Zudem fuhr das Management zwischen 1993 und 2009 einen maßlosen Wachstumskurs. „Das Tempo bei der Expansion war zu hoch – mit der Folge des Effekts von Allgegenwärtigkeit“, sagt Kerstin Florack-Abromat, eine auf Modeaktien spezialisierte freie Analystin. Martinez’ Vorgänger hätten die eigene Zielgruppe – Frauen ab 30 – aus den Augen verloren. Lief der Laden eines Franchise-Partners gut, war der erste Reflex, in der Nachbarschaft einen eigenen aufzusperren. „Es wurde nicht lange darüber nachgedacht, ob dieser Standort auch wirklich einen zweiten Esprit-Laden verträgt“, heißt es im Umfeld von Martinez.
Konzernchef Martinez soll Esprit aus der Bredouille bringen, indem er auch Methoden der Konkurrenz kopiert. Von Inditex brachte er Arndt Brockmann mit, der als Deutschlandchef das mit 48 Prozent Umsatzanteil immens wichtige Deutschlandgeschäft stabilisieren soll. Ebenfalls von Inditex kamen Produktchef Rafael Pastor und zwei weitere Spitzenleute sowie Ex-Inditex-Chef Jose Castellano Rios, der Esprit seit einem Jahr als Verwaltungsrat kontrolliert.
Vorschusslorbeer von der Börse verspielt
Die Marke wurde 1968 von dem Hippiepaar Susie und Doug Tompkins in San Francisco gegründet. Doug, Umweltaktivist und Multimillionär, hat seine Anteile längst abgestoßen und in Patagonien riesige Ländereien gekauft. Am vergangenen Dienstag starb er im Alter von 72 Jahren bei einem Kajak-Unfall in Chile.
Die größten Modehändler
Primark
0,7 Mrd. Euro
gemessen nach Umsatz in Deutschland, 2014
Quelle: Statista, Textilwirtschaft, Esprit
Inditex (Zara)
0,7 Mrd. Euro
Esprit
0,7 Mrd. Euro
Takko
0,8 Mrd. Euro
Ernstings Family
1,0 Mrd. Euro
P&C Düsseldorf
1,4 Mrd. Euro
C&A
2,9 Mrd. Euro
H&M
3,8 Mrd. Euro
Otto Group
4,2 Mrd. Euro
Martinez, der Tompkins persönlich traf, übernahm das Regiment Anfang 2013. Die Nachricht, dass der Neue an der Spitze vom bewunderten Inditex-Konzern kommt, hatte den Esprit-Aktienkurs damals um über zehn Prozent nach oben katapultiert, auf über vier Euro. Bei seinem bisherigen Arbeitgeber hatte Martinez zuletzt als Vertriebschef dafür gesorgt, das T-Shirts, Kleider und Jeans reibungslos und schnell in die mehr als 5600 Filialen des spanischen Modegiganten kommen – in 84 Ländern weltweit.
Doch die Esprit-Sanierung verläuft nicht auf Knopfdruck: Schlicht die Inditex-Formel auf Esprit zu übertragen funktioniere nicht. Seine Strategie sei eher ein „living animal“, ein lebendiges Wesen, das er ständig aufs Neue anpasse, sagt Martinez.
So ganz funktioniert die Anpassung nicht – inzwischen dümpelt die Aktie bei einem Kurs von einem Euro vor sich hin. Martinez, der in Madrid und den USA Betriebswirtschaft studiert und neun Jahre bei der Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet hat, gibt sich trotzdem lässig und gut gelaunt, er trägt einen dunkelblauen Blazer zum blau gestreiften Hemd – von Esprit, sagt er. Gleichwohl sieht er die hausgemachten Probleme, vor denen er bei Esprit steht: „Qualität im Verhältnis zum Preis und Modegrad – das beides stimmte bei Esprit nicht mehr.“
Inzwischen hat der Spanier vieles geändert. Als er startete, entwarfen die Designer praktisch 40 Prozent ihrer Entwürfe für die Tonne, weil sie beim Entwurf keine Rückmeldung der Verkaufsabteilung hatten und die Ware anschließend nie in den Verkaufsregalen landete. Heute sitzen die Kreativen in Abteilungen nach Produktgruppen zusammen, statt umständlich und zeitraubend per Mail zu verkehren. „Wie bei Esprit eine Hose, ein Rock oder ein T-Shirt entwickelt wurde und wie dabei Designer, Einkäufer und Techniker zusammenarbeiten, das war ineffizient und langsam“, sagt Martinez.