WirtschaftsWoche: Herr Freise, Sie haben nach Ihrem Berufsstart beim Beratungshaus McKinsey ein Unternehmen gegründet, das eigentlich in vielversprechende Start-ups investieren sollte. Heute arbeiten Sie aber bei einer großen Investmentfirma. Funktioniert Unternehmertum in Deutschland nicht?
Freise: Doch, Deutschland ist bekannt für exportstarke Unternehmen, die mit ausgetüftelten Produkten – oft aus dem Maschinenbau – die internationale Kundschaft begeistern. Allerdings ist die Bereitschaft junger Leute, Unternehmen zu gründen und aufzubauen, traditionell eher schwach ausgeprägt. Aber das ändert sich rasant. Als ich Mitte der 90er Jahre meinen Abschluss an der Koblenzer Wirtschaftshochschule WHU gemacht habe, hat sich dort nur ein sehr geringer einstelliger Prozentsatz als Gründer versucht. Heute sind es 15 Prozent eines Absolventenjahrgangs, die ein eigenes Unternehmen aufbauen wollen.
Trotzdem sind die Amerikaner offenbar unangefochtene Champions, wenn es darum geht, Start-ups in erfolgreiche Großunternehmen zu verwandeln. Was machen Deutsche und Europäer falsch?
Es stimmt, dass US-Unternehmen wie Google, Amazon oder Facebook, die erst vor kurzer Zeit entstanden sind, derzeit das Internet und den Onlinehandel dominieren. Aber die amerikanische Dominanz ist eine Momentaufnahme, wie wir in einer aktuellen KKR-Studie aufzeigen. Die Zeit der Europäer wird kommen und es wird unserer Ansicht nach demnächst mehr europäische Champions in der Internetwirtschaft geben. Wie stark sich die strategischen Gewichte verschieben können, zeigen Zahlen des Marktforschungsunternehmens Comscore zum globalen Digitalmarkt: 1996 waren zwei Drittel aller privaten Internetnutzer US-Amerikaner, doch mittlerweile hat sich das Netz so stark in der ganzen Welt verbreitet, dass nur noch 13 Prozent der Nutzer in den Vereinigten Staaten sitzen.
Was bedeutet das für Europa?
Der europäische Digitalmarkt ist sogar größer als der in den USA. Dazu gibt es ein paar auf den ersten Blick trockene Zahlen, die ich aber spektakulär finde: Allein in den EU-Staaten leben 368 Millionen Internetnutzer und 193 Millionen Facebook-Mitglieder. Denen stehen nur 245 Millionen US-Netznutzer und 166 Millionen amerikanische Facebook-Profile gegenüber. Zudem verfügen 72 Prozent der Europäer über einen schnellen Breitbandinternetzugang. Solche Anschlüsse sind damit in Europa sogar etwas weiter verbreitet als in den USA. Und die Bereitschaft der Konsumenten, das Internet zu nutzen, scheint zum Teil sogar stärker ausgeprägt zu sein. In Großbritannien etwa haben bereits 87 Prozent der Internetnutzer schon online eingekauft, in den USA waren es nur 43 Prozent.
Das Stigma des Misserfolgs
Verfügen europäische Internetgründer also eigentlich über bessere Bedingungen zum Durchstarten als ihre US-Konkurrenten?
Das könnte man angesichts der genannten Daten durchaus meinen. Doch auf unserer Seite des Atlantiks droht Gründern immer noch das Stigma des Misserfolgs, was manche vielleicht übervorsichtig werden lässt. Kein Wunder, denn meist dauert es mehrere Jahre, bis ein Insolvenzverfahren abschlossen ist. Erst danach bekommen im ersten Anlauf gescheiterte Unternehmer eine zweite Chance. Zudem ist es für Start-ups schwerer als in den USA, Geld für die der Gründungsphase folgenden Wachstumsphase einzuwerben, mit dem sie ihr Geschäft auf eine nennenswerte Größe bringen könnten. Weniger als ein Viertel des in junge europäische Unternehmen investierten Wagniskapitals floss im zweiten Quartal dieses Jahres in solche Wachstumsfinanzierungen. In den USA waren es 70 Prozent. Zudem gab es an den drei Hauptbörsenplätzen London, Frankfurt und Paris in den vergangenen zwölf Monaten nur drei Börsengänge von Internetunternehmen. Dagegen kamen die Amerikaner im selben Zeitraum auf mehr als 30 Tech-IPOs. Darunter war allerdings auch der Börsengang des französischen Unternehmens Criteo, einem Spezialisten für Onlinewerbung. Die hohen Summen, die an den US-Börsen eingesammelt werden können, locken also auch Europäer an.
Profitieren junge Internetunternehmen nicht von der Integration Europas?
Das Problem ist, dass Europa trotz der wirtschaftlichen Integration und des gemeinsamen Binnenmarkts national zersplittert ist. Hier gegründete Firmen haben daher einen deutlich kleineren Heimatmarkt als US-Konkurrenten und können daher nicht so einfach schnell wachsen. Ich will hier aber kein Klagelied darüber anstimmen, dass in den Vereinigten Staaten alles besser wäre. Die zwischenstaatlichen Grenzen in Europa können auch positive Folgen für junge Unternehmen haben. Beispielsweise müssen sie sich schon in einer früheren Phase als ihre amerikanischen Pendants Gedanken über eine Internationalisierung des Geschäfts machen. Sie erwerben dabei vorzeitig Fähigkeiten, die dabei helfen können, später den Weltmarkt zu erobern.
Wann starten die europäischen Digitalfirmen richtig durch?
Gestartet sind sie ja schon längst. Schauen Sie sich zum Beispiel Erfolgsgeschichten wie Skype, Spotify oder Fotolia an. Für den Durchbruch auf breiterer Front muss jedoch die Wachstumsfinanzierung sichergestellt werden, wobei auch Private-Equity-Investoren wie KKR eine wichtige Rolle spielen werden. Europa verfügt als Ideenschmiede neben einigen Nachteilen auch über einen wichtigen Vorteil gegenüber den USA, nämlich einer ausgeprägten Diversität. In den USA gibt es mit dem Silicon Valley aufgrund einer über Jahrzehnte gewachsenen unternehmerischen Infrastruktur ein klar dominierendes Kreativzentrum, das neue Geschäftsmodelle hervorbringt. In Europa dagegen verteilt sich die unternehmerische Aktivität im Digitalbereich auf mehrere Zentren wie London, Berlin, Stockholm, Paris oder Helsinki. All diese „Kreativ-Hubs“ haben ihr eigenes lokales Gewebe, sind aber dennoch eng miteinander verbunden. Tüftler und Unternehmer aus den skandinavischen Ländern etwa haben das Musikportal Spotify hervorgebracht sowie den Internettelefondienst Skype oder den Onlinezahlservice Klarna aufgebaut. Sie haben sich dabei auf Talent und Kapital aus ganz Europa gestützt. Fotolia, die führende europäische Plattform für lizensierte digitale Bilder, in die wir 2012 investiert haben, ist mittlerweile in 23 Ländern aktiv. Alleine im vergangenen Jahr hat das Unternehmen Websites in acht neuen Ländern eröffnet.
Das Erfolgspotenzial der europäischen Internetwirtschaft
Aber die hoffnungsvollen Ideen werden dann von mächtigen US-Investoren aufgekauft und zu Geld gemacht, wie im Fall von Skype, das zwar von Europäern erdacht wurde und jetzt dem Softwareriesen Microsoft gehört.
Das kommt oft vor und zeigt, welches Erfolgspotenzial in den Konzepten der europäischen Internetwirtschaft stecken kann. Aber Innovationen kommen nicht nur aus neu gegründeten Unternehmen. So ist das als klassischer Fernsehsender gestartete Medienunternehmen ProSiebenSat.1 mittlerweile zum wohl dynamischsten Digitalkonzern Europas geworden – übrigens auch mit Hilfe des von KKR bereit gestellten Beteiligungskapitals. Gemeinsam mit dem Medienkonzern Bertelsmann haben wir 2009 die Chance ergriffen, BMG zu gründen. Aus Berlin heraus haben wir dann das Unternehmen in den Folgejahren zum führenden unabhängigen Musikverlag der Welt aufgebaut, der von der Digitalisierung des Musikmarkts profitiert.
Die Beispiele Fernsehen und Musik zeigen, wie gefährlich das Internet für viele Traditionsbranchen sein kann. Welche Hoffnung besteht da noch für klassische Industrien – wie das Verlagswesen?
Das Internet muss nicht ausschließlich eine Bedrohung für den Journalismus darstellen. Das Interesse an Nachrichten und einordnenden Analysen ist ungebrochen und wächst sogar. So hat der englische Guardian durch die Digitalisierung zwar einen großen Teil seiner Printauflage verloren. Gleichzeitig hat das Medium dank seiner Website aber neue englischsprachige Leser auf der ganzen Welt gewonnen.
Auch für die Musikindustrie stellt das Internet eine große Herausforderung dar, doch die Leute hören über das Netz viermal so viel Musik wie noch in Zeiten der CD. Das Problem besteht nun darin, damit auch Geld zu verdienen. Hier dürfen die betroffenen Branchen nicht aufhören, mit neuen Geschäftsmodellen und Bezahlformen zu experimentieren. ProSiebenSat.1 und BMG haben erfolgreich gezeigt, wie das funktioniert.