Elf Jahre sind vergangen, seit das Bundesjustizministerium erstmals Experten über Regelungen zum Konzerninsolvenzrecht beraten ließ. Jetzt ist es soweit. Diesen Samstag tritt das „Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen“ in Kraft. Allein, die Hoffnung auf den Start in eine „bessere Sanierungskultur“, die sich das Bundesjustizministerium von der Reform erhofft, teilen nicht alle. Im Gegenteil: Experten sehen zwar einige Fortschritte, warnen aber davor, die neuen Regelungen könnten für zusätzliche Reibungs- und Zeitverluste sorgen, die Verfahrenskosten nach oben treiben und das so genannte Forum Shopping, den gezielten Wechsel zu einem vermeintlich wohlgesinnten Gericht, erleichtern.
Dabei war die Grundidee durchaus überzeugend. Denn im deutschen Insolvenzrecht gab es bislang keine speziellen Regelungen für den Fall, dass eine ganze Unternehmensgruppe und nicht nur ein einzelnes Unternehmen in die Krise gerät. Für jede betroffene Firma eines Konzerns muss ein separates Insolvenzverfahren geführt werden, mit separaten Verwaltern und teils separaten Gerichtsständen. Das, so die Sorge, könnte eine einheitliche Rettung oder Abwicklung eines Konzerns erschweren - und so letztlich den Gläubigern schaden. Die in der Praxis häufig genutzte Variante, die Verfahren an einem Insolvenzgericht zu bündeln und de facto einen Hauptverwalter einzusetzen, waren zwar pragmatisch, aber nicht immer rechtssicher.
Genau das sollte das neue Konzerninsolvenzrecht eigentlich durch klare Vorgaben ändern. Doch „statt eindeutiger Regeln finden sich im Gesetz zahlreiche auslegungsbedürftige und nur schwer handhabbare Formulierungen“, kritisiert Christoph Niering, Vorsitzender des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID). „Das schafft Unsicherheiten in der Umsetzung.“
Die größten Unternehmensinsolvenzen 2017
Betroffene Mitarbeiter: 620 Beschäftigte
Nach der Insolvenz Anfang 2017 hat die matratzen direct AG das Verfahren bereits wieder beendet. Demnach bleiben 180 Filialen mit insgesamt 400 Mitarbeitern bestehen.
Quelle: Creditreforn
Betroffene Mitarbeiter: 641 Beschäftigte
Der insolvente Bettwarenhersteller Gebr. Sanders ist inzwischen mehrheitlich von der Wiener Grosso Holding übernommen worden.
Betroffene Mitarbeiter: 667 Beschäftigte
Der auf Dekoartikel spezialisierte Versandhändler Schneider musste im April Insolvenz anmelden. Im Zuge des Verfahrens wurde ein Käufer für Schneider gefunden – die Klingel-Gruppe, ebenfalls ein Versandhändler.
Betroffene Mitarbeiter: 900 Beschäftigte
Die bekannte Deko-Kette musste Anfang 2017 Insolvenz anmelden, konnte das Verfahren aber im September beenden. Die Sanierung hat allerdings deutliche Spuren im Unternehmen hinterlassen. Die Zahl der Filialen in Deutschland sank von 102 auf 74.
Betroffene Mitarbeiter: 1000 Beschäftigte
Rege stellt Teile vor Verbrennungsmotoren her, unter anderem Zylinderköpfe, Pleuel und Kurbelgehäuse. Bereits 2016 mussten Stellen gestrichen werden, im Januar 2017 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Betroffene Mitarbeiter: 1850 Beschäftigte
Der Solarhersteller Solarworld AG hat im Mai 2017 Insolvenz angemeldet. Es bestehe „keine positive Fortbestehensprognose“ mehr, teilte das Unternehmen in einer Pflichtmitteilung an die Börse mit. Noch Ende März hatte das Unternehmen seine Finanzlage als beherrschbar dargestellt.
Betroffene Mitarbeiter: 2193 Beschäftigte
Nachdem die HSH Nordbank als wichtigster Kreditgeber des Unternehmens ihre Zustimmung zur geplanten Umstrukturierung der Rickmers-Schulden verweigert hat, war der Gang vor den Insolvenzrichter unvermeidbar.
Betroffene Mitarbeiter: 2200 Beschäftigte
Seit dem Börsengang 1995 hatte Alno mit einer Ausnahme durchgängig Verluste geschrieben. Auch mehrere Restrukturierungen konnten das Unternehmen nicht retten. Allen Mitarbeitern wurde im Herbst 2017 gekündigt, im Januar soll die Produktion mit etwa 300 Mitarbeitern wieder anlaufen – aber in der neu gegründeten Alno GmbH, nicht mehr der Alno AG.
Betroffene Mitarbeiter: 6000 Beschäftigte
Im Juni wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Laut dem Unternehmen habe das Schutzschirmverfahren nichts mit operativen Problemen zu tun, sondern diene "ausschließlich der mit unseren Banken abgestimmten Lösung zur Bereinigung eines Altschuldenproblems aus 2008". Das habe auf die Mitarbeiter und die Beschäftigungsverhältnisse keinen Einfluss.
Betroffene Mitarbeiter: 8656 Beschäftigte
Im August musste die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Insolvenz anmelden. Ende Oktober musste Air Berlin den Betrieb einstellen.
Die Unklarheiten fangen schon beim Namen an. „Das Gesetz betrifft nicht nur Großkonzerne, sondern bezieht sich auf Unternehmensgruppen“, sagt der erfahrene Hamburger Insolvenzverwalter Stefan Denkhaus, Partner der Kanzlei BRL. „Eine Gruppe können auch zwei Firmen sein.“ Es geht also nicht nur um Konzerne von Arcandor- oder Air-Berlin-Format, sondern im Zweifel auch um eine GmbH & Co. KG. „Unverständlich ist, warum der Gesetzgeber bestehende handelsrechtliche Vorgaben nicht übernommen hat, sondern die komplexen Neuregelungen auch auf Kleinstunternehmen anwenden will“, sagt VID-Vorsitzender Niering dazu.
Als relevanteste Neuerung gilt indes die Einführung eines so genannten Gruppen-Gerichtsstands. „Für alle Gesellschaften, die zu einer Unternehmensgruppe gehören, kann künftig ein einziges Gericht als das zuständige ausgewählt werden“, erklärt Denkhaus. Doch wo die Verfahren am Ende gebündelt werden, soll von mehreren Faktoren abhängen. Das wichtigste Kriterium sei die Zahl der Arbeitsplätze vor Ort, so Denkhaus. „Das klingt zunächst einleuchtend, kann bei Holding-Gesellschaften mit wenigen Arbeitnehmern aber problematisch werden.“ In jedem Fall gebe es erheblichen Spielraum bei der Wahl des Gerichtsstands.
Auch sonst bleibt vieles dem Gestaltungswillen der Beteiligten überlassen. Etwa, ob ein so genannter Verfahrenskoordinator eingesetzt wird. „Bei Konzerninsolvenzen treten regelmäßig Interessenskonflikte zwischen den einzelnen Gesellschaften des Konzerns auf“, sagt Philipp Esser von der Insolvenzkanzlei Schultze & Braun. „Wenn die Insolvenzenzverwalter diese Konflikte alleine nicht lösen können, kommt der Verfahrenskoordinator ins Spiel, der die Einzelverfahren im Blick hat und als Mediator wirken soll.“ Unter anderem darf er eine Art Masterplan für den Konzern entwerfen, an dem sich seine beteiligten Kollegen orientieren sollen.
Was passiert, wenn Verwalter nicht mitziehen, bleibt indes offen, der Koordinator hat kein Weisungsrecht. „Wie das Koordinationsverfahren konkret ablaufen soll, wurde nicht geregelt. Das lässt zu viel Interpretationsspielraum“, sagt Esser. Zudem könnte ein Verfahrenskoordinator „erhebliche zusätzliche Kosten verursachen“, warnt Denkhaus. Sein Fazit: „Insgesamt ist die Reform ein Schritt in die richtige Richtung, birgt aber auch die Gefahr recht bürokratisch zu werden.“