Helden Contra Corona – Erfahrungsbericht #30 „Vor einer zweiten Corona-Welle habe ich Angst“

Nach dem Corona-Schock will der sächsische Catering-Unternehmer Wilfried Hänchen (links) sein Unternehmen nun in die neue Normalität führen. Quelle: Presse

Nach dem Corona-Schock will der sächsische Catering-Unternehmer Wilfried Hänchen sein Unternehmen nun in die neue Normalität führen. Doch in dieser Normalität geht die frühere Kalkulation vorerst nicht auf. Der harte Umsatzabsturz im April wirkt schmerzhaft nach.

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Wilfried Hänchen, 73, ist Inhaber der Unternehmensgruppe Hänchen. Der Großküchenbetreiber aus Dreiskau-Muckern unweit von Leipzig ist im Segment Schul- und Kinderspeisung mit 20 Millionen Euro Umsatz die Nummer drei der deutschen Cateringbranche hinter Sodexo und Apetito. Hänchen ist einer von rund 100 Unternehmerinnen und Unternehmern, die die WirtschaftsWoche wegen ihrer kreativen Lösungen im betrieblichen Alltag in den vergangenen zwei Jahres als „Helden des Mittelstands“ beschrieben hat.

Etwas Einschneidendes muss passiert sein in den vergangenen sieben Wochen. Als wir am 23. März mit Wilfried Hänchen über die Folgen der Coronakrise sprachen, fühlte sich der Sachse noch wie ein Fels in der Brandung. 20 Betriebe habe er in den Jahren nach der Wende gegründet oder aus Insolvenzen übernommen und fundamentale Umbrüche durchgestanden: Er habe „wohl zu viel erlebt, um nun fassungslos zu sein“. Die immer im Unternehmen verbliebenen Gewinne seien „ein ordentliches Polster“. Bis Juni oder Juli komme die Hänchen-Unternehmensgruppe damit und mit Kurzarbeit gut über die Runden – so Hänchen damals.

Nun, Mitte Mai, klingt Hänchen zunächst anders: erschüttert, mitgenommen, wie nach einem Schock. Den hat er tatsächlich erlebt. Mit einem massiven Einbruch der Essensbestellung hatte der erfolgreiche Catering-Unternehmer gerechnet, aber nicht mit fast 92 Prozent Umsatzausfall: „Wir waren plötzlich auf acht Prozent des Vorjahresniveaus.“ 170 der 200 Schulen, Kindergärten, Behindertenwerkstätten und anderen Einrichtungen, für die Hänchens 400 Mitarbeiter sonst kochen und die sie in den Essensausgaben der Einrichtungen versorgen, hatten dichtgemacht und andere nur noch Notbetrieb.

Bei 650.000 Euro monatlicher Lohnsumme und kaum Einnahmen stieß der Optimismus des erfahrenen Unternehmers an seine Grenzen. „Das war eine schlimme Zeit. So katastrophal hatte ich das nicht erwartet. Ich wusste nicht, ob wir diesen Einbruch überleben oder nicht“, denkt Hänchen zurück an die schwärzesten Tage und Nächte. In denen wachte er voller Sorgen auf und fand keine Ruhe mehr. Der 73. Geburtstag am 15. April? Ein trostloser Tag: „Ich hatte richtig Angst, dass wir es nicht schaffen.“

Funktionierende Institutionen ließen den entmutigten Macher neuen Mut schöpfen. Zügig und unkompliziert bewilligte die Agentur für Arbeit den Antrag auf Kurzarbeit, bei dem Hänchens Lohnabrechnungsdienstleister aus Halle half: „Der Dienstleister und die Agentur haben uns sehr gut unterstützt.“ Bei seiner Hausbank hatte Hänchen kein Problem, eine Zusage für einen KfW-Kredit über 500.000 Euro zu bekommen: „14 Tage nachdem wir den Antrag gestellt habe, war das Geld da, und der Zinssatz ist moderat.“

Weitere 500.000 Euro brachte Hänchen aus dem eigenen Vermögen ins Unternehmen ein, um sein Lebenswerk vor den Folgen des Virus zu retten. Und höllisch passt er nach wie vor auf die eigene Gesundheit auf. Bei den wöchentlichen Meetings mit den Führungskräften und Sohn Mirko, der mal die Nachfolge antreten soll, müssen alle auf Abstand achten und Mundschutz tragen: „Das wäre ja furchtbar, wenn wir einen Virusausbruch hätten im Unternehmen.“

Inzwischen sieht Hänchen wieder „ein helles Licht am Horizont“. Seit vergangener Woche steigen die Bestellungen. Kommende Woche sollen es 50 Prozent des alten Niveaus sein, also 10.000 Portionen Frühstück und Mittagessen statt 20.000. Derzeit beliefert das Unternehmen 60, ab kommender Woche 100 Einrichtungen.

Das Problem bei der neuen Normalität: Zwar machen viele der Schulungen, Kindergärten und Behindertenwerkstätten, die Hänchen beliefert, gerade wieder auf, das aber nur vorsichtig mit geringerer Auslastung. Die Folge: Hänchens Lieferwagen steuern manche Einrichtungen mit 10 Mittagessen an. 50 müssten es aber sein, damit sich die Tour für das Unternehmen lohnt. Und wenn Schülergruppen in Schulen nicht gemeinsam essen, sondern zeitversetzt über drei oder vier Stunden, muss Hänchen die Essensausgabe-Mitarbeiterin entsprechend länger beschäftigen und bezahlen.

Über die so entstehenden Mehrkosten versucht er mit den Einrichtungen und Kommunen zu verhandeln, aber das ist mühsam und aus Sicht des Unternehmers manchmal frustrierend: „Es gibt keine landesweiten einheitlichen Vorgaben, wie der Mehraufwand von Dienstleistern wie uns in den kommunalen Einrichtungen gehandhabt wird. Jeder Bürgermeister entscheidet das für sich.“

Gut ein Viertel der Belegschaft hat Hänchen inzwischen aus der Kurzarbeit geholt. Waren zeitweise zwei seiner fünf Großküchen zu und drei auf Sparflamme, kehrt nun langsam wieder das laute und rührige Leben an die Kochtöpfe zurück. „Wie im falschen Film“ fühlte sich der Unternehmer, als Totenstille herrschte in den Küchen und kein Mensch dort war. Auf seine Mannschaft ist der Chef „stolz, weil die Leute sich ganz toll für das Unternehmen einsetzen in dieser Krise“.

Hänchen schaut wieder nach vorn. Die privaten Mittel investiert er ab Juni in neue Anlagen, um die Produktionskapazitäten um zehn Prozent auf 22.000 Essensportionen zu erhöhen. Gleichzeitig hat er sich „massiv in die Akquise eingeschaltet“, um neue Kunden zu gewinnen und geringere Umsätze auszugleichen: „Es ist nicht meine Art, nach einem Rückschlag defensiv zu agieren. Wir sind immer gewachsen und wollen das wieder tun.“

Die alte Performance ist fast schon wieder zurück: „Ich bin zu hundert Prozent sicher, dass wir den Dezember gesund erleben werden“, verkündet Hänchen. Nur eine Angst plagt den Unternehmer noch: dass Corona zurückschlägt, dass der Lockdown von vorn losgeht und die Schulen und alle anderen Kunden wieder schließen: „Noch so einen Monat wie den April will ich nicht erleben.“

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In der Rubrik Helden des Mittelstands porträtiert die WirtschaftsWoche regelmäßig einen Mittelständler, der eine Herausforderung kreativ, mutig und klug gemeistert hat. Was tun diese Helden gegen die Coronakrise? Wir haben nachgefragt. Alle Folgen der Serie „Helden Contra Corona“ finden Sie hier.

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