
Tim Höttges liebt das Spiel mit großen Zahlen – insbesondere, wenn er damit die Bundesregierung beeindrucken kann. Im „Gigabit-Zeitalter“ wachse der Datenverkehr explosionsartig, argumentiert der Telekom-Chef gerne. Langfristig brauche deshalb jeder Haushalt superschnelle Glasfaseranschlüsse. Bis zu 80 Milliarden Euro würde der Neubau solcher Datenautobahnen kosten. Die Bundesnetzagentur müsse deshalb für die Unternehmen mehr Anreize für Investitionen schaffen, statt auf Preissenkungen zu setzen.
Meist berufen sich Höttges und seine Lobbyisten auf Hochrechnungen wie die des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (Wik) aus Bad Honnef bei Bonn. Danach brauche die „digitale Avantgarde“ in Deutschland – das sind rund 6,8 Millionen Haushalte und 300.000 Unternehmen – schon in zehn Jahren einen superschnellen Internetanschluss, der die Übertragungsrate auf 350 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) im Downstream und 320 Mbit/s im Upstream beschleunigt. Zum Vergleich: Rund zwei Drittel aller Festnetz-Kunden in Deutschland nutzt derzeit einen Internet-Anschluss mit maximal 16 Mbit/s.
Die Internet-Anschlüsse der deutschen Haushalte
...besitzen einen Internet-Anschluss von 50 Megabit pro Sekunde und mehr.
Stand: Sommer 2014; Quelle: TÜV Rheinland
...besitzen einen Internet-Anschluss von 30 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 16 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 6 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 2 Megabit pro Sekunde und mehr.
...besitzen einen Internet-Anschluss von 1 Megabit pro Sekunde und mehr.
Deutschland nur auf Platz 28
Auch Industrievertreter wie BDI-Präsident Ulrich Grillo fordern einen schnelleren Ausbau digitaler Infrastrukturen und argumentieren dabei mit den Wik-Prognosen. „Unser Land, die mit Abstand größte Industrienation unseres Kontinents, dümpelt weltweit auf Platz 28, wenn es um die Surfgeschwindigkeit geht“, erklärte Grillo kürzlich im „Handelsblatt“. Die Regulierung müsse deshalb innovations- und investitionsfreundlicher werden.
Denn der Staat könne diese Investitionen in Milliardenhöhe nicht aufbringen. Ein schnellerer Ausbau von Glasfasernetzen, die weit über die von der Bundesregierung angestrebte Zielmarke von 50 Mbit/S bis 2018 für jeden Haushalt hinausgeht, sei deshalb das Gebot der Stunde. „Der Erfolg von Industrie 4.0, vernetzten Medizindiensten und intelligenter Mobilität hängt an schnellen und zuverlässigen Netzen“, so Grillo.





In internen Bedarfsprognosen, die als Grundlage für den künftigen Netzausbau dienen, zeichnet die Telekom ein ganz anderes Bild, das den alten Kupferkabeln ein viel längeres Überleben sichert. Danach nimmt der Datenverkehr gar nicht so explosionsartig zu, wie die Telekom manchmal öffentlich suggeriert. Ulrich Nitschke, für den Breitbandausbau in Deutschland zuständiger Bereichsleiter, sieht für einen besonders internetaffinen Vier-Personen-Haushalt auch in zehn Jahren nur einen Maximalbedarf von exakt 208 Mbit/s beim Download. Beim Upload sind es sogar nur 50 Mbit/s. Die Geschwindigkeit reiche locker aus, damit die gesamte Familie gleichzeitig an verschiedenen Geräten hochauflösendes 3D-Fernsehen schauen, Videotelefonate führen und Streaming-Dienste nutzen könne.Insbesondere den Austausch in den sozialen Netzwerken schätzt die Telekom viel nüchterner ein.
Längst nicht so viele werden demnach Videos und Fotos verschicken, wie das Wik prophezeit hat. Selbst die Geschäftskunden kommen nach Ansicht der Telekom 2026 mit 200 Mbit/s gut zurecht: „95 Prozent der Unternehmen haben einen Bandbreitenbedarf wie Privatkunden“, schätzt die Telekom. „Nur für den Rest ist ein punktueller Ausbau von Glasfaser notwendig.“