Esprit Wie die Modemarke Zara und H&M einholen will

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„Das Tempo bei der Expansion war zu hoch"

Zudem fuhr das Management zwischen 1993 und 2009 einen maßlosen Wachstumskurs. „Das Tempo bei der Expansion war zu hoch – mit der Folge des Effekts von Allgegenwärtigkeit“, sagt Kerstin Florack-Abromat, eine auf Modeaktien spezialisierte freie Analystin. Martinez’ Vorgänger hätten die eigene Zielgruppe – Frauen ab 30 – aus den Augen verloren. Lief der Laden eines Franchise-Partners gut, war der erste Reflex, in der Nachbarschaft einen eigenen aufzusperren. „Es wurde nicht lange darüber nachgedacht, ob dieser Standort auch wirklich einen zweiten Esprit-Laden verträgt“, heißt es im Umfeld von Martinez.

von Mario Brück, Henryk Hielscher

Konzernchef Martinez soll Esprit aus der Bredouille bringen, indem er auch Methoden der Konkurrenz kopiert. Von Inditex brachte er Arndt Brockmann mit, der als Deutschlandchef das mit 48 Prozent Umsatzanteil immens wichtige Deutschlandgeschäft stabilisieren soll. Ebenfalls von Inditex kamen Produktchef Rafael Pastor und zwei weitere Spitzenleute sowie Ex-Inditex-Chef Jose Castellano Rios, der Esprit seit einem Jahr als Verwaltungsrat kontrolliert.

Vorschusslorbeer von der Börse verspielt

Die Marke wurde 1968 von dem Hippiepaar Susie und Doug Tompkins in San Francisco gegründet. Doug, Umweltaktivist und Multimillionär, hat seine Anteile längst abgestoßen und in Patagonien riesige Ländereien gekauft. Am vergangenen Dienstag starb er im Alter von 72 Jahren bei einem Kajak-Unfall in Chile.

Die größten Modehändler

Martinez, der Tompkins persönlich traf, übernahm das Regiment Anfang 2013. Die Nachricht, dass der Neue an der Spitze vom bewunderten Inditex-Konzern kommt, hatte den Esprit-Aktienkurs damals um über zehn Prozent nach oben katapultiert, auf über vier Euro. Bei seinem bisherigen Arbeitgeber hatte Martinez zuletzt als Vertriebschef dafür gesorgt, das T-Shirts, Kleider und Jeans reibungslos und schnell in die mehr als 5600 Filialen des spanischen Modegiganten kommen – in 84 Ländern weltweit.

Doch die Esprit-Sanierung verläuft nicht auf Knopfdruck: Schlicht die Inditex-Formel auf Esprit zu übertragen funktioniere nicht. Seine Strategie sei eher ein „living animal“, ein lebendiges Wesen, das er ständig aufs Neue anpasse, sagt Martinez.

So ganz funktioniert die Anpassung nicht – inzwischen dümpelt die Aktie bei einem Kurs von einem Euro vor sich hin. Martinez, der in Madrid und den USA Betriebswirtschaft studiert und neun Jahre bei der Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet hat, gibt sich trotzdem lässig und gut gelaunt, er trägt einen dunkelblauen Blazer zum blau gestreiften Hemd – von Esprit, sagt er. Gleichwohl sieht er die hausgemachten Probleme, vor denen er bei Esprit steht: „Qualität im Verhältnis zum Preis und Modegrad – das beides stimmte bei Esprit nicht mehr.“

Diese Modeketten zahlen Hungerlöhne
Die Textilbranche und der Trend zu ultragünstiger Kleidung in Industrieländern steht seit einiger Zeit in der Kritik, spätestens seit dem verheerenden Unfall in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka im Frühjahr 2013. Doch Veränderungen ergeben sich nur langsam, dies zeigten zuletzt Rückblenden ein Jahr nach der Katastrophe, die vor allem die Sicherheitsbedingungen in den Fabriken in den Fokus nahmen. Quelle: AP
Einen weiteren Aspekt, der nach diesem und weiteren Unfällen stark diskutiert wurde, behandelt der aktuelle Clean Cloth Kampagne Firmencheck 2014: die unwürdigen Löhne, für die viele Arbeitnehmer bei Zulieferern von Kleidungsherstellern wie hier in Bangladesch schuften müssen. Die Nichtregierungsorganisation Clean Clothes Kampagne (CCK) hat 48 Firmen auf diesen Aspekt hin untersucht und kommt zu dem Ergebnis: Die meisten Firmen bieten vollkommen unzureichende Standards. Quelle: dpa
Mit 15 Firmen bekamen die meisten der getesteten Unternehmen ein Ungenügend – setzen sich also „kaum für die Bezahlung eines Existenzlohnes ein“. 13 Firmen antworteten indes gar nicht und haben somit vermutlich ebenfalls keine sonderlich präsentablen Zustände vorzuweisen. Diese Profile, etwa von Mexx, Benetton, Armani und Hugo Boss recherchierten die Analysten selbst aus öffentlichen Quellen. Hier eine Übersicht über die schwarzen Schafe der Branche laut der Clean Clothes Kampagne. Quelle: dpa
AldiAldi gibt an, der eigene Kodex sehe den gesetzlichen Mindestlohn in allen Produktionsländern vor und das Unternehmen arbeite in der Business Social Compliance Initative (BSCI) darauf hin, dass dies auch eingehalten werde. Das bewertet die NGO jedoch offenbar als Lippenbekenntnis: Es gebe „kaum Anhaltspunkte“, dass Aldi das Problem der Niedriglöhne wirklich angehe. Da das Unternehmen alle Waren von Agenturen, also Mittelsmännern, kaufe, entziehe sich Aldi der Verantwortung, die eigenen Zulieferer zu kontrollieren. Diese Verantwortung bleibe aber bestehen. Quelle: dpa
CarrefourDer französische Konzern lässt in verschiedensten Ländern wie Brasilien, aber auch Bangladesch produzieren, allerdings nicht in eigenen Fabriken. Deshalb, so Carrefour, sei man auch nicht für die Angestelltenlöhne zuständig. Man sehe in der eigenen Charta aber vor, dass die Löhne die Grundbedürfnisse abdecken sollten. Dies ist der Clean Clothes Kampagne zu wenig: Allein ein Bekenntnis zu Grundbedürfnis deckenden Löhnen helfe den Arbeitnehmern wenig, wenn Carrefour keine Verantwortung für die Umsetzung übernehme. Quelle: REUTERS
Charles VögeleDas Schweizer Unternehmen beantwortete die Anfrage der Kampagne mit vorgefertigten Standardantworten der Businessvereinigung BSCI, beruft sich darauf, mit der Initiative auf Existenzlöhne hinzuarbeiten. Die BSCI ist eine Industrie-Initiative von mehr als 600 Unternehmen und wurde gegründet, um die Bemühungen der Branche zu bündeln. CCK kritisiert, dass der Standard nicht verpflichtend sowie kaum extern nachvollziehbar sei und dass er die Zulieferer nicht bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen unterstütze. Eine Firma wie Vögele, die im Heimatland und in Deutschland mit einer verantwortlichen Mitarbeiterpolitik und Ausbildungsbedingungen werbe, verstecke sich hinter der intransparenten Vereinigung. Noch dazu scheint problematisch, dass Vögele die Freiwilligkeit des Existenzlohns betont. Quelle: Handelsblatt Online
DecathlonMan bevorzuge eine „Schritt-für-Schritt“-Methode für die eigene Lieferkette, nach und nach sollten die Bedingungen verbessert werden. Das antwortete das französische Unternehmen Declathon von der Oxylane-Gruppe, das hier bei einer Expo-Aktion für Nacktshopper 2001 eine gewisse Lässigkeit und Humor zeigt, auf die CCK-Anfrage. Grundsätzlich stimme es einem Existenzlohn aber zu. Diese Form von Lockerheit und Lässigkeit findet die Organisation unpassend: „Ein Großunternehmen wie Oxylane kann es sich nicht leisten, keinen klar definierten Standpunkt zur zentralen Frage des Existenzlohns zu haben“, lautet der vernichtende Kommentar von CCK. Stattdessen müsse es seine Marktmacht nutzen, um die Zulieferer per Richtlinie an einen Existenzlohn zu binden. Quelle: AP

Inzwischen hat der Spanier vieles geändert. Als er startete, entwarfen die Designer praktisch 40 Prozent ihrer Entwürfe für die Tonne, weil sie beim Entwurf keine Rückmeldung der Verkaufsabteilung hatten und die Ware anschließend nie in den Verkaufsregalen landete. Heute sitzen die Kreativen in Abteilungen nach Produktgruppen zusammen, statt umständlich und zeitraubend per Mail zu verkehren. „Wie bei Esprit eine Hose, ein Rock oder ein T-Shirt entwickelt wurde und wie dabei Designer, Einkäufer und Techniker zusammenarbeiten, das war ineffizient und langsam“, sagt Martinez.

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