Bill Gates hat es getan. Marc Zuckerberg und Anke Engelke auch. Herbert Grönemeyer, Günther Jauch und Brad Pitt ebenfalls. Diese Promis haben ihr Studium abgebrochen - der Erfolg ohne akademische Weihen gab ihnen später Recht.
Doch für den Normalsterblichen ist ein abgebrochenes Studium nicht der erste Schritt auf dem Weg zur Karriere als Entertainer oder milliardenschwerer Unternehmer. Für den Durchschnittsstudenten bedeutet der Abbruch Frust, Enttäuschung – aber auch verlorenes Geld und Zeit.
Und das sind viele. Knapp jeder Dritte (29 Prozent) verlässt die Uni ohne Abschluss. Und jeder Zweite denkt zumindest darüber nach, wie eine Befragung des Personaldienstleisters univativ zeigt, der sich darauf spezialisiert hat, junge Absolventen nach dem Studium in einen Job zu vermitteln. Der Befragung unter mehr als 1000 Studenten zufolge wollen die meisten Jungakademiker abbrechen, weil ihnen der Praxisbezug im Studium fehlt. Dahinter folgen enttäuschte Erwartungen, Überforderung und ganz einfach: zu wenig Geld.
Aus diesen Gründen wollen Studierende ihr Studium hinwerfen
27 Prozent der Studenten beklagen den fehlenden Praxisbezug bei in ihrem Studium und überlegen deshalb, abzubrechen. Das Thema hat aber offensichtlich an Gewicht verloren: Bei den Hochschulabsolventen gaben 33 Prozent an, dass fehlender Praxisbezug sie so sehr gestört habe, dass sie über einen Abbruch zumindest nachgedacht haben.
Quelle: Befragung des Personaldienstleisters univativ unter 1000 Studenten und Hochschulabsolventen
Das hatte ich mir anders vorgestellt: Die Kluft zwischen den Erwartungen der Studenten und den Inhalten des Studiums ist gewachsen: So hatten 34 Prozent der Absolventen andere Erwartungen an ihr Studium gehabt, bei der aktuellen Generation sind es 41 Prozent.
Auch das Problem mit den Leistungsanforderungen ist gewachsen: 40 Prozent der Studierenden fühlen sich überfordert und denken deshalb über einen Abbruch nach. Bei den Absolventen war das in 32 Prozent der Fälle so.
Auch bei der Studienfinanzierung sehen sich heutige Studenten größeren Herausforderungen ausgesetzt (Absolventen: 20 Prozent, Studenten: 29 Prozent).
Das Bundesbildungsministerium wollte es ganz genau wissen und hat das Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) beauftragt, nachzuhaken: Wie hoch ist die aktuelle Abbrecherquote? In welchen Fächern ist es besonders schlimm? Warum haben die Studenten abgebrochen, und was tun sie stattdessen? Mehr als 6000 Exmatrikulierte von 32 Unis und 28 Fachhochschulen haben geantwortet.
Das Ergebnis des DZWH:
Unbewältigte Leistungsanforderungen treiben 30 Prozent zum Abbruch, bei 17 Prozent ist es mangelnde Motivation. Für 15 Prozent ist der Wunsch nach mehr Praxis entscheidend. Finanzielle Engpässe spielen der Untersuchung zufolge eine nachrangige Rolle - diese Begründung wurde nur von elf Prozent angeführt.
Besonders an Fachhochschulen ist die Abbrecherquote gestiegen, weil sich hier inzwischen viele junge Leute für die „abbruchintensiven“ technisch-naturwissenschaftlichen Studiengänge einschreiben - und prompt scheitern.
Aus diesen Gründen brechen Studenten ihr MINT-Studium ab
Wer ein MINT-Fach nur studiert, weil die beruflichen Aussichten und das Gehalt gut sind, bricht in der Regel vorzeitig ab. Ganz ohne persönliche Neigungen und Interesse am Fach wird niemand Ingenieur oder Maschinenbauer.
Quelle: „Zwischen Studienerwartungen und Studienwirklichkeit“, eine bundesweite Befragung der IMPULS-Stiftung, Stiftung für den Maschinenbau, den Anlagenbau und die Informationstechnik
Wer in der gymnasialen Oberstufe Mathe und Physik als Leistungskurs belegt und dort auch erfolgreich war, schafft das MINT-Studium in der Regel auch. Wer Physik und Chemie nach der elften Klassen abgewählt und in Mathe kaum das Klassenziel erreicht hat, bricht deutlich häufiger ab, als die Kommilitonen mit der entsprechenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Vorbildung.
Wer nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht, gearbeitet, die Welt bereist oder eine Familie gegründet hat, bricht ein später begonnenes MINT-Studium eher ab, als jemand, der direkt von der Schulbank in den Hörsaal gewechselt hat. „Eine Zeitspanne zwischen Schulabschluss und Studienaufnahme, die länger als 18 Monate währt, erhöht offensichtlich das Risiko eines Studienabbruchs“, heißt es in der Studie der IMPULS-Stiftung. Bei zu langer Übergangszeit gingen zum einen wesentliche, in der Schule schon erworbene fachliche Vorkenntnisse und Fähigkeiten verloren. Zum anderen fällt es dann schwerer, wieder in einen festen Lernrhythmus zu finden.
Die Studienanforderungen für Naturwissenschaftler und Techniker sind hoch. Viele Studenten sind damit überfordert, bringen nicht die gewünschten Leistungen und brechen deshalb ab.
„Studienabbrecher schätzen alle Studienbedingungen kritischer ein als Absolventen“, so die Studie. Außerdem schätzen Abbrecher die akademische Betreuung als besonders schlecht ein. Wer das Gefühl hat, unter miserablen Bedingungen zu studieren und für den Dozenten unsichtbar zu sein, der wirft eher hin.
Wer nicht gut in die Studentenschaft integriert ist, keine guten Beziehungen zu den Kommilitonen hat und nur für die Vorlesungen und Seminare am Unileben teilnimmt, scheitert eher am MINT-Studium, als der gut integrierte Kommilitone mit Freunden und Lerngruppen.
Wer neben dem Studium arbeitet, studiert in der Regel länger. Das ist bekannt. Je regelmäßiger ein Student arbeitet, desto höher ist allerdings auch das Risiko, dass er das MINT-Studium abbricht. Das gilt auch für die Fälle, die einen fachfremden Nebenjob haben und zum Beispiel dreimal in der Woche kellnern gehen. Damit seien die Anforderungen eines MINT-Studiums nicht vereinbar. Besonders hoch sei das Abbruchrisiko der Studenten, die von Tag eins an arbeiten gehen. Dadurch könnten sie sich nicht richtig auf den Studieneinstieg konzentrieren.
Eng mit dem Punkt Nebenjob hängt der Punkt „finanzielle Lage“ zusammen: Wer sich sein Studium selbst finanzieren muss, bricht häufiger ab, als jemand, der von den Eltern finanziert wird. „Die größte Immunität gegen einen Studienabbruch gewährt ein elternfinanziertes Studium, die geringste besteht bei einer überwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit bestrittenen Finanzierung des studentischen Lebensunterhaltes“, so die Studie.
Auffällig ist, dass 61 Prozent der Abbrecher ihre Hochschulzugangsberechtigung, sprich: ihr Abi, nicht auf dem regulären Weg gemacht haben, sondern an Abendgymnasien, Kollegs, Fachgymnasien, Berufs- und Fachoberschulen.
"Wesentliche Einflussfaktoren liegen bereits in der Phase vor dem Studium", sagen auch die DZHW-Wissenschaftler. Die alternativen schulischen Wege ins Studium seien weniger erfolgversprechend.
Unis sollten Orientierungsphasen anbieten
Eine Mitschuld bei den Universitäten Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Viel zu oft wüssten Erstsemester nicht, was sie an den Unis erwarte, und sie seien dann frustriert über Misserfolge bis hin zum Studienabbruch, sagte Hippler der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
„Die notwendige Orientierung könnten große Hochschulen durchaus leisten. Indem die Abiturienten nämlich erst einmal nicht zu einem Studienfach zugelassen werden, sondern zum Studium an der Hochschule generell.“ Der Studierende solle in dieser Orientierungsphase zwar Leistungsnachweise erbringen, müsste sich aber noch nicht festlegen.
Ein Jahr lang Vorbereitungskurse
Der oberste Repräsentant der Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland verwies auf das „MINT-Kolleg Baden-Württemberg“, das von den technischen Universitäten Karlsruhe und Stuttgart veranstaltet wird. Hippler sagte: „Da kann man Kurse belegen, wenn man in den Naturwissenschaften bei den notwendigen Einstiegsqualifikationen noch Lücken sieht. Die Kurse dauern maximal ein Jahr, und man studiert parallel, aber langsamer. Gerade in den Ingenieurwissenschaften, wo Mathematik bisher die große Bremse und oft verantwortlich für Studienabbruch war, hat sich das bewährt.“
Immerhin: die Studenten, die das Handtuch werfen, merken ziemlich zu Beginn des Studiums, dass es nichts für sie ist. 47 Prozent verlassen die Hochschule bereits im ersten oder zweiten Fachsemester. Weitere 29 Prozent studieren drei bis vier Semester bis zum „Adieu“, 13 Prozent sind länger als sechs Semester dabei, bevor sie hinwerfen.
Außerdem halten sich die vermeintlich gescheiterten Akademiker nicht lang mit dem Wundenlecken auf. Ein halbes Jahr nach dem Abschied von der Uni haben 43 Prozent eine schulische oder betriebliche Berufsausbildung aufgenommen. 31 Prozent sind erwerbstätig. Nur elf Prozent Studienabbrecher sind rat- und arbeitslos.