BörsenWoche 419: Editorial Warum nach dem KI-Boom eine Korrektur nicht überraschen sollte

Die jüngste Börsenrally geht auf wenige Techunternehmen mit großen KI-Phantasien zurück. Doch der Kursanstieg mahnt zur Vorsicht. Bläht sich hier eine neue Spekulationsblase auf? Ein Kommentar.

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Nach drei Jahren Spanischunterricht schaffe ich es gerade mal, auf Mallorca ein Bier zu bestellen. Während meines Abiturs hatte ich wohl andere Sachen im Kopf als Vokabeln zu pauken und Grammatik zu büffeln. Zur Adventszeit sollten wir mal eine Weihnachtsgeschichte auf Spanisch schreiben. Effizient wie ich war, formulierte ich meine auf Deutsch und ließ den Google Übersetzer seine Arbeit machen– im Jahr 2012 das große Ding für Freunde des Müßiggangs. Nachdem mich meine Lehrerin aufforderte, dieses literarische Kollektivgut im Kurs vorzulesen, fragte sie: „Was zur Hölle hat denn eine gigantische Giraffe mit Weihnachten zu tun?“

Gut möglich, dass dieser Übersetzungsfehler menschlicher Unfähigkeit geschuldet ist. Säße ich heute noch auf der Schulbank, wäre die Sache für mich sicher besser gelaufen: Ich hätte ChatGPT meine Hausaufgaben machen lassen. Der Chatbot wird gerade als Wunderwaffe unserer Zeit gefeiert. Und die geistigen Ergüsse von ChatGPT wären sicher keine Beleidigung der spanischen Sprache geworden.

Der Hype um künstliche Intelligenz (KI) hat auch die Börsen ergriffen. Letztlich geht die jüngste Kursrally auf eine Handvoll Techunternehmen zurück, die als Vorreiter in dem Bereich gelten. Stellvertretend für den Boom steht der Chiphersteller Nvidia. Seit Jahresbeginn hat sich die Aktie beinahe verdoppelt. Das führte nicht nur dazu, dass die Bewertung die Billionen-Dollar-Mauer durchbrochen hat, sondern befeuerte auch die Entwicklung von Indizes wie dem S&P 500.

Natürlich, KI kann zum Wachstumsbooster für die Wirtschaft avancieren, Prozesse beschleunigen und automatisieren. Eine neue Studie des McKinsey Global Institute beziffert den jährlichen Produktivitätszuwachs durch KI auf 2,4 bis 4,1 Billionen Dollar. Eine Entwicklung, von der auch Aktionäre profitieren würden.

Doch der extreme Kursanstieg von Techwerten mahnt zur Vorsicht. Mit den explodierten Börsenbewertungen sind auch die Gewinnansprüche an die Unternehmen gestiegen. Nvidias Bewertung bleibt bei einem geschätztem KGV fürs laufende Jahr von 60 zumindest sportlich. Auch wenn die Zinswende mit der abflachenden Inflation ihren Höhepunkt erreicht haben dürfte: Die Zeit des billigen Geldes ist vorbei.

Zumal einige Indikatoren auf eine Rezession hindeuten, trotz zuletzt versöhnlicher Wirtschaftszahlen. Und wenn die Leute bald weniger Geld zur Verfügung haben sollten, dann bleibt das teure Smartphone mit Schickimicki-KI-Anwendungen wohl eine Karteileiche auf der Amazon-Watchlist.



Anleger dürfen nicht vergessen: Nach dem massiven Kursanstieg sind KI-Aktien bereits weit gelaufen – auch, weil viele Aktionäre über ihre ETF-Sparpläne immer weiteres Geld in die Unternehmen pumpen. Im Weltaktienindex MSCI World sind mit Microsoft, Alphabet und Co. genau jene Unternehmen am stärksten gewichtet, die im KI-Wettlauf ganz vorne mitspielen wollen.

Der Hype muss nicht wie die Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre platzen. Die großen Tech-Dickschiffe wie Apple sind längst keine spekulativen Wachstumstitel mehr, sondern wirtschaften profitabel. Dennoch: Nach dem steilen Kursanstieg sollte eine Korrektur Anleger nicht überraschen.

Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Börsenwoche.



Ihr Philipp Frohn

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