Der große Jobfrust „Ein neuer Job ist nicht immer die Lösung“

Mehr berufstätige Frauen und Männer denken über einen Jobwechsel nach. Aber ist eine neue Stelle das Allheilmittel gegen Unzufriedenheit im Job? Quelle: Getty Images

Derzeit denken ungewöhnlich viele Menschen daran, den Job zu wechseln. Warum ein neuer Arbeitgeber nur selten gegen die Unzufriedenheit hilft und wie Sie herausfinden, was das eigentliche Problem ist.

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Seit Beginn des Jahres häufen sich auch in Deutschland Meldungen und Studien, die zeigen, dass die Arbeitnehmer hierzulande wechselwilliger geworden sind. Dazu trägt auch die Pandemie bei, meinen Experten wie Sabine Votteler. Sie hat mehr als 20 Jahre als Managerin in verschiedenen Unternehmen gearbeitet. Heute berät sie als selbstständige Coach Menschen bei ihrer beruflichen Neuorientierung. Derzeit sogar etwas öfter als vor der Coronapandemie.

WirtschaftsWoche: Frau Votteler, in den USA haben während der Pandemie Millionen Menschen ihre Jobs gekündigt und auch in Deutschland denken derzeit besonders viele Menschen über einen Jobwechsel nach. Warum sind die Arbeitnehmer im Moment derart unzufrieden?
Sabine Votteler: Einschneidende Ereignisse wie die Coronapandemie lassen uns zum einen mehr über den Sinn unserer Arbeit nachdenken. Zum anderen fühlten sich viele Arbeitnehmer vor allem im ersten Jahr der Krise von ihren Arbeitgebern auch im Stich gelassen, abgehängt und auf sich gestellt im Homeoffice. Andere sollten nach dem ersten Lockdown zurück ins Büro - und haben gemerkt, dass sie diese Art zu arbeiten nicht mehr ertragen. Sei es das Großraumbüro, die starren Arbeitszeiten oder der enge Terminkalender. 

Und da liegt der Wunsch nach einem neuen Job nahe.
Ja, aber die Menschen führen ihre Unzufriedenheit viel zu häufig auf ihre Arbeit zurück. Ein neuer Job ist nicht immer die Lösung. Es kann genau so gut sein, dass es am alten Arbeitsplatz Raum für Veränderung gibt oder dass man für eine gewisse Zeit etwas ganz anderes machen muss. Sabbaticals etwa sind mittlerweile ja eine sehr anerkannte Form, sich mal Luft zu verschaffen. Aber übereilt das eigene Glück an einen neuen Job zu knüpfen, hilft meist nicht.

Sabine Votteler hat mehr als 20 Jahre als Managerin in verschiedenen Unternehmen gearbeitet. Quelle: PR

Wie sollten Unzufriedene vorgehen um herauszufinden, was für sie der richtige Weg ist?
Eine zentrale Frage ist, ob sie ihren Beruf inhaltlich noch ok finden oder nicht. Denn ganz häufig geht es den Menschen gar nicht so sehr um ihre Tätigkeit wie um die Rahmenbedingungen. Sie denken, sie wechseln den Arbeitgeber und dann ist alles super. Aber schon kurz nach dem Antritt beim neuen Arbeitgeber bemerken sie, dass die Rahmenbedingungen hier auch nicht besser sind. 

Was meinen Sie mit Rahmenbedingungen?
Ein Beispiel: Einer meiner Klienten arbeitete bei einem Konzern in der Druckbranche. Er haderte mit den langen Entscheidungswegen, damit, dass er selbst zu wenig Entscheidungsbefugnisse hatte. Er wechselte also in den Mittelstand, wo die Hierarchien flacher und die Abstimmungsschleifen kürzer sind. Nach ein paar Monaten war er dort am gleichen Punkt. Diesmal stand seinen Ideen ein konservativer Inhaber gegenüber und wenig Aufgeschlossenheit für Veränderungen.

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Ihm hat der Jobwechsel also nicht geholfen. Was hat er daraus gelernt? 
Dass es gar nicht um die Rahmenbedingungen, wie die langen Entscheidungswege ging, sondern um Wirksamkeit. Er will, dass seine Arbeit auch wirklich eine Auswirkung hat. In einem nächsten Schritt muss er sich nun fragen, ob sich dieses Bedürfnis im von ihm gewünschten Maß in einem Angestelltenverhältnis überhaupt befriedigen lässt. 

Die Menschen gehen also ihrer Unzufriedenheit gar nicht richtig auf den Grund?
Ja, schon. Aber es ist auch gar nicht so einfach, die tatsächlichen Gründe zu identifizieren. Wenn man etwa viele Jahre lang einen Job gern macht und irgendwann unzufrieden damit ist, ist es nur logisch, die Gründe im neuen Chef oder veränderten Arbeitsbedingungen zu suchen. Dabei übersehen viele, dass sie es sind, die sich verändert haben. Werte und Wünsche ändern sich im Laufe des Lebens.

Aber wie können Menschen vorgehen, um herauszufinden, was sie wirklich stört?
Es gibt ein paar zentrale Fragen, die man sich stellen sollte. Als erstes: Wie lange bin ich schon unzufrieden und wie wirkt sich das auf mein Leben aus? Denn natürlich kann es mal Phasen der Unzufriedenheit geben, ohne dass direkt eine Krise dahintersteckt. In einem zweiten Schritt sollte man sich fragen, ob äußere Veränderungen das Problem ausgelöst haben. Ein neuer Chef, die Arbeitsweise in der Pandemie, neue Aufgaben. 

Und weiter?
Was stört mich ganz konkret: Bekomme ich zu wenig Budget? Werde ich nicht in Entscheidungen einbezogen? Und schließlich ganz entscheidend: Warum stört mich das? Wenn das dahinterliegende Problem lokalisiert ist, kann ich mich fragen: Wäre das bei einem anderen Arbeitgeber anders? Und genau das blenden viele Arbeitnehmer aus.
Woran erkennen Sie das?
Das weiß ich zum einen aus meiner Beratungspraxis, kann ich aber auch an den Lebensläufen der Menschen erkennen.

Inwiefern?
Es gibt zahlreiche Menschen, die im späteren Verlauf ihres Erwerbslebens nach ein oder zwei Jahren immer wieder den Job wechseln. Sie scheinen nicht so richtig anzukommen bei ihren neuen Arbeitsgebern.

Und das ist ein Alarmzeichen?
Genau. Diese Arbeitnehmer sollten sich in jedem Fall fragen, ob sie ihre aktuelle Unzufriedenheit schon aus früheren Jobs kennen. Denn oftmals werden sie dann erkennen, dass sie sich verändert haben und mittlerweile einfach andere Anforderungen an eine Aufgabe stellen. Ganz häufig geht es ihnen um mehr Wirksamkeit der eigenen Arbeit oder um Sinnhaftigkeit. 

Ist das auch eine Frage des Alters?
Typischerweise hadern auf diesem Niveau eher ältere Arbeitnehmer über Mitte 40 mit ihrem Job. Karriere und berufliche Ziele stehen dann nicht mehr so im Zentrum der Bewertung der eigenen Arbeit. 

Und dann?
Wenn sie ein solch grundsätzliches Problem ausgemacht haben, hilft es meist zu experimentieren.

Also den Job kündigen und was völlig Neues ausprobieren?
Nein, nicht in dieser Radikalität. Das kann sich zum einen kaum jemand leisten und zum anderen hilft blinder Neuanfang nicht weiter. Es geht mehr darum, sich mit anderen Menschen zu unterhalten, die in einem Bereich tätig sind, den ich mir vorstellen kann - zum Beispiel Menschen, die sich selbstständig gemacht haben. Andere arbeiten ehrenamtlich oder machen eine Art unbezahltes Praktikum für ein paar Tage. Da gibt es zahlreiche Möglichkeiten. 

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