RWE-Chef Atomsaurier Jürgen Großmann kämpft um sein Erbe

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Unternehmenszentrale von RWE Quelle: dapd

Er versuchte, die Wunde des Vaters zu schließen, der an den Widerständen in seiner Firma zerbrochen war und es nie an die Spitze schaffte. Jürgen Großmann wollte Chef eines Stahlwerks werden. Das sei, sagt er, schon als Junge sein Ziel gewesen. Jetzt hat er das Stahlwerk und 48 weitere Firmen.

Manchmal fährt er zu seiner Georgsmarienhütte, übernachtet in einer Wohnung auf dem Gelände der Fabrik, und wenn er nachts wach wird, hört er das Wummern des Elektroofens. Es ist ein Geräusch, das ihn beruhigt.

So erzählte er das Ende April in seinem Lieblingsrestaurant am Elbufer in Hamburg. "Warum willst du zu RWE?", habe seine Frau ihn damals, vor vier Jahren, gefragt. Sie war dagegen, dass er das Angebot annahm. Er brauchte das Gehalt nicht, er war kein Frontmann der Kernenergie, er war unabhängig, in Osnabrück ein Arbeiterheld. "Ist das ein weiterer Versuch, zu entkommen?", habe ihn seine Frau gefragt. "Ist es deine Ego-Show?"

"Ja, das ist es, eine Ego-Show", habe er geantwortet.

Die Freunde aus der Industrie verstummen

Großmann sprach im Restaurant plötzlich sehr offen, irgendetwas musste ihn bewegen. Er war unglücklich über die Bilder in den Zeitungen, die ihn auf der RWE-Hauptversammlung als einen bedrängten Mann zeigten, der sich mit Bodyguards vor Atomgegnern schützen musste. Er war als Vorstandschef mit 99 Prozent der Stimmen bestätigt worden. Aber daraus, sagte er, hat niemand eine Schlagzeile gebaut.

Jürgen Großmann war plötzlich das, was die Medien suchten: ein Unbelehrbarer. Großmann steckte in der Defensive, aber er verschanzte sich nicht. Er ließ sich in dieser Lage sogar von einem Journalisten aus der Nähe beobachten, was wohl kein anderer Chef einer Aktiengesellschaft wagen würde. Die meisten von ihnen verbergen ihr Leben hinter Zahlen und Tabellen. Ihre Gefühle behalten sie für sich. Großmann hält das nicht aus. Während sich die anderen Chefs der Energiewirtschaft duckten, richtete er sich auf und sprach darüber, was in ihm arbeitete.

Der Ausstieg aus der Atomenergie überzeugte ihn nicht. Er sei kein Feind der erneuerbaren Energien, doch warum diese Hetze, fragte er. Was, wenn die Wende nicht so schnell klappt? Will man die deutsche Industrie ins Ausland treiben? Was, wenn man feststellen sollte, dass der Natur zu viel zugetraut wurde? Wenn im Winter der Energieverbrauch steigt, aber der Wind ausbleibt? Will man dann Atomstrom aus Frankreich kaufen? Oder riskieren, dass in Deutschland das Licht ausgeht? Großmann stellte diese Fragen öffentlich, seine Freunde aus der Industrie waren verstummt.

Die Atomgegner bloß nicht provozieren

 "Man gerät ins Nachdenken", sagte Großmann damals beim Essen in Hamburg, dann sprach er von seinem Abiturjahrgang. 18 von 21 Abiturienten lebten noch. "Mit anderen Worten", sagte Großmann, "15 Prozent sind schon tot. Es ist gut, dass man nicht weiß, wann die Mitte des Lebens überschritten wurde." Das waren seltsam düstere Gedanken für einen Mann, der sich aufgemacht hatte, die deutsche Atomkraft zu verteidigen.

Nach dem Essen fuhr ihn ein Chauffeur zum Gebäude der Firma, die über sein Stahlreich wacht. Ein stattliches Haus, das durch kein Schild den Chef verrät. "Die Atomgegner", sagte der Chauffeur, "bloß nicht provozieren."

Ein schwülwarmer Tag in Tokyo ist angebrochen, als Jürgen Großmann den Turm der Deutschen Bank betritt. Der Fahrstuhl bringt ihn in die 27. Etage, zu einem Geschäftsessen mit japanischen Fondsmanagern. Großmann schätzt das Vermögen, das diese Menschen zu verteilen haben, auf 100 Milliarden Euro, mindestens. Sie könnten einen Teil dieses Geldes in RWE investieren, unter Umständen, vielleicht. Als Vorspeise wird Entenbrustsalat gereicht, und Großmann muss jetzt Deutschland sein. Er wird gefragt, was die deutsche Atompolitik zu bedeuten habe. "Die politische Situation", erwidert Großmann, "ist interessant." Er nennt die Türkei, die Slowakei, die Tschechische Republik, überall sei RWE stark, er lenkt von Deutschland ab.

"Ich war nicht erfolgreich", sagt er in die Runde und versucht es mit einem Scherz. "Wenn ich auf eine einsame Insel nur eine Frau mitnehmen dürfte, dann wäre das nicht Frau Merkel." Die Japaner lächeln höflich und wenden sich ihren Tellern zu.

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