Autoindustrie Putins Krieg könnte Autopreise und Knappheit weiter hochtreiben

Die russische Invasion in der Ukraine hat auch Folgen für die Autoindustrie. Quelle: imago images

Nachschubprobleme plagen die Autobauer schon seit Beginn der Coronapandemie vor zwei Jahren. Jetzt kommt noch der Ukraine-Krieg hinzu – düstere Aussichten für die Industrie und Verbraucher.

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BMW hat die Herstellung in zwei deutschen Fabriken angehalten. Mercedes drosselt das Arbeitstempo in zwei Montageanlagen. Volkswagen sucht nach alternativen Quellen für Autoteile, um Unterbrechungen bei der Produktion zu vermeiden.

Seit mehr als einem Jahr schon leidet die globale Autoindustrie unter einem katastrophalen Mangel an Computerchips und anderen notwendigen Teilen. Der Engpass hat die Produktion verringert, Auslieferungen verlangsamt und Preise für neue und gebrauchte Fahrzeuge so hoch katapultiert, dass sie für Millionen Verbraucher unerschwinglich geworden sind.

Und jetzt kommt auch noch der Ukraine-Krieg hinzu. Hochwichtige elektrische Kabel, in der Ukraine hergestellt, sind plötzlich nicht mehr zu haben. Hohe Nachfrage, Knappheit an Materialien und neue Unterbrechungen durch den Krieg: Das alles zusammen dürfte die Preise weiter in die Höhe schnellen lassen, und das weit bis ins nächste Jahr hinein.

Die Schäden für die Autoindustrie durch die russische Invasion haben sich zuerst in Europa gezeigt. Aber auch die US-Produktion wird wahrscheinlich früher oder später in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn russische Exporte von Metallen – von Palladium für Abgas-Katalysatoren bis hin zu Nickel für Elektroauto-Batterien – gekappt werden. „Es muss nur ein Teil fehlen, um kein Auto herstellen zu können“, sagt Mark Wakefield, Co-Chef der Automobilabteilung des New Yorker Beraterunternehmens Alix Partners.

Nachschubprobleme haben die Autohersteller seit Beginn der Pandemie vor zwei Jahren geplagt, manchmal zur Schließung von Fabriken gezwungen und eine Knappheit bei Neufahrzeugen ausgelöst. Die robuste Wirtschaftserholung nach der Rezession hat dann dazu geführt, dass die Nachfrage bei weitem das Angebot übersteigt – was neue Autos und Gebrauchtwagen über die allgemein hohe Inflationsrate hinaus verteuert.

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In den USA kostete ein neues Fahrzeug im vergangenen Jahr durchschnittlich 45.596 Dollar (41.550 Euro), 13 Prozent mehr als 2020, wie die auf Autodaten und -gutachten spezialisierte US-Online-Firma Edmunds.com errechnet hat. Bei den Gebrauchtwagen lag der Durchschnittspreis Ende Februar dieses Jahres bei 29.646 Dollar, ein Anstieg von sogar 29 Prozent. Vor dem Krieg hatte die Berater-und Analysefirma S&P Global Mobility vorhergesagt, dass 2022 weltweit 84 Millionen und im Jahr darauf 91 Millionen Autos hergestellt würden. Jetzt erwartet das Unternehmen die Produktion von weniger als 82 Millionen Fahrzeugen in diesem Jahr und 86 Millionen im nächsten. Zum Vergleich: 2018 rollten 94 Millionen Autos vom Band.

Ein Faktor, der zu dem düsterem Ausblick beiträgt, ist die Schließung von Autofabriken in Russland. Vergangenen Woche hat auch der französische Hersteller Renault – einer letzten Autobauer, die noch weiter in Russland produziert haben – einen vorläufigen Stopp angekündigt.

Auch die Umwandlung der Ukraine in eine Kriegszone hat sich direkt ausgewirkt. Schätzungen zufolge kamen 10 bis 15 Prozent der essenziellen Kabelbäume bei der Autoproduktion in der EU aus der Ukraine. Jetzt mangelt es an diesen Teilen, was den Autobau in Deutschland, Polen, Tschechien und anderswo verlangsamt. Der Mangel könnte auch die Exporte deutscher Autos in die USA und andere Länder beeinträchtigen.

von Rüdiger Kiani-Kreß, Jacqueline Goebel, Max Haerder, Andreas Macho, Christian Schlesiger, Martin Seiwert, Silke Wettach

Zwar haben Kabelbaum-Hersteller wie Aptiv und Leoni trotz des Krieges ihre Fabriken in der Westukraine sporadisch öffnen können. Aber die Ukraine „ist nicht für jegliche Art normaler kommerzieller Aktivität geöffnet“, räumte Aptivs Finanzchef Joseph Massaro ein. Aptiv mit Hauptsitz in Irland versucht, die Produktion auf Polen, Rumänien, Serbien und vielleicht Marokko zu verlagern, aber der Prozess könnte Wochen dauern.

BMW versucht, sich mit seinen ukrainischen Lieferanten abzustimmen und wirft sein Netz jetzt weiter aus, um sich anderswo Autoteile zu sichern. Mercedes und Volkswagen machen es genauso. Aber andere Lieferanten zu finden könnte fast unmöglich sein. Die meisten Fabriken für Autoteile schöpfen ihre Produktionskapazitäten bereits fast voll aus. Also müssten neue Arbeitsräume geschaffen werden und Unternehmen mehr Arbeiter anheuern, was sich nicht über Nacht bewerkstelligen lässt, wie etwa Mark Fulthorpe von der Ratingagentur Standard & Poors sagt.

Und er erwartet, dass sich die Versorgung mit Materialien aus der Ukraine und Russland noch weiter verengt. Die Ukraine ist der weltweit größte Exporteur von Neon, einem Gas, das bei der Herstellung von Computerchips in Lasern verwendet wird. Die meisten Chipproduzenten verfügen über Sechs-Monate-Vorräte, ab Herbst könnten sie zur Neige gehen. Das würde den Chipmangel verschärfen, der schon vor dem Krieg Autoproduktionen verzögert hat.

Russland ist ein Schlüssellieferant von Rohmaterialien wie Platin und Palladium, das in emissionsreduzierenden Katalysatoren verwendet wird. Russland produziert auch zehn Prozent des Nickels weltweit, ein wesentlicher Bestandteil von Elektroauto-Batterien. Bislang ist die Versorgung mit Mineralien aus Russland nicht gekappt worden, und Recycling oder verstärkte Produktion in anderen Ländern könnten helfen, eine Knappheit abzumildern.

Aber Russland ist auch ein großer Aluminiumproduzent und Hersteller von Roheisen für die Stahlerzeugung. Fast 70 Prozent der Roheisenimporte der USA kommen aus Russland und der Ukraine. Stahlhersteller müssten also auf Lieferungen aus Brasilien umsteigen oder alternative Materialien benutzen.

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Aber sogar wenn die Autohersteller eines Tages wieder voll produzieren könnten, würde es angesichts der angestauten Nachfrage eine ganze Weile dauern, bis genügend Fahrzeuge angeboten werden können – und zu zivileren Preisen. Wann könnte das so weit sein? Wakefield von Alix Partners tut nicht so, als hätte er eine Antwort darauf. „Wir sind in einem Umfeld mit steigenden Preisen und eingeschränkter Produktion“, sagt er. „Das ist ein bizarres Ding für die Autoindustrie.“

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