Gelita und der Glibberkrieg im Odenwald Dieser Mittelständler trotzt dem Familienzoff

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„Sehr belastender Zustand“

Zeitweise beschäftigten drei Verfahren um den Scherer-Verkauf gleichzeitig die Gerichte. Eines hat das Oberlandesgericht Karslruhe im März entschieden – zugunsten der Gelita-Verantwortlichen. Die Richter befanden, dass der Düsseldorfer Rechtsanwalt Norbert Knüppel als Besonderer Vertreter mit einer Klage seine Kompetenzen überschritten hatte. Vorstandschef Konert lässt deshalb nun wiederum mögliche Schadensersatzansprüche gegen Knüppel prüfen.

Über zwei Klagen des ebenfalls als Besonderer Vertreter eingesetzten Stuttgarter Rechtsanwalts Matthias Schüppen wird noch verhandelt. Schüppen hatte über Monate interne Unterlagen und Mails im Zusammenhang mit dem Scherer-Verkauf gefilzt und meint, dabei „massive Indizien“ für Rechtsbrüche gefunden zu haben. Deshalb fordert Schüppen für Gelita nun fast 40 Millionen Euro Schadensersatz bei acht amtierenden und ehemaligen Vorständen, Aufsichtsräten und Aktionären ein. Das Landgericht Heidelberg überzeugte Schüppens Beweisführung aber nicht. Der Anwalt ging in Berufung.

Falls er am Ende doch gewinnt und keine Haftpflichtversicherung einspringt, müsste Vorstandschef Konert aus seinem Privatvermögen zahlen. Das sei für ihn ein „sehr belastender Zustand“, sagt der 61-Jährige, die Situation in Deutschland „wohl einmalig“. Es klingt deshalb durchaus zwiespältig, wenn der Manager erklärt, dass er Gelita „spannend“ finde. Mit der Einschätzung ist er aber nicht allein. Der frühere BASF-Vorstand und Linde-Chef Wolfgang Büchele ließ sich im März in den Aufsichtsrat berufen. Dass er den renommierten Manager gewinnen konnte, sieht Mehrheitsaktionär Philipp Koepff als gelungenen Coup. Auch sonst sieht er wenig Grund für Beschwerden. Er sei „sehr zufrieden“ mit der strategischen Entwicklung des Unternehmens, sagt der Hauptaktionär und lobt Vorstand und Mitarbeiter für ihre „hervorragende Arbeit“.

An weltweit 21 Standorten fabrizieren Gelita heute Dutzende von Produktvarianten. Quelle: Katrin Binner für WirtschaftsWoche

Sein Onkel Peter dagegen kritisiert, dass die Folgen einer verlustreichen, von den Behörden zeitweise verfügten Fabrikschließung in China und der schwierige Aufbau eines zweiten Standorts dort „anscheinend bagatellisiert“ werden sollen. Seine ebenfalls am Unternehmen beteiligte Tochter erkennt sogar „keine strategischen Impulse für die Zukunft“. Nach ihrer Wahrnehmung entwickle sich das Unternehmen nicht weiter.

Das lässt Vorstandschef Konert, der sich aus dem Streit sonst möglichst heraushält, dann doch nicht auf sich sitzen. Fakten, die Marketingchef Michael Teppner mittels Beamer an die Wand wirft, sollen die großen Fortschritte belegen. So wachse der Markt für Gelatineprodukte bis 2020 um 2,6 Prozent, Gelita lege aber deutlich stärker zu – und wolle das auch in Zukunft tun.

Dafür sollen vor allem weitere Kollagenprodukte sorgen. Der Stoff gilt bei Gelita als wahres Wundermittel, das Knochen, Gelenke, Sehnen und Bänder von Mensch und Tier stärkt. Es soll die Haut straffen, als Prophylaxe gegen Arthrose, Osteoporose und Cellulite zum Einsatz kommen und die Muskelmasse zulasten des Fettanteils erhöhen. Drei Studien belegten „alle gesundheitsbezogenen Aussagen“, sagt Konert, das Geschäft werde „dynamisch wachsen“. Bis 2020 soll der Anteil des einträglichen Pharma- und Nahrungsergänzungsgeschäfts am Gesamtumsatz von jetzt 39 auf 45 Prozent steigen.

Wenn Peter Koepff nicht dazwischenkommt. Im März feierte der die Grundsteinlegung für eine Fabrik, die er seit 2015 nur 20 Kilometer vom Gelita-Stammsitz Eberbach plant. Die neue Fertigungsstätte soll unter dem Firmennamen Gelinova Blattgelatine produzieren – weshalb die Gelita-Beschäftigten Konkurrenz fürchten. Bei einer Protestaktion stellte sich Hauptaktionär Philipp Koepff neben dem Betriebsratschef und nannte die Fabrikgründung des angeblich bösen Onkels „grob geschäftsschädigend“.

Von Einstein bis Gottschalk - skurrile Fakten über Haribo
Erstes Fabrikgebäude war eine Waschküche1920 gründete der gelernte Bonbonkocher Hans Riegel Senior die Firma Haribo in einer Hinterhof-Waschküche in der Bergstraße in Bonn-Kessenich. Am 13. Dezember 1920 lässt er Haribo (als Akronym für Hans Riegel Bonn) ins Handelsregister der Stadt Bonn eintragen. 1921 heiratet Riegel, seine Frau Gertrud wird die erste Haribo-Mitarbeiterin. Quelle: Presse
Startkapital: Ein Sack Zucker und ein TopfDas Startkapital des Gründers Hans Riegel bestand übrigens aus einem Sack Zucker, einer Marmorplatte, einem Hocker, einem gemauerten Herd, einem Kupferkessel und einer Walze. Mit diesen Mitteln schuf er in besagter Bonner Waschküche ein mittlerweile weltweit bekanntes Unternehmen. Quelle: dapd
100 Millionen GummibärchenMittlerweile produziert das Familienunternehmen pro Tag 100 Millionen seiner Goldbären. Würde man die einzelnen Bären aus der Produktion eines Jahres nebeneinander stellen, hätte man eine Goldbärenkette von 160.306 Kilometer Länge. Mit der einer Jahresproduktion an Gummibärchen könnte man also vier mal die Erde umrunden. Verkauft werden die Goldbären übrigens weltweit, beispielsweise als "Gold-Bears", "Ositos de Oro" oder "Zlote Misie". Quelle: dpa/dpaweb
Fast 470.000 Kilometer LakritzWürde man übrigens die gesamte Jahresproduktion an Lakritzschnecken von Haribo aufrollen und aneinander reihen, hätte man einen Lakritzstrang von 468.000 Kilometer Länge. Damit ließe sich die Distanz zwischen der Erde und dem Mond überbrücken. Quelle: dpa/dpaweb
SloganSeit den 1930er Jahren wirbt Haribo damit, Kinder froh zu machen. Mitte der 60er ergänzte Unternehmensgründer Hans Riegel die Werbebotschaft um den Zusatz "und Erwachsene ebenso". Mit Erfolg: Laut Angaben des Unternehmens kennen 98 Prozent der Deutschen den Werbeslogan und verbinden das Unternehmen aus Bonn auch damit. Quelle: Presse
WerbepartnerschaftEbenfalls ein cleverer Schachzug des Unternehmens war die Verpflichtung des Moderators und Showmasters Thomas Gottschalk als Werbegesicht. Ab 1991 macht Gottschalk Reklame für Goldbären, Colorado und Lakritz, das ist die längste Werbepartnerschaft der Welt. Sie bescherte sowohl Gottschalk als auch Haribo neben den entsprechenden Einnahmen auch einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. 2014 kündigten Gottschalk und Haribo das Ende der Zusammenarbeit an. Quelle: obs
Berühmte FansDoch auch schon bevor Gottschalk begann, für Haribo zu werben, konnte die Marke viele Fans gewinnen. Kaiser Wilhelm II. beispielsweise schrieb aus seinem Exil in Doorn, dass die Gummibärchen aus Bonn das Beste seien, was die Weimarer Republik hervorgebracht habe. Auch Albert Einstein, Erich Kästner, Heinz Rühmann, Konrad Adenauer und Hans-Dietrich Genscher hatten immer Goldbären bei sich. Und auch in Übersee erfreuen sich Goldbären großer Beliebtheit. So sagte die US-Schauspielerin Reese Witherspoon, deren Vater sechs Jahre Militärarzt in Wiesbaden war, in einem Interview, dass Deutschland "die tollsten Süßigkeiten" habe und dass Gummibären "doch die beste Erfindung" seien. Quelle: dpa

Vorstandschef Konert bleibt nichts anderes, als auch diesen Kampf aufzunehmen: „Wir werden uns nicht die Butter vom Brot nehmen lassen“, sagt er. Die Fehde wird ihn weiterhin Zeit vor Gericht kosten. Für das Unternehmen sei das „nicht schön“, sagt er, „ohne den Streit könnte es noch erfolgreicher sein“.

Der Streit im Eigentümerkreis macht es nicht leichter für Konert, dessen Vertrag 2020 endet, einen Nachfolger zu finden. Klageschriften von über 500 Seiten und Hauptversammlungen, die mit Hunderten von Fragen weit in die Nacht hineingehen, tut sich nicht jeder an. Aufsichtsratschef Jörg Siebert, der seit 2007 das Gremium führt und zuvor 20 Jahre Vorstandschef von Gelita war, sieht das trotzdem gelassen. Seien die Gerichtsverfahren 2019 entschieden, werde der Streit sich beruhigen. Für Koepf könne es sich unmöglich lohnen, weiter gegen eine Mehrheit von fast zwei Dritteln der Anteile anzurennen.

Bis zu seinem Abschied will sich Konert weiter auf Gelatine-Innovationen konzentrieren. Um zu zeigen, dass das Potenzial des Grundstoffs längst nicht ausgeschöpft ist, legt er ein neues Produkt auf den Konferenztisch: eine Teelichtform, die nicht aus Aluminium gepresst ist, sondern – natürlich – aus Gelatine. Schon in einigen Monaten soll ein Kerzenhersteller die erste Serie in den Handel bringen. Die unscheinbare Neuerung aus dem Neckar-Tal spielt eine tragende Rolle im Zukunftskonzept „Gelita 2030“ des Optimisten Konert.

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