Die Stimmung vor der Verkündung der Halbjahreszahlen am Donnerstag könnte besser sein, zuletzt rissen die schlechten Nachrichten rund um den energischen Startup-Unternehmer Oliver Samwer nicht ab: Erst Anfang September musste Samwers Start-up-Fabrik Rocket Internet einen neuerlichen Rückschlag einräumen.
Zwar konnte Rocket für den einst hochgehandelten Internet-Möbelversender Home24 eine neue Finanzierungsrunde von 20 Millionen Euro vermelden, allerdings bei einem Unternehmenswert von nur noch 420 Millionen Euro – weniger als die Hälfte der zuvor bei 981 Millionen Euro taxierten Bewertung.
Schlimm genug, dass Home24 damit den prestigeträchtigen Status eines Einhorns – eines Start-ups mit einer Bewertung von jenseits einer Milliarde Euro – verliert: Rocket Internet insgesamt gerät zunehmend in Schieflage, Olis Internet-Imperium befindet sich auf vielen Feldern im Rückwärtsgang.
Das beweisen die wichtigsten Kennzahlen im Rocket-Reich, die sogenannten „Last Portfolio Values“, die auf den Rocket-Anteil heruntergerechneten Unternehmenswerte. Die marktschreierische Bezeichnung „Proven Winners“ – zu Deutsch: erwiesene Sieger – hat Samwer bereits im Mai heimlich, still und leise fallen gelassen.
Vermeintliche Sieger wirken eher wie Verlierer
Nun zeigt sich warum: Die vermeintlichen Sieger mit ihren angeblich bereits bewiesenen Geschäftsmodellen wirken eher wie Verlierer. Schon im Frühjahr musste Rocket den Wert der Global Fashion Group (GFG), einer Bündelung von Zalando-Klonen in diversen Schwellenländern, von zuvor 680 Millionen Euro auf nur noch 180 Millionen Euro zurückfahren – ein Schock für die Investoren.
Zitate von Oliver Samwer
„Die alte Investorenregel, wonach acht von zehn Engagements in die Hose gehen dürfen, solange zwei das große Geld bringen, lehnen wir ab. Wir wollen, dass aus allen 20 Eiern, die wir bebrüten, ein Küken schlüpft und sich jedes Küken zu einem prachtvollen Vogel entwickelt. Mag sein, dass am Ende das eine Unternehmen am Ende eine Million Euro wert ist und das andere hundert Millionen. Aber wir geben keines unserer Engagements verloren. Notfalls ändern wir das Geschäftsmodell – und niemals lassen wir einen Entrepreneur fallen.“
Oliver Samwer im August 2007 über die Ambitionen des EFF
„Ich verweise gerne auf das Beispiel der Banken. So ist Citibank eine Großbank, aber das Bankenwesen erfunden haben beispielsweise eher die Medici. [...] Es gibt ganz wenige 'Einstein-Unternehmer' wie den Erfinder der Glühbirne oder des Telefons. Aber zu 99 Prozent entscheidet die Umsetzung der Idee. Am Ende kommt es nicht darauf an, ob ich als Erster eine Idee gehabt habe, sondern darauf, ein Unternehmen aufzubauen, das langfristig existiert und Kunden zufriedenstellt. […] In der Internetindustrie gibt es Einsteins und Typen wie Bob, der Baumeister. Ich bin ein Bob, der Baumeister.“
Oliver Samwer zum Copycat-Vorwurf
„Im Oktober 2009 habe ich beschlossen: Den Herrn Haub rufe ich an und frage ihn mal, ob er nicht ein Unternehmen für seine Kinder aufbauen möchte. Ich habe ihm gesagt: Ich denke, dass E-Commerce auf jeden Fall passieren wird. Und ich glaube nicht, dass Sie es mit Ihrem Unternehmen alleine schaffen werden. Wollen Sie nicht auf ein zweites Pferd setzen? […] [Andere klassische Händler] setzen nur auf ein Pferd, auf ihr eigenes Pferd. Sie denken: Ich bin Händler, ich kenne das Geschäft seit 30 Jahren, vielleicht schon in der dritten Generation. Das mit dem E-Commerce ist doch nichts anderes als ein Laden oder ein Versandhausgeschäft.“
Oliver Samwer über seine Beteiligungsehe mit Tengelmann
In seiner Zeit bei Groupon schrieb Oliver Samwer eine Mail, die als „Blitzkrieg“-Mail bekannt wurde. Das sind einige Zitate aus dem Dokument:
„Wir müssen den Zeitpunkt für unsere Blitzkrieg weise wählen, also sagt mir jedes Land mit seinem Blut, wenn es soweit ist. Ich bin bereit – immer!“
„Ich gebe euch all mein Geld um zu gewinnen, ich gebe auch all mein Vertrauen, aber wehe, ihr kommt zurück und habt eure Erfolge nicht erreicht.“
„Ich bin der aggressivste Mann im Internet auf dem Planeten. Ich werde sterben, um zu gewinnen, und ich erwarte von euch dasselbe!“
„[L]aufen eine Milliarde Inder nackt rum? Oder 240 Millionen Indonesier? Nein, die wollen was kaufen! Die Logik ist doch klar. Wir gehen dorthin, wo es nicht schon 100 Zalandos gibt. […] Am Ende des Tages sind wir Unternehmer, um zu sagen: Was immer dazu notwendig ist. Wenn es nötig ist, dass ich die letzte Meile selbst baue und im Prinzip eine Post entwickle, bin ich auch bereit, die pakistanische Post zu bauen. Warum nicht? Vor sieben Jahren hatten wir keine Ahnung von E-Commerce, vor 15 Jahren hatte ich keine Ahnung vom Internet. […] Wir machen alles, was notwendig ist. Und das kann der Bau von Warenhäusern, der Bau der letzten Meile oder das Mitbringen von Geld ins Land sein.“
Oliver Samwer über die weltweite Internationalisierung
„Wir gehen in ein Land immer mit Touristen-Visa. […] Google geht mit Business-Visa. Aber ein Business-Visum zu erhalten kann drei Monate dauern. Ich erinnere mich noch, als eine Art Polizei unsere Büros besucht hat und wir alle zu Hause gearbeitet haben an diesem Tag. Alles war leer, nur Einheimische waren da. […] Ich denke, man muss einfach ultra pragmatisch sein. Und keine Zeit darauf verwenden, was wäre wenn usw. Die Leute denken allgemein zu viel darüber nach, was das Problem ist, worin die Herausforderung besteht. Wirklich, für eine Internationalisierung ist es in jedem Land dasselbe. Nur bei China würde ich sagen, dass ich fernbleibe.“
Oliver Samwer über den Pragmatismus seiner weltweiten Internationalisierung
„Wenn wir jetzt nur noch alle gestarteten Unternehmen möglichst schnell in die Gewinnzone führen würden, wären wir durchfinanziert. Dann bräuchten wir kein frisches Geld mehr. Aber das wäre völlig falsch. Ein Börsengang ist bei sehr vielen unserer Unternehmen das Ziel. In 40 Jahren soll im Wikipedia-Eintrag über uns zu lesen sein, dass niemand weltweit so viele Internet-Unternehmen so systematisch gebaut hat wie wir.“
Oliver Samwer über die Ambitionen seiner weltweiten Gründungsvorhaben
Joel Kaczmarek, „Die Paten des Internets“, erschienen im Finanzbuchverlag FBV, ISBN: 978-3-89879-880-8
Und der Möbelversender Westwing konnte sich im Juli zwar über eine Kapitalspritze von 24 Millionen Euro freuen; die Bewertung blieb aber konstant – für ein Start-up ein Negativindikator. Insgesamt ist der Gesamtwert aller einstigen „Proven Winner“ nach Berechnungen der WirtschaftsWoche von in der Spitze mehr als 4,5 Milliarden Euro Ende 2015 bis heute um mehr als eine Milliarde Euro gesunken.
Insider befürchten, dass das nur die erste Abwertungsrunde war. Denn auch bei den Unternehmen aus der zweiten Reihe sieht es nicht besser aus: Wimdu, die Vermittlungsplattform für Ferienwohnungen, hat seit Gründung vor fünf Jahren einen Großteil der ursprünglichen 90-Millionen-Euro-Finanzierung verbrannt.