Schwere Vorwürfe auf dem Mobile World Congress Huawei trackt Messestand-Besucher ohne deren Einwilligung

Im Umhängeband für Messebesucher bei Huawei auf dem Mobile World Congress ist ein Chip integriert.

Das Umhängeband für Besucher des Huawei-Standes auf der Messe in Barcelona hat es in sich: Integriert ist ein Chip, der den Aufenthalt am Messestand genau erfasst. Ein Verstoß gegen den Datenschutz?

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Der Messestand von Huawei ist in diesem Jahr größer und dominanter denn je. Doch aktuell sprechen die Besucher des Mobile World Congress in Barcelona mehr über Huaweis Gebaren beim Datensammeln als über ihre neuen technologischen Angebote. Dieses Jahr bestand das Unternehmen darauf, dass Besucher ihre von Huawei selbst für den Besuch am firmeneigenen Messestand ausgestellten Identifikations-Ausweise nach dem Besuch am Stand wieder zurückgaben – wohl aus gutem Grund: Denn in dem roten Schlüsselband, an dem man Besucherausweise um den Hals trug, war in einem unauffälligen, kleinen, weißen, runden Plastikbehälter ein RFID-Chip integriert.

Kleingedruckt auf der Rückseite des Badges informiert Huawei diejenigen, die sich die Muße machten, es zu lesen: „Wir nutzen RFID- und Bluetooth-Technologie, um die Verarbeitungszeit am Standeingang zu messen und den exakten Aufenthaltsort und die Aufenthaltsdauer in Echtzeit innerhalb der Huawei-Ausstellungsfläche zu sammeln. Die Information wird nur gesammelt und analysiert, um die Interessen unserer geladenen Gäste zu verstehen und unsere Servicequalität zu verbessern. Wir werden die Daten gemäß unserer Datenschutz-Richtlinie sichern.“

Doch auf der Messe in Barcelona gilt das europäische Datenschutzrecht – und die DSGVO besagt, dass Bürger unter bestimmten Umständen eine Einwilligung geben müssen, wenn ihre persönlichen Daten gesammelt und verarbeitet werden. Dieses Einverständnis hat Huawei nicht eingeholt – und auch nicht auf sichtbaren Schildern beim Betreten des Standes auf die Nutzung der Tracking-Chips hingewiesen, wie das etwa für Fotografieren oder Filmen die MWC-übliche Gepflogenheit ist. Huawei beruft sich in seiner Datenschutzerklärung aber auf ein berechtigtes Interesse an dieser Erhebung pseudonymisierter Daten, weswegen die Einwilligung auch nach DSGVO nicht erforderlich ist.

Ausrüster Huawei auf dem MWC 2023. Quelle: Bloomberg

Experten vermuten, das der RFID-Chip mit einem Beacon eingesetzt wurde, so dass über 70 Meter hinweg mit Hilfe von Niedrigstrom-Signalen exakte Aufenthaltsorte nachvollzogen werden könnten.

„Das Tracking-Geräte auf dem Mobile World Congress eingesetzt werden, ist eine ernsthafte Anschuldigung. Wir ermitteln gerade, haben zu diesem Zeitpunkt aber keinen weiteren Kommentar“, sagt der Messeveranstalter und internationale Mobilfunkverband GSMA.

Die deutsche Huawei-Pressestelle gibt an, es habe sich um pseudonymisierte Daten gehandelt, aus denen nicht erkennbar sei, wer wann wo auf dem Stand war: „Es sind für uns keinerlei Rückschlüsse auf Bewegungsprofile von erkennbare Einzelpersonen möglich“, so Huawei. „Es bestand Transparenz über das Was, Wie und Warum“ durch einen „gut lesbaren Hinweis“, heißt es von Huawei weiter. Hinter einem QCR-Code hinterlegt sei auch die Datenschutzrichtlinie von Huawei hinterlegt gewesen, die den Standbesuchern das Recht gäbe, der Sammlung ihrer Daten zu widersprechen. Für anonymisierte Daten reicht es, die Betroffenen zu informieren und ihnen ein Recht zu widersprechen einzuräumen.

„Das Verhalten von Huawei ist weder moralisch richtig noch schlau“, kommentiert der Telekommunikationsexperte John Strand, „es zeigt, dass den Verantwortlichen bei Huawei das Verständnis für gutes Verhalten im Sinne von Datenschutz fehlt.“ In China wurde 2017 ein Gesetz erlassen, dass alle lokalen Unternehmen auf Anfrage der Regierung sämtliche Daten an die Regierung ausliefern müssen.

Die GSMA selbst benutzt für das Besuchermanagement an der Fira in Barcelona Gesichtserkennungssoftware, mit der die Besucher auch an jedem Stand einchecken – doch Huawei hat offenbar ein separates Registrierungs-Trackingsystem für ihre Standbesucher aufgebaut. Es ist unklar, ob auch Kameratechnologie am Stand eingesetzt wird.

Huawei steht auf der Sanktionsliste der USA – amerikanische Unternehmen und solche, die mit amerikanischen Unternehmen Geschäftsbeziehungen unterhalten, dürfen keine 5G-fähigen Chips an das chinesische Unternehmen liefern. Auch Google darf sein Operationssystem Android nicht zur Verfügung stellen. Die USA haben Huawei auch als Ausrüster für ihre Mobilfunknetze ausgeschlossen. Aus diesem Grund hatte etwa die britische Regierung die Nutzung von Huawei-Equipment in 5G-Netzen eingeschränkt. Dänemark und Belgien haben jegliches Huawei-Equipment aus ihren Mobilfunknetzen entfernt.

Gerade angesichts der neuen 6G-Technologien, die Huawei auf der Messe präsentiert, ist das Vorgehen äußerst unsensibel: Denn bei 6G wird das Mobilfunknetz die Rückstrahlung von Objekten messen und analysieren können – jeder wird im Raum völlig transparent erkennbar. Die Technologie kann helfen, den Straßenverkehr sicherer zu machen. Etwa wenn ein Bus automatisch bremst, wenn das 6G-Netz ihm meldet, dass ein Fahrradfahrer vorbeifährt. Auch Ampeln könnten adaptiv auf den Verkehrsfluss reagieren und Haltezeiten minimieren. Allerdings wird sich die europäische Gesellschaft die dafür nötige ständige Überwachung in Einklang mit ihrem Datenschutzverständnis bringen müssen.

Gekoppelt mit den Mobilfunknummern wird der präzise Aufenthaltsort jedes Menschen zu jeder Uhrzeit möglich. Im Straßenverkehr könnte gar auf Radarfallen verzichtet werden, wenn die vom Netz erfassten Geschwindigkeitsdaten regelmäßig ausgewertet würden. Strand warnt: „Der Huawei-Messestand ist ein Süßwarengeschäft für Diktatoren.“

Huawei ist der größte Sponsor der Messe in Barcelona – neben Ericsson und Nokia. Mit 10.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche brach der Stand des chinesischen Telekommunikationsausrüsters erneut alle Rekorde.

Entgeltumwandlung Lohnt sich betriebliche Altersvorsorge?

Einen Teil des Gehalts für betrieblich Altersvorsorge einsetzen: Rechnet sich das? Und: Geht es auch mit Aktien? Eine Fallanalyse.

Rezept zum Reichwerden? Das steckt hinter dem System von Deven Schuller

Ein selbsternannter Finanzexperte will seinen Kunden laut eigener Aussage dabei helfen, finanzielle Freiheit zu erreichen, und pflastert das Internet mit Werbung. Was steckt dahinter? Ein Selbstversuch.

Freiberufler-Report So viel verdienen Selbstständige in Deutschland

Zwei Euro mehr pro Stunde – und kaum noch ein Gender Pay Gap: Selbstständigen geht es auch in der aktuell schwierigen Lage recht gut. In welchen Bereichen sie am meisten verdienen.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

2019 hatte Amazons Cloud-Tochter AWS auf der firmeneigenen Messe Re:Invent in Las Vegas auf ganz ähnliche Weise seine Kunden brüskiert: Auch die Umhänge-Ausweise von AWS waren mit Bluetooth-Beacon-Technologie ausgestattet, um die Aufenthaltsorte und Verweildauern ihrer Gäste nachzuvollziehen. Damals achtete auch Amazon akribisch darauf, dass die Besucher die Ausweise am Ende der Veranstaltung wieder zurückgaben: Wer sein  Umhängeband verlor, sollte 150 Dollar Ersatzgebühr zahlen. Die Chiptechnologie scheint nicht ganz preiswert zu sein.

Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Fassung des Artikels wurde von einer generellen Schriftformerfordernis für Einwilligungen ausgegangen, das es so in der Datenschutzgrundverordnung aber nicht gibt.

Lesen Sie auch: Wenn Handynetze fühlen lernen

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%