Probleme der Chip-Industrie „Der Chip-Engpass wird sich auf weitere Bereiche ausdehnen“

Quelle: dpa

Der aktuelle Chip-Mangel ist eigentlich kein neues Phänomen, sagt Markus Golinski. Der Fondsmanager erklärt, wie lange der Engpass noch andauern wird und warum dieses Jahr wohl nicht weniger Autos verkauft werden.

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Markus Golinski ist seit 2014 Fondsmanager bei Union Investment. Neben der Analyse von Technologiewerten ist Golinski für zwei Wachstumsfonds verantwortlich. Das Interview mit ihm wurde im Februar 2021 geführt.

WirtschaftsWoche: Chips gelten derzeit als Mangelware. In der Autoindustrie führt der Halbleiter-Engpass bereits zu Produktionsstopps. Wie dramatisch ist die Lage?
Markus Golinski: Wir erleben gerade eine größere Knappheit bei Halbleitern für die Autobranche. Das zeigen die Zahlen ganz eindeutig. Marktschätzungen gehen davon aus, das alleine im ersten Quartal die Produktion von rund 1 Million Autos durch fehlende Sensoren und Microcontroller betroffen ist und sich die Lieferzeiten für diese Bauteile mehr als verdoppelt haben. Andererseits sind Produktionsengpässe – wenn auch nicht in diesem Ausmaß – in der Halbleiterindustrie nichts Neues. Erinnert sei nur an die Folgen von früheren Erdbeben in Taiwan und Japan oder die anhaltenden Lieferprobleme bei Microprozessoren von Intel. Die Autoindustrie findet in der Presse klassischerweise viel Gehör. Auch deshalb findet der aktuelle Chip-Mangel in der öffentlichen Diskussion derzeit so viel Widerhall.

Wer ist verantwortlich für den aktuellen Chip-Mangel?
Die meisten Chips werden nicht direkt an die Autoindustrie geliefert, sondern an deren Zulieferer. Die wurden im Frühjahr 2020 aufgrund der Krise einfach zu vorsichtig, weil der Automarkt ja auch ziemlich am Boden lag und haben aus Angst vor zu hohen Lagerbeständen die Bestellungen deutlich gekürzt. Dabei haben die Zulieferer und Hersteller die Erholung des Automarktes aber deutlich unterschätzt. Hinzu kommt, dass die freiwerdenden Kapazitäten bei den Chip-Auftragsfertigern sofort von anderen Branchen aufgesogen wurden, etwa Consumer Electronics oder Mobilfunk, also Branchen, bei denen die Nachfrage trotz oder gerade wegen Corona gestiegen ist.

Ganz naiv gefragt: Warum erhöhen Infineon und andere Chiphersteller nicht einfach ihre Produktionskapazitäten?
Das ist so schnell leider nicht möglich. Zur Eigenheit der Chipindustrie gehört die Langfristigkeit der Planung. Der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten ist sehr zeit- und vor allem kapitalintensiv. Und selbst wenn die vorhandenen Produktionskapazitäten wieder auf Halbleiter für die Automobilindustrie umgestellt würden, würde das einige Zeit dauern. Der Chip, der heute in die Produktion geht, kann erst in drei Monaten bis sechs Monaten verbaut werden. Schnelles und flexibles Handeln ist keine Kategorie in der Produktion von Chips.

Wann rechnen Sie mit einer Entspannung des Chipmangels?
Ich gehe davon aus, dass die Engpässe bis zur Jahresmitte andauern und sich zunächst einmal sogar auf andere Bereiche ausdehnen. In der zweiten Jahreshälfte dürfte sich die Lage deutlich entspannen, da dann neue Kapazitäten auf den Markt kommen. Zudem sollte sich bis dahin dann auch die verstärkte Nachfrage im Bereich Personal Computer normalisieren. Durch das Arbeiten im Home Office ist dieser chipintensive Bereich in den vergangenen Monaten sehr stark gewachsen.

40 Prozent des Umsatzes von Infineon hängen an der Automotive-Industrie. Besteht für den Konzern nicht die Gefahr, durch den aktuellen Chipmangel seine wichtigsten Kunden zu verprellen?
Die Gefahr sehe ich nicht. Und das aus einem ganz einfachen Grund: Die Automotive-Industrie hat einfach keine Alternativen. Bei vielen Produkten von Infineon ist ein Ausweichen auf Wettbewerber aufgrund langwieriger Qualifizierungsprozesse nicht möglich. Und selbst wenn sie das könnten: die Wettbewerber von Infineon haben genau die gleichen Probleme. Einen Microcontroller könnte man statt bei Infineon auch bei Renesas bestellen. Aber Renesas kann den im Moment eben auch nicht liefern. Der Chip-Engpass ist global. Ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass über das Jahr betrachtet wirklich deutlich weniger Autos verkauft werden. Wenn ein neu bestellter Golf nun statt in 6 Wochen erst in 12 Wochen kommt, wird das wahrscheinlich nicht zu einer Abbestellung führen. Zumal der Kunde ein anderes Auto auch nicht früher bekommt.

Der Engpass bei Halbleitern spitzt sich für die deutsche Industrie zu. „Wir fahren auf Sicht“, heißt es aus der Autoindustrie. Produktionsbänder stehen zeitweise still und Schadensersatzansprüche werden diskutiert.
von Annina Reimann

Wird Infineon von dem Chipengpass profitieren?
Die Halbleiterhersteller sind derzeit in einer komfortablen Position. Und das wird die nächsten zwölf Monate wohl auch so bleiben. Das gilt nicht nur für Infineon, sondern generell für alle Halbleiterhersteller. Nicht umsonst sprechen viele in der Branche bereits von Vollauslastung und sehr niedrigen Lagerbeständen. Die Branche ist zwar zyklisch, aber zugleich steht die Chipindustrie in vielen Bereichen gerade erst am Anfang des Aufschwungs. Und auch langfristig wird das Gewinnwachstum des Sektors überdurchschnittlich bleiben. Die verstärkte Auslagerung der kapitalintensiven Produktion an Auftragshersteller wie TSMC führt zwar aktuell zu Engpässen, hilft jedoch enorm, auch im Abschwung die Kosten besser im Griff zu haben. Führende Anbieter wie Nvidia, AMD oder Qualcomm konzentrieren sich vollständig auf Entwicklung, Design und Vermarktung.

Werden die Chips jetzt teurer?
Es wurde zwar kolportiert, dass viele Chiphersteller die Situation ausnutzen und die Preise um bis zu 20 Prozent erhöhen. Solche Schlagzeilen sollte man allerdings mit großer Vorsicht genießen. Es mag vorkommen, dass Chiphersteller solche Preissteigerungen bei Neuverträgen derzeit durchsetzen können. Aber gerade mit der Automobilindustrie haben die Halbleiterkonzerne in der Regel langlaufende Verträge. Nicht selten sehen die Verträge sogar vor, dass sich der Stückpreis im Zeitablauf bei größerer Abnahme verbilligt. Und so einen Vertrag kann ein Halbleiterhersteller auch nicht so einfach einseitig beenden. Natürlich wird es bei zusätzlichen Bestellungen Nachverhandlungen angesichts des aktuellen Chipmangels geben. Aber der Großteil der Chipauslieferung beruht auf bestehenden Verträgen.

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Die Konsolidierung in der Chipbranche geht weiter. Es gibt Gerüchte, dass Samsung an Infineon interessiert ist. Könnte Infineon zum Übernahmekandidaten werden?
Diese Gerüchte kommen regelmäßig hoch. Zweifelsohne ist Infineon ist mit seinem Fokus auf Zukunftsfelder wie Elektrifizierung der Mobilität und seiner Technologieführerschaft im Bereich der Energieeffizienz für einige Wettbewerber ein interessantes Übernahmeziel. Befeuert werden solche Gerüchte natürlich durch die herrschende Konsolidierung in der Branche, wo es immer wieder zu riesigen Übernahmen kam oder solche zumindest versucht wurden. 2018 wollte etwa Broadcom den Konkurrenten Qualcomm für mehr als 140 Milliarden Dollar übernehmen. Wir werden sicher noch einige spektakuläre Übernahmen in der Chipbranche sehen. Ob Infineon davon betroffen sein wird oder nicht, das kann man im Moment einfach nicht seriös beantworten.

Mehr zum Thema: Die chinesische Führung betont, dass der Aufbau einer starken Halbleiterindustrie mit aller Macht vorangetrieben werden soll. Und das nicht ohne Grund: Chinas Rückstand ist gewaltig.

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