Die Höhle der Löwen „Unser Ball ist ein Türöffner in die Welt der Demenzkranken“

Steffen Preuß, Alkje Stuhlmann, Mario Kascholke und Eleftherios Efthimiadis (v.l.n.r.) präsentieren mit „ichó

Icho Systems aus Duisburg will Demenzkranken mit einem interaktiven Therapieball helfen. Judith Williams und Dagmar Wöhrl waren zu Tränen gerührt – investieren wollten sie aber nicht. Im Interview berichtet der Gründer, wie es für das Start-up weitergeht.

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Ichó spricht, spielt Musik, vibriert, leuchtet in verschiedenen Farben – und erkennt, ob er bewegt wird: Der interaktive Therapieball des Duisburger Start-ups Ichó Systems soll die kognitiven und motorischen Fähigkeiten von Menschen mit neurologischen Erkrankungen trainieren. 100 Förderspiele wurden schon für den Ball entwickelt. Die Zielgruppe ist riesig: Alleine an Demenz sind in Deutschland rund 1,8 Millionen erkrankt.

Zum Pitch bei „Die Höhle der Löwen“ brachten die vier Gründer Steffen Preuß, Mario Kascholke, Alkje Stuhlmann und Eleftherios Efthimiadis Verstärkung mit: Der aus Fernsehsendungen bekannte Hundetrainer Martin Rütter ist einer der ersten Investoren des Start-ups. Von den Löwen hatte sich das Team 1,5 Millionen Euro erhofft und dafür 15 Prozent der Firmenanteile angeboten. Zu einem Deal kam es zwar nicht. Mit dem Feedback ist Gründer Steffen Preuß aber dennoch zufrieden, wie er im Interview berichtet. Außerdem erklärt er, wie es seit der Aufzeichnung  der Sendung vor einem halben Jahr weiterging – und wie TV-Promi Rütter zum Unterstützer des Start-ups geworden war.

WirtschaftsWoche: Herr Preuß, Judith Williams und Dagmar Wöhrl waren bei Ihrem Pitch zu Tränen gerührt. Auch von den anderen Löwen gab es viel Lob. Geld haben sie trotzdem nicht gegeben. Woran ist es aus Ihrer Sicht gescheitert?
Steffen Preuß: Ich habe es so wahrgenommen, dass wir auf einer emotionalen Ebene alle Löwen überzeugt haben. Aber die Tatsache, dass wir gleich 1,5 Millionen Euro einwerben wollten, hat sicher abgeschreckt. Die Investoren müssen in der Sendung sehr schnell eine Entscheidung zu einem Start-up treffen, das sie gerade zum ersten Mal sehen. Die gehen nur in ein Unternehmen rein, wenn sie wissen, dass sie es groß machen können. Mit unserem Produkt sind wir vielleicht ein Stückchen zu weit weg von den Branchen, in denen die Löwen zu Hause sind.

Tatsächlich sieht man Medizinprodukte in der Sendung vergleichsweise selten. Wie kam es bei Ihnen zur Teilnahme?
Wir hatten vor Jahren schon einmal eine Einladung in „Die Höhle der Löwen“, die wir aber ausgeschlagen haben. Zum einen waren wir damals noch nicht weit genug, zum anderen waren wir da mit dem Vertrieb noch auf professionelle Leistungserbringer in der Pflege ausgerichtet. Inzwischen hat sich unser Fokus auf Privatkunden verschoben. Da hat es sehr gut gepasst, dass wir noch einmal gefragt wurden, ob wir uns bewerben möchten.

Woher rührt der Strategiewechsel?
Wir sind zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt gestartet. Als wir unseren Therapieball Anfang 2020 auf den Markt gebracht haben, ging es gerade mit Corona los. An einen richtigen Vertrieb in Kliniken und Pflegeeinrichtungen war erst einmal nicht zu denken. Wir hatten aber ohnehin das Ziel, Betroffenen auch im häuslichen Umfeld zu helfen. Diesen Plan haben wir dann vorgezogen.

Am Pitch teilgenommen hat auch Ihr Investor Martin Rütter, den man aus dem Fernsehen als Hundetrainer kennt. Wie kam der Kontakt zustande?
In einer Folge der Reportagereihe „Der Hundeprofi unterwegs“ ging es um Demenz. Das war eine sehr emotionale Folge, in der Martin Rütter auch über die Demenzerkrankung seiner Mutter gesprochen hat. Die Redaktion hatte dann recherchiert, was sich bei technischen Helfern tut und war dadurch auf uns gestoßen. So haben wir Martin Rütter bei einem Dreh in einem Pflegeheim kennengelernt. Ich weiß noch genau, wie nervös ich war, als ich mit unserem Prototyp da hin bin. Martin Rütter stand dann mit verschränkten Armen vor mir und hat gefragt, ob das nun das „Tamagotchi für Demenzkranke“ ist. Dass er dann einer unserer ersten Investoren werden würde, habe ich in dem Moment nicht für möglich gehalten.

Wie konnten Sie den TV-Promi doch noch überzeugen?
Beim Dreh im Pflegeheim ist Ichó ausprobiert worden. Als der Ball anging, haben die Demenzerkrankten angefangen, zu singen und sich zu bewegen – während sie auf andere Hilfsmittel vorher kaum reagiert hatten. Die Betreuerin war auch ganz begeistert. Noch an dem Tag hat Martin mir zugesagt, dass er uns unterstützen wird.

Darüber hinaus sind weitere Business Angels und die NRW Bank bei Ihnen investiert. Brauchen Sie noch weitere Investoren, nachdem es nun bei „Die Höhle der Löwen“ zu keinem Deal kam?
Insgesamt sind bisher zwei Millionen Euro ins Unternehmen geflossen – die Unterstützung unserer Gesellschafter ist überragend. Wir sind jetzt aber an einem Punkt, wo wir das Produkt richtig groß machen wollen. Dazu brauchen wir mehr Kapital. Das würde uns beispielsweise bei der Produktion helfen. Anders als ein reiner App-Entwickler müssen wir ja Bauteile einkaufen. Das ist momentan bei den Elektrokomponenten gar nicht so einfach.

Wo Sie Apps ansprechen: Da gibt es bereits einige, die mit einem kognitiven Training das Fortschreiten von Demenzerkrankungen bremsen sollen. Wo ist der Vorteil Ihrer Lösung?
Es gibt viele Apps, die super für das Gehirntraining sind, wenn man noch fitter ist. Aber insbesondere bei Demenzpatienten sieht man, dass die mit einem Tablet oder Smartphone nichts mehr anfangen können, wenn das Krankheitsbild weiter fortgeschritten ist. Unser Ball ist ein Türöffner in die Welt der Demenzerkrankten. Auch wenn im Inneren viel Technik steckt, gibt es keine Berührungsängste – Bälle sind etwas sehr Vertrautes, die kennt man noch als Spielzeug aus der Kindheit. Therapeutisch liegt der Vorteil darin, dass der Ball mehrere Sinne anspricht und das Gehirn so besser stimuliert.

Ist der Therapieball denn eigentlich darauf ausgelegt, dass die Betroffenen selbstständig Übungen ausführen?
Bei Demenzerkrankten setzen wir darauf, dass Verwandte oder Pflegekräfte Patienten entweder in 1:1-Situationen oder in Gruppen durch die Anwendung führen. Über die letzten zwei Jahre haben wir aber auch Anwendungen für die Schlaganfall-Reha und andere Krankheitsbilder wie Parkinson oder Autismus entwickelt. Da kann Ichó zum Teil auch von den Betroffenen alleine genutzt werden kann. Der Ball gibt dann Sprachbefehle, stellt Rätselaufgaben und ähnliches. Das ist das Schöne an unserem Produkt: Der Ball bleibt immer gleich, aber die Software können wir an die Fähigkeiten der Nutzer anpassen. Bisher haben wir 100 verschiedene Förderspiele entwickelt.

Sie haben den Ball beim Marktstart für 1400 Euro verkauft. Jetzt vermieten Sie Bälle gegen eine Monatsgebühr. Warum?
Der Einmalkauf funktioniert bei Gesundheitseinrichtungen, aber nicht bei Privatanwendern. Denn dort kommt der Ball nicht mehrere Jahre zum Einsatz, sondern meist nur ein paar Monate. Das günstigste Paket kostet jetzt nur noch 40 Euro monatlich. Wir hoffen, die Technologie so möglichst vielen Menschen zugänglich machen zu können.

Übernehmen Krankenkassen die Kosten?
Wir arbeiten daran, dass Ichó als Hilfsmittel zugelassen wird – und dann einfach vom Arzt verschrieben werden kann. Gebremst auf diesem Weg hat uns Corona, weil es kaum möglich war, die nötigen Studien mit Patienten zu machen. Bereits jetzt möglich wären Selektivverträge mit Krankenkassen. Das würde bedeuten, dass diese die Kosten für ihre Versicherten freiwillig übernehmen.

Wie viele Geräte sind aktuell im Umlauf?
Deutschlandweit sind es zwischen 700 bis 800. Da sind Privatanwender bisher noch die Minderheit. Die meisten Bälle sind bisher bei stationären Pflegeeinrichtungen im Einsatz.

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Wie konnten Sie diese überzeugen, trotz klammer Kassen Geld in die Hand zu nehmen?
Unter den ersten Einrichtungen, die Ichó anschaffen konnten, sind vor allem finanzstarke private Ketten. Zum Teil wurden die Geräte auch über Spenden finanziert. Letztlich zahlt sich die Investition dadurch aus, dass die Pflegekräfte entlastet werden. Denn wenn man es schafft, die Bewohner zumindest für kurze Zeit aus der Demenz herauszuholen, hat das viele positive Auswirkungen auf den Heimalltag: Die Menschen werden ruhiger, sind besser ansprechbar und schlafen besser.

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