Erste Ausgabe mit Merkel-Titel „Charlie Hebdo“ macht jetzt Satire auf Deutsch

Am Donnerstag erscheint die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ erstmals als deutsche Ausgabe. Ein Wagnis: Ob das Magazin hierzulande Erfolg haben wird, muss sich zeigen. Für die Macher wird es ein spannendes Experiment.

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Die erste Ausgabe der deutschsprachigen Ausgabe des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ zeigt Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Titelbild. Quelle: dpa

Paris Angela Merkel hat neue Fans: Die Mannschaft von „Charlie Hebdo“, der französischen Satirezeitung, bringt die Kanzlerin an diesem Donnerstag auf die Titelseite. Es ist die erste Ausgabe des deutschen Charlie-Ablegers.

Die Redaktion, die vor knapp zwei Jahren von islamistischen Terroristen fast komplett ausgelöscht wurde, hat neue Mitarbeiter gefunden und wagt nun den Sprung über den Rhein, mit einer Startauflage von 200.000 Exemplaren. „Von allen Ländern außerhalb Frankreichs ist das Interesse am Humor und den politischen Hintergründen von Charlie Hebdo in Deutschland am größten“, sagt eine Sprecherin der Chefredaktion, die namentlich nicht genannt werden möchte. Deshalb sei man auf die Idee gekommen, eine deutsche Ausgabe zu starten.

Medienprodukte in ein anderes Land zu exportieren ist ein schwieriges Geschäft: Die „Bild“-Zeitung ist damit in Spanien gescheitert, die „Financial Times“ in Deutschland. Entweder waren die Lesegewohnheiten zu unterschiedlich oder der Markt bereits zu dicht besetzt.

Eine Zeitung, die vom Humor lebt, im Nachbarland zu verkaufen, ist besonders riskant. Über Politik, Autos und Musik mögen Deutsche und Franzosen sich verständigen können, doch Humor bleibt ein vermintes Terrain.

Nach Ansicht vieler Franzosen haben Deutsche entweder keinen Humor oder ihr Spaßverständnis zeichnet sich „durch einen besonders hohen Fettgehalt aus“, so eine oft gehörte Einschätzung. Beliebt ist auch das – zugegebenermaßen gelungene – Bonmot: „Jüdischer Humor ist eigentlich wie deutscher Humor, nur dass Humor dabei ist.“ Allerdings gilt auch umgekehrt: Für unseren Geschmack ist französischer Humor oft etwas derb, erinnert manchmal mehr an eine Herrensitzung im Karneval als an einen sprühenden Geist.

Der Humor von „Charlie Hebdo“ war von Anfang an besonders. Ursprünglich hieß die Zeitung „Hara-Kiri“, wurde aber verboten: Nach der Beisetzung von Charles de Gaulle im Dorf Colombey-les-Deux-Églises kam es fast gleichzeitig zu einer Feuerkatastrophe mit vielen Toten in einem Tanzlokal. „Hara-Kiri“ titelte: „Tragischer Ball in Colombey-les-Deux-Églises: 1 Toter“.

Nach mehreren Neugründungen und Redaktionswechseln hat sich die Tendenz zur Grenzüberschreitung gehalten. „Charlie“ druckte Mohamed-Karikaturen nach und wurde Opfer von Brandanschlägen, bevor die Brüder Kouachi am 7. Januar 2015 acht Mitglieder der Redaktion und vier weitere Menschen erschossen.

Die Welle der Solidarität hat die Zeitung über die Folgen dieses Anschlags hinweggetragen. Obwohl das Medium, das vor dem Attentat fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschien, plötzlich seine wirtschaftlichen Sorgen los war, kämpfte die Redaktion noch monatelang um die Existenz.

Die überlebenden Redaktionsmitglieder waren zutiefst traumatisiert und neue Zeichner oder Schreiber fanden sich nicht: Für ein Witzprodukt sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, ist eine Herausforderung, die man guten Gewissens kaum annehmen kann.

Inzwischen sind wieder genügend Leute an Bord. Sie machen weiter nach demselben Muster: Lieber einen Tick zu dick auftragen als zu moderat bleiben.


„Die Wirklichkeit ist unerträglich“

Als „Charlie“ im September 2015 zahlreiche Karikaturen von dem ertrunkenen Flüchtlingskind Aylan druckte, riss vielen Franzosen der Geduldsfaden: Sie kritisierten die Zeichnungen als geschmacklos und entwürdigend.

Die Redaktion rechtfertigte sich mit ihrem bekannten Credo: Nicht ihre Beiträge seien unerträglich, sondern die Wirklichkeit. Die Auflage, nach dem Attentat auf mehr als 200.000 gestiegen, ist mittlerweile wieder weitaus niedriger. Offiziell wird von 60.000 Exemplaren für den Kiosk und 50.000 Abos gesprochen.

Chefredakteur Gérard Biard und Zeichner Riss waren mehrfach in Deutschland eingeladen, haben diskutiert und Ausstellungen eröffnet und den Eindruck mitgenommen, dass bei uns das Interesse an „Charlie“ besonders groß ist. „Von der ‚grünen Ausgabe‘ (nach dem Anschlag gedruckt, mit einem weinenden Propheten Mohamed) wurden in Deutschland 70.000 Exemplare verkauft, von der Nummer zum Jahrestag des Anschlages 50.000“, sagt die Sprecherin. Und sie zitiert Riss: „Man muss kein Franzose sein, um die französischen ‚dessins de presse‘ zu verstehen.“ Damit sind die Karikaturen gemeint, die manche französische Zeitung füllen. Wir kennen sie auch, genießen sie aber in kleinerer Dosierung.

In Frankreich sind Pressezeichnungen ein eigenes Genre. „Charlie Hebdo“ veröffentlicht ganze Strecken mit Zeichnungen, auch bei der satirischen Wochenzeitung „Canard Enchainé“ sind sie ein wichtiges Element, das Nachrichten und Kommentare ergänzt.

In Deutschland, wo in den Redaktionen zwar viel über „zweite Ebenen“ oder zusätzliche Elemente, die Leser in Texte reinziehen sollen, philosophiert wird, glauben wir nicht an die Kraft der Zeichnung. Vielleicht zu Unrecht, denn es gibt in Deutschland ausgezeichnete und feinsinnige Pressezeichner, das Handelsblatt profitiert von ihnen.

Das deutsche „Charlie Hebdo“ wird in Paris erstellt. Es gibt eine zwölfköpfige deutsche Mannschaft, die von der deutschen Journalistin Minka Schneider – ein Pseudonym – geleitet wird. Außer ihr handelt es sich dabei ausschließlich um Übersetzer und Korrektoren. Originäre deutsche Inhalte gibt es noch nicht, bislang wird alles vom französischen Mutterblatt übernommen und übersetzt.

In Zukunft wird sich das vielleicht ändern, alles hängt vom Erfolg ab, den das deutsche Karlchen haben wird. Eine feste Zahl haben die Eigner nicht im Auge, doch das deutsche Produkt soll sich nach einer Weile selber tragen.

Es wird ein spannendes Experiment: Wenn Humor nicht mehr im französischen Kleid daherkommt, versteht man ihn dann besser? Oder verliert er seinen Reiz? Marktstudien hat „Charlie“ jedenfalls vor dem Start nicht angestellt, versichert die Sprecherin: „Das machen die nicht, die stürzen sich einfach da rein.“

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