Wenn ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis umschaue, kann ich nur bestätigen, was derzeit häufig unter dem Schlagwort „Great Resignation“ die Runde macht: Viele hochtalentierte Menschen sind auf der Suche nach einem neuen Job. Harte Zahlen liefert eine Studie des Karrierenetzwerkes Xing, für die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Januar 2022 rund 2500 Erwerbstätige in Deutschland befragte. Vier von zehn Teilnehmer sind demnach offen für einen neuen Job oder haben bereits konkrete Schritte in die Wege geleitet, um eine neue Tätigkeit zu finden – Tendenz steigend.
Es ist ein weit verbreitetes Narrativ, dass es dabei ums Gehalt geht. Aber immer häufiger steckt etwas anderes dahinter. Die Pandemie hat dazu beigetragen, dass sich Angestellte stärker selbst beobachten. Sie fragen sich: Wofür arbeite ich hier eigentlich? Ist es das, was ich wirklich tun will? Passt die Unternehmenskultur überhaupt zu mir? Wenn sie einen Jobwechsel erwägen, haben sie die weichen Faktoren im Sinn: Führung, gute Work-Life-Balance oder spannende Tätigkeiten. Arbeitnehmende wollen zunehmend arbeiten, um zu leben, und nicht leben, um zu arbeiten.
Für viele Unternehmen ist dieser neue Wechselwille zunächst eine Schreckensnachricht, denn die Talente sitzen heute am längeren Hebel. Nicht in allen Bereichen ist es aktuell leicht, Mitarbeitende für offene Stellen zu finden.
Doch auch die Jobsuchenden stehen beim Arbeitgeberwechsel vor einem Problem: Wie können sie herausfinden, ob es ihnen anderswo besser ergeht, wo sie ihre Fähigkeiten am besten einsetzen können und welche Kompetenzen sie für bestimmte Jobs noch erwerben sollten? Eine maßgeschneiderte Beratung ist teuer und verfügbare Daten bilden eher die Vergangenheit als die Zukunft ab. Mary-Anne Williams, Professorin für Innovation an der UNSW Business School in Australien, hat deshalb ein „Job Transitions Recommender System“ entwickelt, das in Echtzeit auf Veränderungen am Arbeitsmarkt reagieren soll und Empfehlungen für die eigenen Fähigkeiten gibt. Noch ist es ein Prototyp für Jobs in Australien. Aber das Projekt zeigt, was möglich ist.
Lebensläufe außen vor lassen
Strategieprofessorin Isabell Welpe von der Technischen Universität München schwebt ein Matching-Algorithmus vor, der Jobsuchende und Arbeitgeber nur anhand ihrer Fähigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften zusammenbringt. „Man könnte wie bei Dating-Plattformen aufgrund von Werten, Persönlichkeitsmerkmalen und Vorlieben einen Job bekommen statt aufgrund irgendwelcher Studienabschlüsse“, sagt sie gegenüber dem „Spiegel“. Sie weist auf einen Trend in der Start-up-Szene hin: Viele neue Matching-Tools lassen Lebensläufe und Stellenausschreibungen einfach weg. Denn gefragt sind am Arbeitsmarkt häufig Kompetenzen wie Digitalaffinität und Daten-Skills – aber dabei kommt es nicht auf die formelle Qualifikation, sondern vor allem auf Soft Skills wie Kreativität, Teamfähigkeit und Fähigkeit zum Selbstmanagement an. Hard Skills im Umgang mit Cloudlösungen, Datenbanken oder Künstlicher Intelligenz, vieles lässt sich auch am Arbeitsplatz lernen.
Nicht immer ist gleich die Kündigung die richtige Wahl. Manchmal hilft auch ein Wechsel innerhalb des Unternehmens oder eine Neuausrichtung des eigenen Jobs im Sinne von Jobcrafting. Aber wenn das alles nichts nützt, können Beschäftigte künftig auf neue Technologien hoffen, die ihnen bei der Suche nach dem Traumarbeitgeber helfen. Auch für Arbeitgeber ist das letztlich eine gute Nachricht. Wenn sie ein Perfect Match sind, dürfte das Beschäftigungsverhältnis auch länger anhalten.
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