Für ihre Reise nach Prag konnte Tina Hensel als Ostfriesin neben Arbeitsrechner, Ladekabel und Post-its auf zwei Dinge nicht verzichten: eine eigene Tasse und Tee. In der tschechischen Hauptstadt hat die ITlerin im Mai zwei Wochen in einer Airbnb-Wohnung verbracht. Um zu arbeiten. Und um danach die Stadt zu erkunden und all die Kunstwerke von David Czerny zu bestaunen. „Ich habe schon in mehreren standortübergreifenden Teams gearbeitet, für mich ist der Unterschied nicht wirklich groß“, sagt Hensel. Bei ihrem Arbeitgeber, dem Autozulieferer Continental, können Beschäftigte pro Jahr zwei Mal 20 Tage im Ausland arbeiten.
In Deutschland geht das schon seit März 2022, nun hat das Unternehmen die Initiative auf andere Länder ausgeweitet wie Norwegen und Schweden, Ungarn und Österreich. Hensel arbeitet auch in Deutschland im Homeoffice, 230 Kilometer von der Conti-Zentrale in Hannover entfernt. 1400 Menschen haben das Angebot bislang genutzt.
Jan-Ole van Lengen zog es nach Mallorca. Vier Wochen arbeitet er aktuell von hier aus – und genießt die Routine in seinem Arbeitsalltag. „In Deutschland bin ich meist zwei Mal die Woche im Büro, mal bei Kunden, auf Tagungen und Events“, sagt er. Jetzt macht van Lengen morgens Sport, arbeitet in der Ferienwohnung und trinkt zwischendurch einen digitalen Kaffee mit den Kollegen in Hannover. Für die Zeit auf Mallorca habe er sich „bewusst Freiraum“ geschaffen: „Für zwei Projekte, die ich im Sommer leiten werde, kann ich von hier aus Meetings organisieren, Präsentationen bauen. Und wenn ich wieder in Deutschland bin, habe ich gleich am ersten Tag ein Meeting in Präsenz mit einem Projektteam“, sagt van Lengen.
Verantwortlich für die Initiative ist das Team von Personalvorständin Ariane Reinhart. Im Interview erklärt die 53-Jährige, in welche Länder es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zieht, wie sie den Betriebsfrieden wahren will – und warum Zusammenhalt nicht durch einen Pizzawagen oder Eislieferungen ins Büro entsteht.
WirtschaftsWoche: Frau Reinhart, wenn sie wollen, können Ihre Mitarbeiter bei Continental Tausende Kilometer entfernt vom Firmensitz in Hannover arbeiten. Für die deutsche Belegschaft gilt das schon länger. Jetzt erhalten auch andere Standorte in Europa diese Möglichkeit. Arbeiten Sie selbst auch regelmäßig im Ausland?
Ariane Reinhart: Ich bin viel unterwegs und nutze daher mobiles Arbeiten. Grundsätzlich steht die Möglichkeit des Arbeitens im EU-Ausland allen Beschäftigten in Deutschland offen.
Warum bieten Sie der Belegschaft überhaupt diese Option?
Wenn wir der fortschrittlichste Arbeitgeber in unserer Branche sein wollen, müssen wir neue Wege gehen. Und wir haben in Befragungen gemerkt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich Selbstbestimmung wünschen. Wir haben uns gefragt, wie maximale Selbstbestimmung in einem Unternehmen wie Continental samt Produktion und Forschung aussehen könnte. Und das weltweit. 2016 haben wir mit einer Konzernbetriebsvereinbarung einen Rahmen für mobiles Arbeiten, Sabbaticals und Jobsharing geschaffen. Diese weiten wir nun aus.
In welchen Ländern arbeiten Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am liebsten?
Spanien, Italien, Frankreich, aber auch Rumänien liegen ganz vorne. Wir beschäftigen in Deutschland viele internationale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, etwa eine sehr große Anzahl an Rumäninnen und Rumänen, die es schätzen, bei ihren Familien vielleicht mal ein paar Tage länger zu bleiben. 1400 Beschäftigte haben das Angebot bereits genutzt. Das ist nicht so banal, wie sich das anhört.
Wieso das?
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen einen Antrag. Die Prüfung ist stets eine Einzelfallbetrachtung. Wir organisieren eine Auslandskrankenversicherung und eine Unfallversicherung für die Dauer des Arbeitsaufenthalts im Ausland. In jedem Land herrschen andere steuer- und arbeitsrechtliche Regelungen. Es ist wirklich an der Zeit, dass die EU für Vereinheitlichung sorgt. Wir fürchten zudem, dass die Pläne zur Arbeitszeiterfassung und zur Arbeitssicherheit bei mobiler Arbeit aus dem Bundesarbeitsministerium unserem Vorhaben in die Quere kommen. Wir müssen aufpassen, dass die Gesetze Wegbereiter sind – und nicht Verhinderer.
Die Workation...
Ich finde das Wort Workation nicht passend.
Warum das? Es ist doch gerade in aller Munde – und in den sozialen Netzwerken sammeln Sie damit viele Sympathiepunkte.
Ehrlich gesagt klingt das so, als würde man in der Zeit nicht arbeiten oder den Sommerurlaub um ein paar Tage verlängern, in denen man dann ein, zwei Stunden vor dem Rechner sitzt. Wir erwarten, dass die Beschäftigten im Ausland genauso produktiv sind wie hierzulande im Büro oder im Homeoffice.
Expats – Zahlen und Fakten
Als Expats werden Personen bezeichnet, die vorübergehend im Ausland leben und arbeiten, zum Beispiel, um ihre eigene Karriere voranzutreiben oder ihren Partner mit diesem Ziel zu unterstützen.
Die hier dargelegten Ergebnisse rund um Expats stammen aus einer Studie von InterNations. Sie befasste sich mit Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen im Ausland arbeiten und leben. Für die Studie wurden mehr als 12.000 Expats aus 172 Ländern zu zahlreichen Aspekten ihres Lebens im Ausland befragt. Dazu zählten Kategorien wie Lebensqualität, Eingewöhnung im Gastland, Arbeit und Finanzen sowie Familie und Lebenshaltungskosten. (Quelle: InterNations, 12.065 Befragte weltweit)
Im Durchschnitt waren die befragten Expats 46,2 Jahre alt.
57 Prozent der befragten Expats im Jahr 2023 waren in einer Beziehung. Nur 20 Prozent der Befragten hatten Kinder, für deren Unterhalt sie verantwortlich waren.
82 Prozent der Expats hatten einen Universitätsabschluss.
Laut „Expat Insider Report 2023“, der die Lebensqualität von Expats in 53 Ländern misst, führen Mexiko, Spanien, Panama, Malaysia und Taiwan die Rangliste der Länder, in denen es sich für Expats am besten leben lässt, an.
Am schlechtesten schnitten hingegen Kuwait, Norwegen, die Türkei, Südkorea und Deutschland ab.
Expats bewerten in Mexiko u. a. die Freundlichkeit der Bewohner als sehr positiv. Es sei sehr einfach, Freunde zu finden. Außerdem sind die befragten Expats in Mexiko zufrieden mit ihren Karriereoptionen und dem Immobilienmarkt in dem nordamerikanischen Land.
Die Lebensqualität in Kuwait wird von vielen Expats als schlecht empfunden, insbesondere in der Subkategorie „Freizeit“. Besonders stört viele Befragte, dass sie ihre Meinung in dem Land nicht frei äußern können. Auch das Kontakteknüpfen mit Einheimischen ist laut Report in Kuwait schwieriger als anderswo.
Gut, nennen wir es Büro oder mobiles Arbeiten. Die Frage aber bleibt angesichts des Fachkräftemangels: Können Sie viele Mitarbeiter nur noch gewinnen, wenn Sie Angebote machen wie das Arbeiten im Ausland?
Einige Bewerberinnen und Bewerber fordern das ein, ja. Und klar: Gerade die jungen Leute – die Anhänger der Generation Z, wie es so schön heißt – sind auf der Suche nach Selbstbestimmung und Flexibilität. Doch auch Menschen über 40 und 50 äußern diesen Wunsch. Sie haben in der Pandemie erlebt, wie gut mobiles Arbeiten funktioniert. Für mich gibt es kein schwarzweiß, kein Büro oder Homeoffice. Sondern nur die Mischung. Wenn ich mit meinen Bereichsleitern in einem Raum sitze, kommen uns viel bessere Ideen, wir diskutieren leidenschaftlicher. Deshalb ist das Arbeiten im Ausland eine Ausnahmemöglichkeit, für zwei Mal jeweils bis zu 20 Tage im Jahr.
Von dieser Möglichkeit profitieren aber doch vor allem die Mitarbeiter am Schreibtisch, nicht in der Fabrik.
Auch Aufgaben in der Produktion, etwa im Wartungsbereich oder im Qualitätsmanagement, lassen sich heute schon außerhalb der Fabrik erledigen.
Aber was ist mit Kollegen, die am Band stehen? Die können nicht in die Finca auf Mallorca.
Natürlich kann jemand, der einen Reifen produziert oder eine elektronische Komponente, das nicht zu Hause machen oder an einem Urlaubsort. Aber ein Beispiel aus Frankreich: Dort sind die Sommerferien sehr lang. Unsere Produktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter können Zeit ansparen und eine Art Mini-Sabbatical machen über die Ferienzeit hinaus. Sie können allerdings auch eine Zeit lang in einer Fabrik im Ausland arbeiten. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Bei Beschäftigten, die taktgebunden in der Produktion arbeiten, ist es wesentlich schwieriger, Flexibilität zu ermöglichen. Wir müssen aufpassen, dass wir keine Zweiklassengesellschaft schaffen.
Wie verhindern Sie das?
Für mich ist das eine Frage von Verbundenheit, Verantwortung und Solidarität. Gerade bei der jüngeren Generation fällt mir auf: Viele junge Menschen wissen nicht, wo ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung stattfindet. Nämlich in der Fabrik. Deshalb müssen alle Auszubildenden bei uns Praxisabschnitte in der Produktion absolvieren. So entwickeln sie Verbundenheit und Verständnis. Wir haben auch einige Kollegen, die uns fragen: Warum kann ich nicht zu 100 Prozent mobil oder daheim arbeiten? Theoretisch können sie das ja, wir arbeiten ohne Anwesenheitsquoten. Aber, ich sage mal, als einzelner muss ich mir die Frage stellen: Kündige ich meinen Kolleginnen und Kollegen in der Fabrik nicht die Solidarität und die Wertschätzung auf, wenn ich nur noch zu Hause bleibe?
Einige Unternehmen ordern ihre Belegschaft deshalb zurück ins Büro. Wie stellen Sie sicher, dass die Leute aus freien Stücken wieder ins Büro kommen?
Das ist am Ende eine Führungsaufgabe. Allerdings ist das eine ganz neue Herausforderung. Und wir sehen auch bei uns: Einige Führungskräfte tun sich schwer. Sie haben uns als Personalabteilung gebeten, klare Vorgaben zu machen, Anwesenheitsquoten einzuführen. Da muss ich aber sagen: Ich nehme den Führungskräften doch nicht ihre Arbeit ab. Diese Diskussion müssen sie schon selbst führen. Natürlich wollen die Menschen wissen, warum sie denn ins Büro kommen sollen. Und das müssen die Führungskräfte erklären. Und ich erwarte, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Continental ein Interesse an der Firma haben, am Miteinander mit den Kolleginnen und Kollegen. Der Austausch in der Kaffeeküche, ein kurzer Plausch beim Mittagessen, gemeinsames Brainstorming, Diskussionen im Büro: Das macht uns aus. Und ich muss ehrlich sagen: Diesen Zusammenhalt mit einem coolen Pizzawagen oder Eislieferungen ins Büro schaffen zu wollen, geht am Ziel vorbei.
Ist die Führungsarbeit schwieriger geworden, weil die Leute überall arbeiten können?
Führungsarbeit ist herausfordernder und komplexer geworden, ja. Wir nennen das bei uns transformale Führung. Und wir haben da viele Programme und Schulungen, begleiten und coachen auch die Führungskräfte und die Nachwuchskräfte für diese neue Führung: Wie gebe ich im Virtuellen Feedback, wie kann ich hybride Meetings gestalten? Wie finde ich am Bildschirm heraus, ob es den Leuten gut geht? Was passiert da?
Jetzt erschwert die Arbeit über Ländergrenzen hinweg die Führung noch mal mehr. Wie halten Ihre Führungskräfte das Team zusammen, wenn alle woanders sitzen?
Am Ende zählt immer der persönliche Kontakt. Und wenn Sie jetzt nach 20 Tagen Mallorca wiederkommen, ist meine erste Amtshandlung, dass ich Sie auf eine Tasse Kaffee einlade und frage: Wie war es denn so? Was hast Du erlebt? Wie hat das Arbeiten funktioniert? Was können wir daraus lernen?
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