manhattan über die Couch hängt. Es wirkt beeindruckend, ist aber irgendwie seelenlos. Selbstgemacht wäre einfach schöner.
Special T einmotten oder noch eine Saison weitermachen? Hmm. Ich glaube, ich bestelle noch einmal Kapseln nach. Denn ich gebe einer Innovation wieder neugierig eine Chance: Gestern schreibt mir Nestlé, die Kapseln der ganz neuen Generation sind jetzt mit 50 Prozent weniger Karton verpackt (vorher kam jede Kapsel in einer lächerlichen erschütterungsfesten Pappschublade aus der Packung) und die Kapseln - Achtung - sind jetzt nicht mehr aus Aluminium, sondern aus Polypropylen, also aus Plastik. Und ich will jetzt unbedingt wissen: Warum geht mit Tee, was bei Nespresso nicht geht? Kapseln ohne Alu. Also noch eine Runde Special T.
Aber ich glaube: Dann muss wirklich wieder Zeit sein für meine Teekanne. Wo ist die eigentlich?