Cyber Boss
Quelle: imago images

Wer hat heute noch Angst vor Strickmaschinen?

Dass Maschinen uns die Arbeit wegnehmen, ist ein altes Märchen. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir Roboter richtig verstehen und bedienen, sind sie eine große Hilfe – auch auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft.

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Für gewöhnlich achte ich die Privatsphäre meiner Katze Juliet. Heute mache ich eine kleine Ausnahme. Denn von meiner Katze können Barack Obama, John F. Kennedy, Stephan Hawking oder Albert Einstein etwas sehr Entscheidendes lernen: Maschinen sind keine Bedrohung für uns!

Juliet liebt es, mit Alexa zu reden. Alexas stoisches „Sorry, ich habe dich nicht verstanden“ stört Juliet nicht; sie mag das grüne Leuchten, wenn sich Alexa anschaltet. Sie macht sich auch keine Sorgen, dass ich sie durch eine Roboterkatze ersetze. Denn eine RoboCat wird nie alle Eigenschaften eines Haustieres haben (Pasta essen!), sondern ist nur eine technische Spielerei. Meine Katze scheint das zu wissen – im Unterschied zu vielen Menschen.

Durchaus intelligente Köpfe empfinden die fortschreitende Automatisierung der Lebenswelt nämlich als beängstigend: zum Beispiel die Präsidenten Obama und Kennedy, oder der Wissenschaftler Hawking. Sie warnten vor den negativen Folgen der Automatisierung für die Berufswelt. Albert Einstein prophezeite sogar die alte Zauberlehrling-Phantasie: Die Maschinen würden ihre Schöpfer überwältigen und die Herrschaft übernehmen. Schade, dass er Juliet nicht kennenlernen kann.

Vor einigen Wochen – ich hielt in New York einen Vortrag zum Thema „Technologie und Arbeitslosigkeit“ – erzählte mir der Dekan der technischen Universität Cornell folgende Geschichte: Der englische Priester William Lee hatte eine Strickmaschine erfunden. Er wollte sich 1589 bei Königin Elisabeth I. ein Patent dafür sichern. Doch diese lehnte ab. Ihre Begründung: Die Erfindung könnte ihre Untertanen zu beschäftigungslosen Bettlern machen. Ich nehme die Monarchin also in den Reigen der Kassandren auf.

Wie wir heute wissen, hat die Strickmaschine niemanden zum Bettler gemacht. Vielmehr hat sie das Leben – vorwiegend von Frauen – erheblich erleichtert. Zudem ist die Qualität der Produkte gestiegen. Maschinelle Strickwaren sind schneller hergestellt, weniger fehlerbehaftet und vielseitiger im Design.

Niemand mehr hat Angst vor einer Weltherrschaft der Strickmaschinen. Trotzdem wird mit Inbrunst vor Künstlicher Intelligenz gewarnt. Man hat Angst vor Robotern, die eines Tages gegen unsere Wirtschaftsinteressen arbeiten und Menschen ihre Jobs wegnehmen könnten. Wundersamerweise hat bislang – bis auf Andrew Yang in den USA – im Wahlkampf noch keiner Schutzmechanismen gegen Maschinenintelligenz versprochen.

Die Fakten zur Roboterisierung können den Alarmismus auch nicht bestätigen. 2017 hat die Beraterfirma McKinsey 820 verschiedene Berufe auf die Effekte von Automatisierung untersucht. Nur weniger als fünf Prozent könnten mit vorhandenen Technologien vollständig automatisiert werden. Maschinen werden also auch künftig einen sehr geringen Anteil an Arbeitsplätzen vollständig ersetzen. Andererseits bestanden mehr als 60 Prozent der untersuchten Berufe aus Aufgaben, von denen mindestens 30 Prozent automatisiert werden konnten.

Maschinen werden die Hausarbeit eher übernehmen als Männer

Im Klartext: Maschinen werden uns das Arbeitsleben weiter erleichtern. Wir werden mit den Maschinen die Produktivität und Qualität erhöhen. Individualisierte Produkte oder Dienstleistungen werden ermöglicht.

Auf Baustellen kommen heute schon Roboter zu Einsatz, die mit dem laserbasierten Sensorsystem LIDAR (Light Detection And Ranging) ausgestattet sind. Sie scannen die durchgeführten Arbeiten und überprüfen, ob alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort installiert wurde. Momentan erledigen Menschen mit Notizbüchern und Maßband diese Aufgabe. Der Markt für robo-gestützte Bauleitung ist groß. Nicht nur der Berliner Flughafen ist spät dran. Insgesamt wachsen in der Baubranche 98 Prozent der großen Projekte über das Budget hinaus und bleiben hinter dem Zeitplan, erklärt Daniel Susskind im jüngst erschienenen Buch „A World without Work“.

Das Unternehmen General Electric verwendet 3D-Drucke, um Motorkraftstoffdüsen herzustellen, die 25 Prozent leichter und fünfmal haltbarer als ihre Vorgänger sind. Die französische NGO „Ärzte ohne Grenzen“ verwendet 3D-Druck, um Prothesen für syrische Flüchtlinge herzustellen, die im Krieg Gliedmaßen verloren haben. Und das zu einem Fünftel der Kosten eines herkömmlichen Ersatzes. Gehen dadurch Arbeitsplätze flöten? Wohl eher nicht.

Ich persönlich träume von mehr Hilfe bei der Hausarbeit, die im übrigen in allen Gesellschaften der Welt meist unbezahlt ist – wie auch die meisten Pflegearbeiten. In den USA leisten ungefähr 40 Millionen Familienbetreuer pro Jahr im Wert von 500 Milliarden Dollar unbezahlte Fürsorgearbeit für Erwachsene. Zwei Drittel davon erbringen ältere Frauen. Weltweit leisten Frauen und Mädchen pro Tag weit mehr als 12 Milliarden Stunden unbezahlte Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit.

Maschinen werden solche Aufgaben vermutlich eher übernehmen als Männer. Technologie könnte den Aufwand minimieren, so dass wir Menschen uns auf das Wesentliche konzentrieren könnten. Meine Katze weiß, was das ist.

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