Neue Behörde gegen Funklöcher? „Verkehrsminister Andreas Scheuer rechnet sich die Welt schön“

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Quelle: dpa

Der Bund will bis 2025 Funklöcher schließen. So weit, so Konsens. Doch der zuständige Minister Andreas Scheuer plant dafür eine eigene Behörde und wählt nicht die günstigste Option. Schon ist es mit der Einigkeit vorbei.

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Die Bundesregierung setzt beim Aufbau einer Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft (MIG) nicht auf die kostengünstigste Organisationsform. Das geht aus der finalen Wirtschaftlichkeitsuntersuchung für das Verkehrsministerium hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegt. Demnach fallen für die von der Regierung favorisierte Variante der MIG als Tochter-GmbH der bundeseigenen Maut-Firma Toll Collect (TC) pro Jahr Kosten von 10,5 Millionen Euro an. Eine Integration der MIG in die für Mobilfunk zuständige Bundesnetzagentur wäre jedoch etwa 350.000 Euro günstiger.

„Verkehrsminister Andreas Scheuer rechnet sich mal wieder die Welt schön“, kritisiert Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Und tatsächlich drängt sich bei der Lektüre der Eindruck auf, als hätten die Autoren der Beratungsfirma „Partnerschaft Deutschland“ von vornherein eine bestimmte Empfehlung vor Augen gehabt, als sie verschiedenste Möglichkeiten einer MIG-Gründung miteinander verglichen: von der komplett eigenständigen GmbH bis hin zu einer internen Einheit im Verkehrsministerium.

Denn bereits seit mehr als einem halben Jahr ist bekannt, dass Verkehrsminister Scheuer die MIG gerne bei der Toll Collect ansiedeln möchte. Und so findet sich auf Seite 24 des Wirtschaftlichkeitsgutachtens eine Passage, die so entlarvend ist, dass man sie am besten vollständig zitiert:

„Weiterhin benötigt die umzusetzende Organisationsvariante die Unterstützung der Politik. Gemäß dem gültigen Kabinettsbeschluss ist die Umsetzung der MIG als Tochtergesellschaft der TC vorgesehen. Die Wahl einer Organisationsvariante, die diesem Beschluss entgegensteht, ist mit Aufwänden und zeitlichen Verzögerungen verbunden, die mit der Auswertung neuer Informationen, der Führung von Verhandlungen bis zu einer Einigung und der Anpassung der Vorlage verbunden sind. Zudem entstehen mögliche Reputationsverluste für die Bundesregierung, als dass sie ihre eigene, beschlossene Strategie nicht umsetzen kann.“

Anders ausgedrückt: Wir rechnen und analysieren das alles mal durch, aber die Entscheidung ist ja eigentlich schon gefallen.

Die MIG – als neueste Idee einer langen Reihe bayerischer Infrastruktur-Lieblingsprojekte einst bei einer CSU-Tagung geboren – soll dabei helfen, überall dort Lücken im Mobilfunknetz schließen, wo sich ein Ausbau für Telekommunikationsfirmen wirtschaftlich nicht lohnt. Das sind laut der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung etwa 4440 weiße Flecken, für die ungefähr 5000 Mobilfunkstandorte benötigt werden. So ließen sich die noch fehlenden 106.000 Haushalte an das 4G-Netz anschließen.

Der Plan, dafür eigens eine staatliche Behörde aufzubauen, war in der Regierung zwischen Union und SPD lange umstritten. Bereits Ende April hatte das CSU-geführte Verkehrsministerium eine erste Version der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung an das von SPD-Vizekanzler Olaf Scholz geführte Finanzministerium geschickt. Dort jedoch zweifelten die Beamten, ob eine neue Behörde mit mehr als 90 Mitarbeitern wirklich nötig sei. Ob nicht ein schlankes, aber gut ausgestattetes Förderprogram allein genügend Anreize schaffen könne, die Mobilfunkanbieter zum Ausbau zu bewegen – 1,1 Milliarden Euro Fördermittel sind bereits länger genau dafür reserviert.

Letztlich allerdings stimmte das Finanzministerium der MIG-Gründung zu. Auch Kritiker aus der SPD-Fraktion gaben ihren Widerstand auf – in der Hoffnung, dass die neue Gesellschaft nach 2025 wirklich wieder abgewickelt wird, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hat. Konkret soll die MIG unter anderem Kommunen bei Fördermittelanträgen beraten, Musterverträge erstellen und die verbleibenden weißen Flecken identifizieren. Sie soll als Projektträger auch die 1,1 Milliarden Euro Fördermittel managen und zwischen den Kommunen und den Mobilfunkmast- und Netzbetreibern vermitteln.

Die Autoren der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung argumentieren, dass bei der Gründung der MIG als Toll-Collect-Tochter von einer „zügigen Personalgewinnung und Leistungserbringung“ auszugehen sei. Synergien könnten etwa bei Planungstools genutzt werden. Die kostengünstigere Variante einer Eingliederung in die Bundesnetzagentur hingegen erfordere „hohen administrativen Aufwand“. Schließlich müsse in diesem Fall auch das dienstaufsichtsführende Wirtschaftsministerium eingebunden werden – und gegebenenfalls sogar der Bundestag. Eine Beteiligung des Parlaments wird in diesem Kontext als Hindernis gewertet, nicht als demokratisch geboten.

Ein weiteres entscheidendes Kriterium für die Toll-Collect-Variante ist die „Steuerbarkeit“. Die Führungskräfte der MIG ließen sich dort „direkt ansteuern“, heißt es in der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Der Grünen-Politiker Kindler hingegen kritisiert, Scheuer wolle so die Kontrolle über die Behörde behalten. Bei der Bundesnetzagentur hätte die MIG viele Synergieeffekte nutzen können, dann wäre aber Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) zuständig gewesen. Die Toll Collect führt Scheuers früherer Staatssekretär Gerhard Schulz.

„Dieses Kompetenzgerangel ist einer der Gründe, wieso es seit Jahren mit der Digitalisierung der Infrastrukturen nicht vorangeht“, so Kindler. Der Haushaltspolitiker fragt sich zudem, warum 40 Millionen Euro Verwaltungsausgaben pro Jahr vorgesehen seien, wenn die Behörde aber laut Wirtschaftlichkeitsuntersuchung selbst im teuersten Fall nur 18,8 Millionen Euro koste.

Der Streit um die MIG dauert also an – trotz Wirtschaftlichkeitsuntersuchung und Gründungsbeschluss.

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