Wenn Hendrik Kramer davon erzählt, wie er seine Mitgründer kennenlernte, wird es fast ein wenig schnulzig: „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt der 26-jährige und schmunzelt dabei nur ein bisschen. Zusammen mit Maximilian Fisser und Jean-Michael Georg gründete Kramer Anfang 2019 das Tech-Start-up „Fernride“. Die Gründer wollen unter Fahrermangel leidenden Logistikern die Fernsteuerung ihrer Lkw oder Gabelstapler – die sogenannte Teleoperation – ermöglichen. Bislang dürfen sie das nur auf dem Werksgelände, langfristig wollen sie mit ihrer Lösung auf die Straße.
Das Besondere an ihrem Unternehmen: Fernride basiert auf zehn Jahren technologischer Forschung am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der TU München. Und dieser Forschungsschatz wäre womöglich nie gehoben worden, wenn sich die drei Gründer nicht über den Weg gelaufen wären. Der heutige CTO Jean-Michael Georg spielte als leitender Doktorand am Institut schon länger mit dem Gedanken, sich mit seiner Technologie selbstständig zu machen. Allerdings traute der Ingenieur sich die alleinige Gründung nicht zu, suchte nach einem Team. „Bei uns kam einiges zusammen“, erzählt der studierte Wirtschaftsingenieur und heutige CEO Kramer: „richtiges Timing, persönliche Sympathie und die unterschiedlichen Stärken“.
Den drei Männern ist zusammen etwas gelungen, woran viele Forscher hierzulande noch scheitern. An Instituten und Universitäten schlummern ähnliche Forschungsschätze, die nie das Licht der kommerziellen Welt erblicken werden. Dabei ist ihre Bedeutung für den Standort mitunter enorm. Besonders eindrucksvoll belegt das die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes, die das Mainzer Start-up Biontech maßgeblich voranbrachte, und das auf jahrelanger Forschung aufbaut. Doch viel zu oft bleibt es bei der Idee. Den Schritt vom Forscher zum Unternehmer gehen in Deutschland viel weniger Menschen als anderswo. Das hemmt den Standort, sodass inzwischen selbst im politischen Berlin die Diskussion läuft, woran das liegen könnte. Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer sieht das größte Problem in der geltenden Rechtslage, aber auch sein eigener Apparat dürfte nicht ganz unschuldig daran sein.
So umstritten das Thema ist, so begehrt dürften die Erkenntnisse einer Gruppe von Wissenschaftlern sein, die nun untersucht hat, wie sich die Gründungshemmung lösen lassen könnte. Das Entrepreneurship Research Institute der Technischen Universität München (TUM) untersuchte im Auftrag der Joachim Herz Stiftung drei Jahre lang erstmals die Psychologie im Gründungsprozess. Und zwar gleich mit mehreren Studienansätzen. Die Forscherinnen und Forscher befragten Gründungsteams zu Stress, Motivation und Zusammenarbeit. Mehr als 50 Teams beobachteten sie im Video beim Gründungsprozess. Am Mittwoch wurde die Studie vorgestellt. Sie enthält zehn Maßnahmen, mit denen Hochschulen akademische Gründungen fördern sollen.
Die wohl wichtigste Erkenntnis der Forscher verbirgt sich hinter der siebten Maßnahme: Wenn Wissenschaftler erfolgreich gründen wollen, sollten sie sich Mitstreiter suchen, die aus einer ganz anderen Fachrichtung kommen – Forscher nennen das Interdisziplinarität. Immerhin haben die Studienautoren herausgefunden, dass interdisziplinär aufgestellte Teams bessere Ergebnisse erarbeiten und langfristig erfolgreicher sind. „Trotz der Herausforderungen durch die Interdisziplinarität ist es immer wieder enorm gewinnbringend, mit Kolleginnen und Kollegen aus ganz anderen Fachrichtungen zusammenzuarbeiten“, sagt Nicola Breugst, die die Studie zusammen mit Holger Patzelt leitete und selbst im Forschungsteam auf unterschiedliche Fachrichtungen setzte.
Fernride, das sich an der TU München ausgründete, taucht in der Studie ihrer eigenen Universität zwar nicht auf. Doch als Positivbeispiel für Interdisziplinarität taugen die Gründer allemal. Bei ihnen war die Mischung aus den unterschiedlichen Stärken der Schlüssel zum Erfolg.
So sollten Hochschulen Gründungen fördern
„Das Forschungsteam empfiehlt, Entrepreneurship zu einem festen Bestandteil der Hochschulen zu machen, etwa durch Entrepreneurship Education, Räume für Start-ups, eine leistungsfähige Gründungsberatung, regelmäßige DemoDays, bei denen Start-ups ihre Ideen vorstellen, oder auch Preisverleihungen.“
„Erfolgreiche akademische Gründungen müssen sichtbar gemacht werden, beispielsweise in Vorlesungen oder Pitch-Events. Denn Forscher:innen, die erfolgreiche Gründer:innen und Start-ups aus der Wissenschaft kennen, schätzen ihre eigene Gründungsfähigkeiten besser ein und sehen Gründung als attraktive Karriereoption.“
„Hochschulen sollten Forscher:innen Freiräume für unternehmerische Ideen bieten, etwa durch ein Gründungs-Sabbatical. Die Gründer:innen auf Zeit sollten dabei immer die Möglichkeit haben, in die Forschung zurückzukehren.“
„Hochschulen sollten den interdisziplinären Austausch fördern, bei dem unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema zusammentreffen, zum Beispiel bei der lehrstuhlübergreifenden Zusammenarbeit.“
„Ein weiterer Erfolgsfaktor für erfolgreiche Gründungen ist der kontinuierliche Austausch mit der Wirtschaft. Forscher:innen, die früh in ihrer Karriere Kontakt mit Wirtschaft und Industrie haben, denken bei ihren Projekten öfter daran, wie sie die Ergebnisse in marktfähige Produkte und Dienstleistungen umsetzen können. Netzwerkveranstaltungen und die Zusammenarbeit in Innovationsprojekten mit Unternehmen sowie Mentor:innen aus der Wirtschaft fördern diesen Austausch.“
„Besonders spielerische Formate wie Makeathons, bei denen Gründungsteams über einen Zeitraum von drei Tagen bis zwei Wochen eine unternehmerische Idee und ein Produkt entwickeln, sind erfolgreiche Instrumente für die Gründungsförderung an Hochschulen. Die Teilnehmer:innen lernen dabei in interdisziplinären Teams ohne ökonomischen Druck Gründung kennen und erleben die eigene Selbstwirksamkeit und Freude am unternehmerischen Tun.“
„Hochschulen sollten die Bildung interdisziplinärer Gründungsteams unterstützen, indem sie Forscher:innen unterschiedlicher Fachrichtungen zusammenbringen, etwa durch fächer- und lehrstuhlübergreifende Projekte und Projektwochen, Netzwerkveranstaltungen oder physische Räume zur direkten Begegnung.“
„Ein persönlichkeits- und teamorientiertes Coaching hilft, die Doppel-Rolle der Teammitglieder als Forscher:innen und Unternehmer:innen zu reflektieren und eine konstruktive Dynamik im Team zu entfalten. Das Coaching sollte Gründer:innen frühzeitig für typische Herausforderungen wie beispielsweise Selbstmanagement, Zeitmanagement, Führung oder gewaltfreie Kommunikation sensibilisieren und ihnen Methoden für eine professionelle Zusammenarbeit vermitteln.“
„Die Hochschulen sollten ihre Gründungsberater:innen psychologisch schulen, damit sie die Gründungsteams umfassend begleiten können oder alternativ externe Coaches hinzuziehen.“
„Damit ungeklärte Konflikte in den Teams schon frühzeitig bemerkt werden, empfehlen die Forscher:innen den Gründungsberater:innen, auch räumlich möglichst nah am Team zu sein und an Meetings mit potenziellen Partnern, Kunden und Investoren teilzunehmen.“
Quelle: Joachim Herz Stiftung, TU München
Ihre Aufgaben haben die Unternehmer ganz klar nach ihren bisherigen Erfahrungen verteilt. CEO Hendrik Kramer „liebt“ den Vertrieb, der ihm „unheimlich viel Spaß“ macht. Das würde wohl kaum ein Forscher von sich behaupten. Er kümmert sich deshalb um Kunden, Partner und Investoren. Der ehemalige Doktorand Jean-Michael Georg hingegen ist als CTO weiterhin voll mit der Weiterentwicklung der Technologie beschäftigt. Maximilian Fisser schlägt als promovierter Maschinenbauer im Bereich der Sensortechnik und erfahrener Gründer die Brücke zwischen Technik und Unternehmertum – und kümmert sich um das Produktmanagement.
„Gute Teams leben von Vielfalt. Wenn Gründer den Luxus haben, das Team so unterschiedlich aufstellen zu können, sollten sie das unbedingt tun“, sagt Kramer. Und immerhin könnte sich selbst ein Vertriebler wie er bei den „unternehmerischen Grundlagen extrem gut aufstellen“.
Die Mischung im Team kommt an. Etwas mehr als zwei Millionen Euro hat Fernride schon eingesammelt, gerade läuft die zweite Finanzierungsrunde. Der Berliner Wagniskapitalgeber Fly Ventures ist einer der Investoren des Start-ups. „Wir sprechen mit vielen Tech-Gründern und Forschern, die noch sehr wenig Wissen über Venture Capital und Finanzierungsrunden haben“, erzählt Fly-Ventures-Partner Gabriel Matuschka. „Das ist aber gar nicht schlimm.“ Immerhin seien die Forscher auf ihrem Feld die absoluten Experten. „Wenn diese Experten mit erfahrenen Gründern oder BWLern zusammenkommen, entsteht eine tolle Mischung und für uns ein spannender Investment-Case“, sagt Matuschka.
Als langjähriger Partner bei Fly Ventures kennt Matuschka die Zurückhaltung vieler Forscher – und stört sich an ihr. „Wir haben in Deutschland an unseren Hochschulen einen gigantischen Talentpool für Zukunftstechnologien. Dass wir aus diesen Voraussetzungen so wenig machen und viele Innovationen wohl nie den Sprung zur Kommerzialisierung schaffen werden, ärgert mich schon lange“, sagt er.
Kein Wunder: Die Lebensrealitäten von „Techies“ und studierten Entrepreneuren klaffen teils sehr weit auseinander. „Viele Techies denken bei Rocket Internet womöglich an Raketentechnik und nicht an einen Start-up-Inkubator. Viele BWLer und Gründer hingegen verehren Menschen wie Rocket-Chef Oliver Samwer.“ Wenn sich beide Seiten finden, könne das Gründerteams bereichern. Falls nicht, bleibt die Forschung womöglich weitgehend unentdeckt im Institut. Um diesem Fall vorzubeugen, braucht es laut Investor Matuschka vor allem Vorbilder und Leuchtturmprojekte. „Den Oliver Samwer der Techies und Nerds“, sagt Matuschka und bleibt bei den Rocket-Internet-Vergleichen. Das passt zu Maßnahme Nummer Zwei der Studie der TU München – „Vorbilder auf die Bühne bringen“. Bleibt nur ein Problem: Das eine, wirklich große Vorbild samt Strahlkraft sieht Investor Matuschka noch nicht.
Bis es so weit ist, kann selbst die nicht gerade für Deep-Tech bekannte Start-up-Schmiede Rocket Internet für Forscher und Wissenschaftler mit Gründungswillen eine Orientierung sein. Bei weitem nicht alle Rocket-Investments sind ein Erfolg, doch einige wenige wie Zalando und HelloFresh haben es hoch hinaus geschafft. Und gerade an der Risikoaversität der Forscher scheitern einige Gründungen. „Wenn Forscher sich tatsächlich trauen zu gründen, das Start-up jedoch nicht funktioniert, werden sie es nur selten noch ein weiteres Mal probieren. So geht Innovationspotenzial verloren“, sagt Investor Matuschka. Auch hier könnten erfahrene Gründer und BWLer als Teammitglieder hilfreich sein.
Eine weitere Parallele zu Fernride. Hendrik Kramer und Maximilian Fisser lagen mit ihrem ersten gemeinsamen Unternehmen daneben. Mögliche Kunden wollten für das Produkt nicht zahlen. Jetzt soll es besser laufen. Allein die Teleoperation auf dem Werksgelände ist laut Kramer ein „Milliardenmarkt“. Und Kunden hat Fernride diesmal schon.
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