Hackathon der Verlagsgruppe Handelsblatt Ungewöhnliche Ideenfindung

Geld verdienen mit gutem Journalismus? Der zweite Hackathon der Verlagsgruppe Handelsblatt zeigte, wie das funktionieren kann. 36 Stunden hatten die Teilnehmer Zeit, gemeinsam kreativ zu sein und die Jury zu überzeugen.

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Diskussionen beim zweiten Hackathon der Verlagsgruppe Handelsblatt: Wie können Verlage online Leser gewinnen und halten?

Düsseldorf Mitten im Vortrag stockt Paul Düsberg. Eigentlich wollte er gerade erklären, wie er Nutzer überzeugen möchte, für journalistische Inhalte im Internet zu bezahlen. „Wo ist denn die zweite Belohnung?“, fragt er irritiert und schaut sich um. Etwas verschämt legt der junge Mann neben ihm das süße Teilchen zurück: „Ich wusste nicht, dass du das für den Pitch brauchst“, sagt er. Lachen hallt durch den Konferenzraum.

Konzentriertes, intensives Arbeiten traf beim zweiten „Hackathon“ von Handelsblatt und Wirtschaftswoche auf eine entspannte Atmosphäre. Unter dem Motto „Redesign the Paid Experience“ feilten mehr als 40 Journalisten, Programmierer, Marketing-Experten, Designer, Entwickler und Datenspezialisten eineinhalb Tage im Düsseldorfer Verlagsgebäude an sechs Ideen. Diese bunt gemischte Gruppe sollte Konzepte entwickeln, wie Verlage mit ihrem Angebot in der digitalen Welt künftig Geld verdienen können – eine Herausforderung für die gesamte Branche.

36 Stunden hatten die Teilnehmer Zeit, um gemeinsam kreativ zu sein und am Ende mit ihrer Idee die Jury zu überzeugen – am besten gleich mit einem fertigen Prototypen.

Das Ziel der ungewöhnlichen Ideenfindung in der Verlagsgruppe Handelsblatt beschrieb Sarah Glate, Managerin bei Mitveranstalter Google, den Teilnehmern so: „Der Fisch sieht manchmal das Wasser nicht. Ihr seid hier, um Turbulenzen in das Wasser zu bringen, damit man das Wasser sieht und auch fühlt.“ Dass es nicht einfach ist, aus dem angestammten Geschäft heraus neue Ideen zu entwickeln, das wissen nicht nur Verlage. Viele Unternehmen stehen vor der gleichen Herausforderung: die digitale Welt braucht neue Lösungen – und der Weg dahin ist manchmal unkonventionell.

Für Verlage heißt die Lösung „Paid Content“, wie Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart bei der Begrüßung sagte. Sprich Bezahlinhalt. Das heißt, journalistische Angebote sollen nicht mehr verschenkt, sondern kostenpflichtig werden. Die Vorreiter in diesem Bereich kommen aus dem angelsächsischen Raum. „In Deutschland sind wir drei, vier, fünf Jahre hinterher“, so Steingart. „Aber wir wollen dahin, wo die Angelsachsen auch sind. Dem dient dieser Hackathon.“

Als sich alle nach sechs Stunden zum ersten Mal untereinander ihre Ideen vorstellten, bot sich jedoch zunächst ein für einen Hackathon ungewöhnliches Bild: Kabelsalat und Computer-Nerds, die auf ihre Laptops starren, suchte man vergebens. Statt virtuell ging es erst einmal handfest zu: Die Teilnehmer schrieben ihre Einfälle auf Whiteboards oder versuchten, ihre Ideen mit Lego oder Knete zu visualisieren. Paul Düsberg hatte bei seiner Präsentation eben zwei süße Teilchen zur Hand, um sein Anreizsystem für Paid Content zu erklären.

Düsberg hat gerade ein duales Studium beim Discounter Aldi beendet. Jetzt hat er etwas freie Zeit und sich für den Hackathon der Verlagsgruppe Handelsblatt angemeldet. „Ich wollte schon immer bei so was mitmachen“, erzählt er. Mit seinen Mitstreitern im Team „Newsfittery“ will er die Informationen aus vielen – teilweise nur selten vom Leser genutzten – Apps auf einer Plattform zusammenführen.


Überraschende Lösungsansätze

Um dem Thema möglichst offen zu begegnen, wendeten die Teilnehmer die Methode des Desgin-Thinkings an. Dort stehen die Wünsche des Nutzers und nicht die Möglichkeiten des Entwicklers im Mittelpunkt. Man versetzt sich in die Rolle des Kunden und schaut aus dessen Perspektive auf das Problem. „Beim Design-Thinking versuchen wir menschliche Bedürfnisse zu verstehen, auch wenn der Mensch sie nicht unbedingt äußert. Wir gucken uns die Verhaltensweisen an“, erklärte Glate, die den Teilnehmern mit zwei Kollegen aus Googles CSI:Lab zur Seite stand. CSI: Lab steht für „Creative Skills for Innovation Laboratory“ und ist eine Art Kreativlabor, das den Erfindergeist der Google-Mitarbeiter fördern soll.

Meist wird ein Prototyp kreiert, für dessen Probleme man Lösungen sucht. Bei der Teilnehmer-Gruppe „Hidden Values“ war das beispielsweise „Lisa“. Sie reist viel, vergisst aber regelmäßig, ihre Bahn-Bonus-Punkte einzulösen. Und sie nutzt gern Facebook und Twitter.

Das führte zu überraschenden Lösungsansätzen. Elena Erdmann promoviert gerade zum Thema maschinelles Lernen und Journalismus an der TU Dortmund. Zusammen mit ihrem Team hatte sie in Düsseldorf Passanten angesprochen und gefragt, ob sie bereit wären für Artikel im Internet Geld zu bezahlen. „Da kam von allen Leuten wirklich wie aus der Pistole geschossen: Nein“, berichtete Erdmann.

Deshalb entwickelte die Doktorandin mit „Hidden Values“ ein Modell, in dem für den Bezahlvorgang kein Geld fließt. Stattdessen sammeln die Leser über Payback und andere Bonussysteme, über Tweets und Kommentare zum Artikel oder eingelösten Flaschenpfand Punkte auf einem speziellen Konto. Über dieses wird beim Lesen eines Artikels im Hintergrund der Bezahlvorgang abgewickelt. „Die technische Grundlage dafür haben wir sogar schon“, sagte Jannic Hassing, der bei der Verlagsgruppe Handelsblatt als Informationsarchitekt arbeitet und beim Hackathon teilnahm.

Die Gruppe „Stewie“ dagegen erfand zum digitalen Musikdienst Spotify ein journalistisches Pendant: Eine Playlist für Artikel. Die Idee dahinter war, dass die Leser unter anderem bestimmten Autoren folgen können. Zudem lernt das System ständig aus dem Verhalten seiner Leser und berücksichtigt dies bei der zukünftigen Artikelauswahl.

„Director’s Digest“ wiederum hieß das Konzept, bei dem jeder Nutzer eine individuell auf ihn abgestimmte Startseite hat. Jeder User entscheidet selbst, welche Elemente, Themen und Kategorien er in seine Webseite integrieren will – ob beispielsweise Artikel, Videos oder Grafiken. Der Clou: Wer lieber ein haptisches Produkt hat, kann sich die Artikel der Webseite auch als gedruckte Zeitung schicken lassen.

War die Hackathon-Atmosphäre zu Beginn noch locker, steigerte sich die Spannung bis zum Samstagnachmittag. Dann stand der sogenannte Pitch an. Jedes Team hatte drei Minuten Zeit, um sein Konzept vor einer Jury und den anderen Teilnehmern zu präsentieren, gab Franziska Bluhm, Leiterin Digitale Vernetzung bei der Verlagsgruppe Handelsblatt und Hackathon-Organisatorin, vor.


Sieger trotzt den Einwänden

Dort erschien „Lisa“ wieder, die Frau mit den ungenutzten Bonus-Punkten. Aber auch „Max“, einer der ausgedachten typischen Nutzer von „Director’s Digest“, der sich seine Zeitung selbst zusammenstellen möchte, sowie Hillary Clinton und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Sie wurden von der Gruppe „Customer Dating“ beim Pitch als Beispiele gezeigt, um der Jury zu demonstrieren, wie ein Smart-Data-Ansatz aussehen kann.

Leser bekommen dabei auf dem Handy Bilder – etwa von Politikern gezeigt – und können mit einer Handbewegung entscheiden, ob sie die Personen mögen oder nicht. Das Programm im Hintergrund folgert daraus, ob und an welchen (Politik-)Themen der jeweilige Leser interessiert ist. „Wenn ich Martin Schulz jetzt ‚dislike‘ – lese ich dann nie wieder einen Artikel über ihn?“, sprach Handelsblatt-Herausgeber Steingart ein zentrales Problem der selbstlernenden Algorithmen an. Schließlich verändern sich im Laufe der Zeit die Interessen eines Lesers.

Trotz des Einwands erhielt „Customer Dating“ am Ende sogar den Preis für den besten Impact für die Verlagsgruppe Handelsblatt und damit 5000 Euro. „Das Konzept kann schnell umgesetzt werden und hilft uns, unser Angebot auf die Leserinteressen auszurichten“, begründete Vertriebsleiterin Iris Bode die Entscheidung der Jury.

Der Preis für die höchste Innovationskraft – ebenfalls mit 5000 Euro dotiert – ging an das Team von „Bundler“. Auch die Gruppe hatte ein Konzept erarbeitet, das den Nutzern Übersichtlichkeit bietet: bei der Verwaltung ihrer Abonnements. „Wir bündeln alle Abos in einer App – egal ob Netflix, Deezer, Maxdome oder Abos von digitalen Zeitungen“, erklärte Teilnehmerin Lena Kahles die Vorteile im Pitch. Der Nutzer könne sich mit einem Klick für ein Abo anmelden oder dieses auch wieder kündigen. Die Vorteile: Mit vielen registrierten Nutzen ließen sich Preise für die Abonnements besser aushandeln. Und Abos ließen sich einfach von einem Nutzer auf einen anderen übertragen.

Nach der Preisverleihung ließen die Teilnehmer den Hackathon dann bei Snacks und Getränken ausklingen. Die zahlreichen Ideen, wie Verlage Leser gewinnen und halten können, wurden noch bis in den späten Abend diskutiert. Es wurden auch noch süße Teilchen nachgeliefert. Paul Düsberg konnte aufatmen – die Belohnung war wieder da.

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