„Wenn Sie versuchen, eine Sparte auszugliedern, ist das wirklich schwierig, weil man fast alles neu aufbauen muss.“
„Bis vor kurzem waren die Geschäfte nicht stark genug, heute sind sie es. Flinker und agiler zu werden, ist für uns der einzige Weg zum Erfolg.“
Zwischen diesen beiden Aussagen von HP-Chefin Meg Whitman liegen etwa drei Jahre. Im Oktober 2011, rund einen Monat, nachdem Whitman den Chefposten von Léo Apotheker übernommen hatte, verwarf sie dessen Pläne, die PC-Sparte von Hewlett-Packard abzuspalten. Pläne, die sie zuvor mitgetragen hatte.
Am 6. Oktober 2014 verkündete sie den Strategiewechsel. Binnen eines Jahres will sich der einst größte PC-Verkäufer der Welt in zwei Unternehmen aufspalten: Hewlett-Packard Enterprises bündelt die erfolgreichen Dienstleistungs-Sparten Software, Services und Server. In der HP Inc. werden die kränkelnden Einheiten Drucker, Desktop-PCs und Laptops zusammengefasst. Hewlett-Packard Enterprises wird Meg Whitman selbst leiten, bei HP Inc. dem Verwaltungsrat – vergleichbar mit dem deutschen Aufsichtsrat – vorstehen.
Im Idealfall entstehen zwei erfolgreiche Unternehmen
Den Eindruck, dass HP – ähnlich wie die Finanzindustrie vor einigen Jahren – unprofitable Geschäftsteile in eine Art „Bad Bank“ abgeschoben hat, wollen Analysten aber nicht bestätigen. „Ich erwarte, dass Hewlett-Packard Enterprises viel schneller und aggressiver durchstarten wird“, sagt Holger Mueller, Vice President und Chefanalyst bei Constellation Research.
Begrifflichkeiten bei Unternehmenstrennungen
Der bisherige Rechtsträger wird aufgelöst. Das Vermögen geht an mindestens zwei Rechtsträger über. Dies kann, wie zum Beispiel bei HP, auf zwei neu gegründete Rechtsträger übergehen (Aufspaltung zur Neugründung; § 123 Abs. 1 UmwG) oder auf andere bestehende Rechtsträger übertragen werden (Aufspaltung durch Aufnahme).
Lediglich ein oder mehrere Teile, die für sich eine abgrenzbare Einheit bilden, gehen auf bestehende oder neu zu gründende Rechtsträger über. Der der ursprüngliche Rechtsträger bleibt bestehen (§ 123 Abs. 2 UmwG). Ein Beispiel ist die Abspaltung der Spezialchemie-Sparte von Bayer im Jahr 2005, die seitdem als Lanxess eigenständig ist.
Der alte Rechtsträger bleibt bestehen. Anders als bei der Abspaltung, erhalten aber nicht die Anteilseigner des übertragenden Rechtsträgers Anteile an dem übernehmenden oder neuen Rechtsträger - sondern dieser selbst (§ 123 Abs. 3 UmwG).
Bei einem Spin-off bekommen die bestehenden Aktionäre Aktien an der abspaltenden Tochter. Dessen gesamten Anteile werden an der Börse notiert. Beim Equity Carve-out wird hingegen nur eine Minderheit der Anteile der abzuspaltenden Tochter an die Börse gebracht. Der Vorteil für das Mutterunternehmen: Sie behält die Kontrolle, die Erträge aus dem Börsengang fließen in die eigene Tasche. Nachteil: Die Muttergesellschaft hat keine Kontrolle über die an der Börse gehandelten Aktien und deren Besitzverhältnisse. Zudem unterliegt das Tochterunternehmen den strengen Kontroll- und Veröffentlichungsvorschriften einer börsennotierten Gesellschaft.
Doch auch die HP Inc. könnte sich zum Positiven wenden: Sie könnte etwa ein hochpreisiges Top-Label werden. Insgesamt werde die neue Organisationsstruktur den Fokus und die Intensität beider Unternehmen stärken, so Muellers Fazit. Daran habe es der alten HP gemangelt.
Sollte sich das PC- und Druckergeschäft von HP Inc. in der Tat erholen, wäre für Christoph Schalast von der Frankfurt School of Finance & Management der zentrale Punkt für eine erfolgreiche Aufspaltung gegeben. „Durch die Spaltung sollten zwei Unternehmen entstehen, die sich auf unterschiedliche Geschäftsmodelle fokussieren und so beide Erfolg haben können“, sagt der Professor für Fusionen und Übernahmen. „Das ist meist besser als ein ungewolltes Anhängsel als einem großen Unternehmen zu sein.“
Anzahl angekündigter Spinoffs weltweit
Anzahl: 139
Wert: 32,4 Milliarden Euro
Quelle: Institute of Mergers, Acquisitions and Alliances
Anzahl: 156
Wert: 93,2 Milliarden Euro
Anzahl: 199
Wert: 122,8 Milliarden Euro
Anzahl: 256
Wert: 217,9 Milliarden Euro
Anzahl: 206
Wert: 84,8 Milliarden Euro
Anzahl: 205
Wert: 19,9 Milliarden Euro
Anzahl: 213
Wert: 65,2 Milliarden Euro
Anzahl: 264
Wert: 131,1 Milliarden Euro
Anzahl: 173
Wert: 37,4 Milliarden Euro
Anzahl: 198
Wert: 41,7 Milliarden Euro
Anzahl: 140
Wert: 17,7 Milliarden Euro
YTD = 1.1.-12.10.2014
Quelle: Institute of Mergers, Acquisitions and Alliances
Damit liegt HP voll im Trend – denn in den vergangenen Wochen und Monaten haben einige Weltkonzerne entschieden, sich aufzuspalten.
- Ebay hat angekündigt, seinen Online-Bezahldienst Paypal von dem Auktionsgeschäft zu trennen.
- Der niederländische Philips-Konzern spaltet sein traditionsreiches Beleuchtungsgeschäft vom Rest des Unternehmens ab.
- Der IT-Spezialist Symantec will seine auf Antiviren-Programme ausgerichtete Software-Sparte von dem Geschäft mit Speichermodulen trennen und in zwei Unternehmen weiterführen.
Diese Beispiele zeigen: Vom einstigen Credo „Bigger is better“ haben sich nicht nur US-Unternehmen längst verabschiedet. Aber warum? Und ist solch ein Schritt immer sinnvoll?
Zum Teil kommt die Motivation für die Aufspaltung von den Unternehmen selbst. Dies könne durchaus Sinn ergeben, sagt zum Beispiel Christopher Kummer, Präsident des Institute of Mergers, Acquisitions and Alliances (IMAA) in Wien. „So hat etwa Philip Morris sein US-Geschäft abgespalten, um die lokalen Risiken des amerikanischen Tabakmarkts mit extrem hohen Schadensersatzzahlungen vom Rest des Konzerns abzukoppeln.“
Entwicklung der Marktwerte der größten Spin-offs seit 2004
Unternehmenswert vor der Spaltung (2007): 82 Milliarden Dollar
Abgespaltene Unternehmen: Morgan Stanley (69 Milliarden Dollar), Discover (30 Milliarden Dollar)
Gesamtwert nach der Spaltung: 99 Milliarden Dollar
Veränderung seit der Spaltung: 21 Prozent (S&P 500 im selben Zeitraum: 31 Prozent)
Quelle: Wall Street Journal
Unternehmenswert vor der Spaltung (2006): 46 Milliarden Dollar
Abgespaltene Unternehmen: Viacom (32 Milliarden Dollar), CBS (28 Milliarden Dollar), CBS Outdoor (3,6 Milliarden Dollar)
Gesamtwert nach der Spaltung: 64 Milliarden Dollar
Veränderung seit der Spaltung: 39 Prozent (S&P 500 im selben Zeitraum: 58 Prozent)
Unternehmenswert vor der Spaltung (2012): 91 Milliarden Dollar
Abgespaltene Unternehmen: Conoco (92 Milliarden Dollar), Phillips 66 (43 Milliarden Dollar)
Gesamtwert nach der Spaltung: 135 Milliarden Dollar
Veränderung seit der Spaltung: 48 Prozent (S&P 500 im selben Zeitraum: 41 Prozent)
Unternehmenswert vor der Spaltung (2013): 103 Milliarden Dollar
Abgespaltene Unternehmen: AbbVie (93 Milliarden Dollar), Abbott Labs (63 Milliarden Dollar)
Gesamtwert nach der Spaltung: 156 Milliarden Dollar
Veränderung seit der Spaltung: 51 Prozent (S&P 500 im selben Zeitraum: 38 Prozent)
Unternehmenswert vor der Spaltung (2007): 185 Milliarden Dollar
Abgespaltene Unternehmen: Philip Morris International (132 Milliarden Dollar), Altria (92 Milliarden Dollar), Mondelez (58 Milliarden Dollar), Kraft Foods (33 Milliarden Dollar)
Gesamtwert nach der Spaltung: 315 Milliarden Dollar
Veränderung seit der Spaltung: 70 Prozent (S&P 500 im selben Zeitraum: 39 Prozent)
Unternehmenswert vor der Spaltung (2009): 30 Milliarden Dollar
Abgespaltene Unternehmen: Time Warner (64 Milliarden Dollar), Time Warner Cable (40 Milliarden Dollar), AOL (3,4 Milliarden Dollar), Time Inc. (2,5 Milliarden Dollar)
Gesamtwert nach der Spaltung: 110 Milliarden Dollar
Veränderung seit der Spaltung: 267 Prozent (S&P 500 im selben Zeitraum: 141 Prozent)
Symantec begründet seine Entscheidung unter anderem mit den unterschiedlichen und jeweils einzigartigen Marktchancen und Herausforderungen in der IT-Security- und Speicher-Branche. „Es ist klar geworden, dass beide Sparten unterschiedliche Strategien und fokussierte Investitionen benötigen“, sagte Unternehmenschef Michael Brown. „Symantec in zwei unabhängig börsennotierte Firmen aufzuspalten, wird beiden Geschäftszweigen die Flexibilität geben und den Wert für die Shareholder erhöhen.“
Theoretisch klingt das plausibel. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Und welche Erfahrungen haben andere Unternehmen in der Vergangenheit gemacht?
Time Warner gewinnt nach Abspaltung massiv an Wert
Fakt ist: Meist wird die Aufspaltung den Unternehmen aufgezwungen – von den eigenen Geldgebern. „Investoren sehen Aufspaltungen, oder zumindest die Forderung danach, als wesentliches Einflussinstrument“, sagt der Frankfurter Professor Schalast. Das Kalkül der Investoren: Die separierten Unternehmensteile sind in Summe an der Börse wertvoller als das ursprüngliche Unternehmen – und lassen so bei den Anteilseignern die Kasse klingeln.
Das wohl extremste Beispiel der vergangenen Jahre ist die Auftrennung von Time Warner. 2009 lag der Unternehmenswert bei rund 30 Milliarden Dollar. Dann wurden das Kabelfernsehen als Time Warner Cable, die einstige Online-Größe AOL und das Medienunternehmen Time Inc. abgespalten.
Heute summieren sich die Werte der Einzelunternehmen auf 110 Milliarden Dollar – ein Plus von 267 Prozent in fünf Jahren. Der Kurs des S&P 500 ist im selben Zeitraum nur um 141 Prozent gestiegen.
Doch der reine Blick auf die Unternehmenswerte greift meist zu kurz. „Um den Erfolg einer Aufspaltung bewerten zu können, müssen die Kurse über einen längeren Zeitraum betrachtet werden“, sagt Schalast. „Dafür gibt es aber kaum empirische Messmethoden, da zahlreiche andere Faktoren die Kurse beeinflussen.“
Paradigmenwechsel in den USA
Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Jay Ritter, Finanzprofessor an der Universität von Florida. In einer langfristigen Auswertung von 166 Ausgliederungen seit 1980 lagen die Renditen mehr oder weniger auf dem Marktniveau. Positive Effekte, die alleine auf die Abspaltung zurückzuführen sind, hielten allerdings meist nicht lange.
Dennoch scheint sich – zumindest in den USA – ein Paradigmenwechsel in der Unternehmenswelt anzubahnen. Im harten internationalen Wettbewerb stören sich die Investoren zunehmend an der Größe einer Firma. Sie drängen darauf, sich von langsamer wachsenden Bereichen zu trennen - und sich stattdessen auf die Filetstücke der Geschäfte zu konzentrieren.
Anzahl Spin-offs nach Land und Anzahl seit 2010
Anzahl: 17
Wert: 0,4 Milliarden Euro
Quelle: Institute of Mergers, Acquisitions & Alliances
Anzahl: 21
Wert: 0,5 Milliarden Euro
Anzahl: 27
Wert: 3,3 Milliarden Euro
Anzahl: 29
Wert: 2,2 Milliarden Euro
Anzahl: 29
Wert: 4,9 Milliarden Euro
Anzahl: 43
Wert: 0,0 Milliarden Euro (die Volumina der Transaktionen lag unter 100 Millionen Euro)
Anzahl: 75
Wert: 13,7 Milliarden Euro
Anzahl: 78
Wert: 12,2 Milliarden Euro
Anzahl: 127
Wert: 4,0 Milliarden Euro
Anzahl: 309
Wert: 185,7 Milliarden Euro
Quelle: Institute of Mergers, Acquisitions & Alliances
Aus Sicht des aktivistischen Investors Trian Fund Management muss sich heute ein Unternehmen das Privileg verdienen, ein Mischkonzern sein zu dürfen. Die Verantwortlichen von Pepsico werden das nicht gerne hören.
Hier fordert Trian die Aufspaltung in das Limonaden- und Snack-Geschäft. Bei Kraft hat Trian die Zerschlagung bereits durchgesetzt – die abgetrennte Snack-Sparte firmiert heute als Mondelez und hat die einstige Mutter beim Börsenwert bereits überholt.
„Die Motivation für M&E-Aktivitäten hat sich geändert“, sagt Christoph Schalast. „In den Sechzigerjahren hieß es überall: Bildet Konglomerate. Damit wurden die Großunternehmen unabhängiger von der Konjunktur und konnten Schwankungen in einem Bereich mit einem anderen ausgleichen. Heute steht eher die Fokussierung im Vordergrund.“
Christopher Kummer will daraus aber keinen weltweiten Trend ableiten. „2013 waren sowohl die Anzahl der Spin-off- und Carve-out-Aktivitäten als auch die Transaktionsvolumina höher als im laufenden Jahr“, sagt der IMAA-Präsident. „Rund 85 Prozent der Aufspaltungen finden in den USA statt. Dort hat man mehr aktivistische Investoren, die oft eine Aufspaltung fordern.“
Deutsche Konzerne sind erwachsen geworden
Von diesen Forderungen seien rund 40 Prozent erfolgreich und würden am Ende zu einer Auf- oder Abspaltung führen. Doch diese Zahl ist umstritten, da sie nur Auf- und Abspaltungen erfasst – nicht aber weitere Reformen und Restrukturierungen im Unternehmen, die der Investor mit seiner Forderung womöglich angestoßen hat.
Bei all dem Streben nach Gewinnen und Börsenwerten sollten Investoren ihre Forderungen nach einer Aufspaltung mit Bedacht formulieren. Denn eine Aufspaltung zieht häufig viele Kosten nach sich – zum Beispiel Umzüge, den Aufbau einer zweiten Buchhaltung oder die Honorare für Anwälte und Notare.
HP und Philips wollen die Aufspaltung jeweils innerhalb eines Jahres vollzogen haben. Es kann sich aber auch bedeutend länger hinziehen. Wie lange, das zeigte einst ein Beispiel aus Deutschland.
Obwohl der DaimlerChrysler-Konzern keine zehn Jahre existierte, dauerte es nach der Trennung 2007 noch weitere fünf Jahre, bis die letzten operativen Einheiten getrennt waren. Die vom damaligen Daimler-Chef Jürgen Schrempp anvisierte Welt AG entwickelte sich zu einem schwer kontrollierbaren Bürokratiemonster.
Die Aufarbeitung der Fusion mit Chrysler und der gescheiterten Beteiligungen an Mitsubishi und Hyundai überlies Schrempp seinem Nachfolger Dieter Zetsche: Schrempp schied bereits 2005 aus dem Konzern aus.
„DaimlerChrysler ist eine große Ausnahme, das war eine Elefantenhochzeit und eine Elefantenscheidung“, sagt der Frankfurter Professor Schalast. „Sonst gibt es juristische und betriebswirtschaftliche Instrumente, mit denen eine Aufspaltung schnell und effizient abgewickelt werden kann.“
An diesen Instrumenten haben sich in den vergangenen Wochen auch zahlreiche deutsche Konzerne bedient – wenn auch mit deutlich kleineren Summen. Mitte September kündigte etwa der Pharma- und Chemiekonzern Bayer an, seine Kunststoffsparte MaterialSciences bis 2016 an die Börse bringen zu wollen.
„Unsere Absicht ist es, zwei globale Top-Unternehmen zu schaffen: Bayer als Innovationsunternehmen von Weltrang bei den Life-Science-Geschäften und MaterialScience als führendes Unternehmen bei den Polymeren“, sagte damals Bayer-Vorstandchef Marijn Dekkers. Wenig später kündigte die Bayer-Agrartochter CropScience an, das Unternehmen Granar in Paraguay zu übernehmen. So will sich der Konzern gezielt im Geschäft mit Soja-Saatgut in Lateinamerika verstärken.
Einen komplett anderen Weg schlägt der Darmstädter Pharmakonzern Merck KGaA ein. Statt sich wie Bayer auf das Pharma-Geschäft zu beschränken, kauft Merck für 13 Milliarden Dollar den US-Life-Science-Spezialisten Sigma-Aldrich. Während Bayer zum fast 100-prozentigen Pharmakonzern wird, nimmt bei Merck durch den US-Zukauf die Bedeutung des Medikamentengeschäfts ab.
„Ich finde es interessant, wie große deutsche Konzerne in den vergangenen Wochen das ganze Instrumentarium von Abspaltungen bis hin zu strategischen Zukäufen nutzen“, sagt Schalast. „Das zeigt, wie erwachsen die Unternehmen geworden sind.“