Börsenwoche 429: Editorial Der Bitcoin ist zum Zocken da – und taugt nicht als Zahlungsmittel

Zwei Jahre nach der Einführung des Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel in El Salvador fällt das Resümee verheerend aus. Krypto-Experimente sind was für Privatanleger – nicht für Staaten. Ein Kommentar.

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Nirgends lässt sich das Ausmaß der Inflation besser beobachten als beim Eispreis. Vor wenigen Wochen war ich zu Besuch auf einer Hochzeit in der münsterländischen Pampa. Um die langen Stunden zwischen Trauung und Abendessen zu überbrücken, hatte das Brautpaar einen Eiswagen bestellt. Stolze 1,50 Euro pro Kugel ließen sich die frisch Verheirateten die kalorienreiche Versorgung kosten. Oder auch: 0,00006116706 Bitcoin. Der Eiswagenfahrer akzeptierte nämlich auch Kryptowährungen – eine Ausnahme in Deutschland.

Gut 9200 Kilometer entfernt hingegen arbeitet man am Siegeszug der Kryptowährung. ‚Man‘ ist vor allem Nayib Bukele, der exzentrische Präsident El Salvadors. Unter ihm hat eines der ärmsten Länder der Welt vor gut zwei Jahren Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt. Unter Protest der Bevölkerung gab der Präsident 100 Millionen Dollar für das Krypto-Abenteuer aus. Doch die auf den großen Aufschwung El Salvadors via Bitcoin entpuppte sich als teurer Flop.

Kurz nach Beginn des Experiments brach der Kurs der Kryptowährung ein. Von den damals fast 50.000 Dollar ist heute nur noch etwa die Hälfte übrig. Das ist umso bitterer, wenn man bedenkt, dass das Durchschnittseinkommen in dem mittelamerikanischen Land bei etwa 400 Dollar im Monat liegt.

Eine Katastrophe für die Staatsfinanzen. Und eine Katastrophe, die nicht hätte sein müssen. Ja, Kryptowährungen können insbesondere Menschen in ärmeren Ländern Möglichkeiten eröffnen. In El Salvador haben rund 70 Prozent der Einwohner kein Bankkonto.

Mit Bitcoin können sie am internationalen Zahlungsverkehr teilnehmen. Hilfreich ist das etwa deshalb, weil viele Salvadorianer in den USA arbeiten. Ohne Konto keine Überweisung in die Heimat – Digitalmünzen lassen sich hingegen auch ohne Bankkonto verschicken.

Ganz falsch lag Bukele also nicht. Selbst Wall-Street-Häuser springen auf den Bitcoin-Hype auf. Aus gutem Grund, denn auf lange Sicht hat die Cyberdevise Anlegern stolze Kursgewinne gebracht. Wenn die Zinsen ihren Höhepunkt erreicht haben und das Angebot an neuen Münzen immer knapper wird – und das sieht der Bitcoin-Algorithmus vor –, dürfte der Kurs bei entsprechender Nachfrage auch wieder steigen. Konjunktiv, wohlgemerkt.

Aber: Kryptowährungen schwanken stark. Schon wenn Krypto-Enthusiast Elon Musk hustet, hat das mitunter Auswirkungen auf die Kurse. Der Bitcoin ist zum Zocken da, als Hoffnungsträger für eine Überrendite – mit entsprechenden Risiken.

Seine Unberechenbarkeit disqualifiziert ihn allerdings als Zahlungsmittel, und als Geldanlage für Staaten sowieso. Auch wenn es vielleicht weniger sexy klingt als verheißungsvolle Krypto-Experimente: Wenn Regierungen das Geld ihrer Bürger anlegen – und das ist durchaus wünschenswert –, dann doch bitte solide.

Nachdem ich mein Cookie-Eis bestellt hatte, wollte ich vom Verkäufer wissen, wie viele Kunden denn mit Kryptowährungen bezahlen. „Das kann ich an ein paar Händen abzählen“, sagte er. „Es ist vor allem ein Gag.“



Ihr Philipp Frohn

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