SAP Dieser Arzt soll für SAP den Medizinmarkt erobern

David Delaney kämpfte als Arzt auf der Intensivstation des Harvard-Hospitals gegen den Tod. Nun ist er Medizinchef des deutschen Softwarekonzerns. Seine Mission: den Gesundheitsmarkt für das Unternehmen zu erobern.

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David Delaney will als Medizinchef von SAP den Gesundheitsmarkt erobern. Quelle: Jeff Singer für WirtschaftsWoche

Helfen liegt David Delaney in den Genen. Sein Vater war Pastor, seine Mutter Sozialarbeiterin. Sie bestärkten ihren Sohn in seinem Wunsch, Arzt zu werden, für die ganz schweren Fälle; so wurde er der erste Mediziner in der Familie. Dabei fesselte ihn eine weitere große Leidenschaft ähnlich: Computer.

Die Entwicklung von SAP

Genauer gesagt ein Commodore 64, der Volkscomputer der frühen Achtzigerjahre. „Ich weiß nicht, wie viel Rasen ich in der Nachbarschaft gemäht habe, bis ich das Geld zusammenhatte“, sagt der Amerikaner, schließt die Augen und beschreibt verträumt lächelnd das Objekt der Begierde. „Ohne Festplatte, mit Magnetband als Speicher.“ Was aber ausreichte, um das Programmieren zu erlernen und sich so später einen kleinen Teil seines Studiums als Internist und Intensivmediziner mit Harvard-Abschluss zu finanzieren.

35 Jahre nach dem Kauf des Commodore-Klassikers ist Delaney aus seinem Wohnort Boston zu den regelmäßigen Besprechungen in die 5000 Kilometer entfernte US-Zentrale seines Arbeitgebers in Palo Alto geflogen und reflektiert in einem sonnendurchfluteten Besprechungsraum seine Jugendträume. Beide hat er nicht nur verwirklicht, sondern zusammengeführt. Der 48-jährige Spezialist für Intensivmedizin arbeitet nun für SAP, einen der größten Softwarekonzerne der Welt, als Chief Medical Officer.

Dass dieser einen obersten Mediziner zu einem seiner Hoffnungsträger gekürt hat, hat viel mit dem Schicksal von Konzernchef Bill McDermott zu tun. Im vergangenen Jahr verlor dieser sein linkes Auge bei einem Unfall. Mehrere Spezialisten kämpften um dessen Rettung. McDermott schwärmte danach einerseits von einem „System, das sich unglaublich kümmert“. Andererseits fühlte er sich auch allein gelassen, weil er den Eindruck hatte, dass „niemandem außer mir der Fall richtig gehörte“. Bei fast jeder neuen Visite musste McDermott seine Krankengeschichte neu erzählen. Eine zentrale Akte gab es nicht und in der Folge keine Ärzte, die vernetzt zusammenarbeiteten. Das will McDermott nun ändern. „Wir brauchen eine neue Architektur im Umgang mit strukturierten und unstrukturierten Daten“, sagt er. Und die will er zusammen mit Delaney durch SAP schaffen.

Der Digitalisierung der Gesundheitsbranche haben sich freilich alle Schwergewichte der Branche verschrieben, von IBM über Microsoft bis hin zu Oracle. Allein das globale Geschäft mit der Datenanalyse im Gesundheitswesen, schätzt das Marktforschungsunternehmen Stratistics, soll bis zum Jahr 2022 von 6,8 auf 32,4 Milliarden Dollar steigen.

Programmierer trifft auf Patient

Wer mit Delaney über seine Aufgabe spricht, trifft einen Mann auf der Grenze zwischen Vision und Schwärmerei. „Das hat so viel Potenzial, wir können Millionen von Patienten auf der ganzen Welt beeinflussen“, sagt er.

Delaney vermisst zwar oft den Adrenalinstoß der Intensivstation, die Zufriedenheit bei Erfolgen, auch die Bodenhaftung durch das stetige Mahnen an die wirklich wichtigen Dinge im Leben angesichts von Schmerz und Leid. Bereut hat er den vollständigen Wechsel in die Informationstechnologiebranche trotzdem nicht. Nun reist er in der Woche quer durch die USA, spricht mit Kliniken, mit Mediziner-Verbänden und Universitäten, hält Vorträge und koordiniert Forschungsvorhaben.

Delaney hat einen wichtigen Vorteil bei seiner Mission, die Medizin zu verändern: Er versteht nicht nur die Sprache der Programmierer, sondern auch die der Ärzte und Pfleger. Und kennt deren Alltag. Besonders den Druck, „immer auf 110 Prozent oder mehr zu laufen, bei wachsender Patientenzahl“.

Die hartnäckigsten Gesundheitsmythen
Eine junge Frau putzt sich mit einem Papiertaschentuch die Nase Quelle: dpa
Mann mit Rückenschmerzen sitzt im Büro Quelle: obs
In einer Zahnarztpraxis werden die Zähne eines Jungen untersucht Quelle: dpa
Ein Fieberthermometer liegt auf verschiedenen Arten und Formen von Tabletten Quelle: dpa
Ein Mann zieht an seinem Finger und erzeugt ein Knackgeräusch. Quelle: dpa
Angela Merkel hält ein Schnapsglas in der hand Quelle: AP
Ein Junge steht unter einer Dusche Quelle: dpa

Bis vor drei Jahren praktizierte er noch zusätzlich an der Medizinischen Fakultät der Harvard-Universität Intensivmedizin. Was ihm half, die wirklich wichtigen Dinge im Leben bewusster zu schätzen, „besonders wenn man Jüngere mit dem Tod kämpfen sieht“. Diese Erkenntnis half ihm allerdings auch, das aktive Praktizieren aufzugeben, wenn auch sehr schweren Herzens. „Meine Frau und meine zwei kleinen Kinder sahen mich fast gar nicht mehr“, sagt Delaney und erkannte, dass er andere Prioritäten setzen musste.

Noch immer wird er von seinen SAP-Kollegen beiläufig um Rat gefragt wegen diverser Zipperlein. Dabei wolle man eigentlich, so scherzt er, mit ihm als Mediziner nicht wirklich aus freien Stücken zu tun haben. „Meine Expertise liegt schließlich darin, Leute auf der Intensivstation vor dem Sterben zu bewahren.“

Als er am Beth Israel Deaconess Medical Center, dem Lehrhospital der Harvard-Universität, Mitte der Neunzigerjahre ausgebildet wurde, nervte ihn, dass vier oder fünf unterschiedliche Computersysteme abgefragt werden mussten, um über Ausdrucke alle Daten über den Patienten für die Visite zusammenzutragen und dann wieder auf einem Blatt Papier zusammenzufassen. Der junge Arzt ärgerte sich nicht nur über die Zeitverschwendung, sondern schrieb eine Software, die automatisch die Daten aus den verschiedenen Systemen abfragte und aggregierte.

Danach wurde er beauftragt, sich einer noch größeren Herausforderung anzunehmen – der besseren Abrechnung. Damals notierten die Ärzte sie samt den dazugehörigen Codes auf Zetteln. Die wegen der permanenten Zeitnot schnell zu Stapeln anwuchsen, oft erst Wochen später bearbeitet wurden oder manchmal ganz verloren gingen. „Es ging um Millionen von Dollar“, sagt Delaney. Eine erhebliche Summe, vor allem für Hospitäler. „Obwohl so viel Geld im Gesundheitswesen ausgegeben wird, sind für die meisten Ärzte die Margen ganz dünn“, weiß Delaney.

Die am häufigsten falsch behandelten Krankheiten
Platz 10: Uterus myomatosusKnapp zwei Drittel aller Fehler, die von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Bundesärztekammer 2011 anerkannt wurden, ereigneten sich in Krankenhäusern. Auf Platz 10 der dort am häufigsten fehlbehandelten Krankheiten ist Uterus mymatosus. Dahinter verbergen sich Myome der Gebärmutter, die am häufigsten gutartigen Tumore bei Frauen. 21 Mal behandelten Krankenhaus-Ärzte diese Krankheit vergangenes Jahr falsch.Woran die zahlreichen Fehler in Krankenhäusern liegen, hat die WirtschaftsWoche bereits im April analysiert. Quelle: Fotolia
Platz 9: Gallenstein23 Mal wurden in Krankenhäusern vergangenes Jahr Gallensteine, also Cholelithiasis, falsch behandelt. Quelle: Fotolia
Platz 8: Oberflächliche VerletzungenWunden und Schrammen wurden 2011 in deutschen Krankenhäusern 26 mal falsch behandelt – womit sie auf Platz 8 landen. Bei Fehlbehandlungen in Arztpraxen erreichen oberflächliche Verletzungen Platz 10. Niedergelassene Ärzte behandelten sie nur zehn Mal falsch. Quelle: REUTERS
Platz 7: HandfrakturKnochenbrüche an der Hand behandelten Krankenhausärzte vergangenes Jahr 30 Mal falsch. Damit erreichen Handfrakturen Platz 7. Bei Fehlbehandlungen durch niedergelassene Ärzte erreichen Handfrakturen Platz 8. Sie behandelten diese Knochenbrüche 12 Mal falsch. Quelle: dapd
Platz 6: Schulter- und OberarmfrakturNur einmal mehr pfuschten Krankenhaus-Ärzte bei Brüchen an Schulter und Oberarm: Hier gab es 31 Fehlbehandlungen im Jahr 2011. Bei niedergelassenen Ärzten kommen Pfuschereien in diesem Bereich gar nicht in den Top 10 vor. Quelle: Fotolia
Platz 5: Unterschenkel- und SprunggelenkfrakturGanze 21 Mal häufiger wurden Brüche an Unterschenkel- und Sprunggelenken falsch therapiert. Hier gab es 2011 in deutschen Krankenhäusern 52 Fehlbehandlungen. In Praxen gab es bei Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen sogar mit 15 Fällen die zweithäufigsten Fehlbehandlungen. Quelle: dpa-tmn
Platz 4: OberschenkelfrakturMit 63 Pfuschereien in Krankenhäusern landen Oberschenkelfrakturen auf Platz 4. In niedergelassenen Praxen kommen Oberschenkelfrakturen nicht in den Top 10 der Fehlbehandlungen vor. Quelle: dpa

Besseres Managen von Daten, davon versteht die Softwarebranche etwas. Aber es klingt auch profan. Doch tatsächlich könnte es eine Menge praktische Verbesserungen relativ schnell bringen. Beispielsweise beim besseren Therapieren von Krebs. Dort arbeitet SAP mit der American Society of Clinical Oncology (ASCO) bei CancerLinQ zusammen. Ein gemeinnütziges Projekt, bei dem Delaneys Augen strahlen.

Die 2012 gestartete Plattform bündelt Behandlungserfahrungen von derzeit 750.000 Patienten mit Millionen von Datensätzen und nutzt für deren Bearbeitung Hana, ein Datenbanksystem von SAP. Ein Vorzeigeprojekt von SAP. Noch sollen die Umsätze im Gesundheitsbereich überschaubar sein. SAP weist sie nicht aus, nur dass man mittlerweile 7100 Gesundheitseinrichtungen in 88 Ländern als Kunden habe.

"Wir müssen ohne Frage noch besser werden"

Nun soll ergründet werden, welche Therapien besonders gut anschlagen und unter welchem Umständen. In der Vergangenheit war das schwierig. Denn in den USA sind nur drei Prozent der Krebspatienten in klinischen Studien. Die alles andere als einen Querschnitt der Bevölkerung präsentieren, weil jüngere, agilere Patienten mit weißer Hautfarbe überdurchschnittlich vertreten sind. „Wir scherzen, dass es Leute sind, von denen die meisten einen Marathon laufen könnten“, sagt Delaney und schiebt schnell nach, „das mag übertrieben sein, aber nur leicht.“

So viel zahlen Pharmakonzerne an Ärzte und Kliniken
Novartis Quelle: AP
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Bayer Quelle: AP
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Pfizer Quelle: dpa
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Sanofi Quelle: dpa

Projekte wie CancerLinQ bilden die Realität besser nach – mit wesentlich älteren Patienten mit schlechterer Kondition und verschiedenster Herkunft. „Zum ersten Mal bringen wir die Expertise von US-Onkologen, Datenwissenschaftlern, Forschern und anderen Profis in einer Größenordnung zusammen, die es bislang nicht gab“, schwärmt ASCO-Präsidentin Julie Vose.

Klar ist, dass es durch den Kostenverfall bei Speicherplatz und Rechenkraft immer mehr Möglichkeiten gibt, Daten auszuwerten, ohne dafür Unsummen ausgeben zu müssen. Aber es ist ein Trugschluss, dass es dadurch unbedingt einfacher werden wird. Peter Yu, ehemaliger Präsident der Amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie, warnt, von der Datenauswertung zu viel zu erwarten, vor allem was neue Heilungsansätze angehe. „Je mehr wir forschen, umso stärker scheint, dass die Ursachen für den Ausbruch von Krankheiten viel komplexer sind als gedacht.“

Viele Ärzte würden sich zudem beschweren, dass sie kaum noch Zeit für Gespräche mit Patienten hätten, weil der Umgang mit der Technik so viel Zeit benötige. Was vor allem an schlechter Benutzerführung liege und dem aufwendigen Eingeben von Abrechnungsinformationen. Delaney sieht das als Herausforderung: „Wir müssen ohne Frage noch besser werden.“

Noch mehr Grund für ihn, unermüdlich durch die Lande zu reisen und für das bessere Nutzen von Informationen zu werben. „Ich lebe praktisch in United-Airlines-Flugzeugen“, sagt Delaney. Da kommt es immer mal wieder vor, dass er als Notfallmediziner einspringen muss. Was er pflichtbewusst macht, aber immer wieder Horror für ihn ist.

In 10.000 Metern Höhe hockt er dann da mit einem Patienten und muss machen, was er auf dem Boden verhindern will: Diagnosen stellen ohne die Hilfe von Daten.

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