Debatte um Ungleichheit „Reiche nehmen die Realität anders wahr“

Ob man sich selbst als reich ansieht oder nicht, hängt davon ab, wen man kennt. Quelle: imago images

Kaum einer hat die Mächtigen so studiert wie Elitenforscher Michael Hartmann. Er erklärt, warum sich Spitzenmanager vermehrt zum Thema Ungleichheit äußern, wie ehrlich sie es meinen – und seine Lösung für das Problem.

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Herr Hartmann, der Permira-Chef Kurt Björklund hat gerade ein denkwürdiges Interview gegeben. Mit dem „Handelsblatt“ sprach er über Ungleichheit in der Gesellschaft. Und über die Rolle der Private Equity-Branche, für die er seit 23 Jahren arbeitet. Hat die Elite ein schlechtes Gewissen?
Nein. Es gibt vielleicht eine kleine Minderheit, auf die das zutrifft. Herrn Björklund zähle ich aber nicht dazu.

Warum?
Das Interview mit Björklund wurde in Davos geführt. Die Mächtigen kommen gerne dorthin, um sich selbst auf die Brust zu klopfen und zu sagen: „Wir haben verstanden, die Ungleichheit ist schlimm.“ Es werden pflichtschuldig ein, zwei kritische Stimmen eingeladen und Manager lassen sich zu öffentlichen Äußerungen in diese Richtung hinreißen. Aber mit dem Ende von Davos ist auch das wieder vorbei. Zudem ziehen die CEOs keine Konsequenzen.

Also eine reine PR-Strategie?
Nicht nur. Wenn Ungleichheit in der Gesellschaft dazu führt, dass gewohnte demokratische Strukturen zerfallen, steigt auch die Unsicherheit für die Unternehmen. Wenn sie sich äußern, geht es ihnen darum, ihre Geschäftsmodelle zu schützen und nicht etwa um ernsthafte Maßnahmen zur Bekämpfung von Ungleichheit. Deshalb wird über solche Maßnahmen in diesen Kreisen nicht wirklich diskutiert und letztlich sind selbst Politiker wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro für sie akzeptabel, wenn sie nur die Steuern für Unternehmen und die Reichen senken.

Zur Person

War das schon immer so?
Es gab eine kurze Zeit, nach der Finanzkrise, da hatte ich zwei Jahre das Gefühl, es ändert sich wirklich etwas. Da hat ein größerer Teil der Mächtigen wirklich angefangen, sich zu fragen, ob das so weitergehen kann. Weniger bei den Bankern, aber zumindest bei den Managern aus der Industrie. Sie wollten wirklich dafür sorgen, dass eine Finanzkrise wie diese nicht noch einmal passieren kann.

Und diese Zeit ist vorbei?
Am Ende wurde das System durch den Staat gerettet. Die Aktienkurse sind gestiegen und heute herrscht wieder 'business as usual'. Und es gibt jetzt wieder Forderungen nach weniger staatlicher Regulierung. Für mich kein Zeichen von Einsicht.

Über Regulierung wird immer wieder auch bei der Bezahlung von Vorständen gesprochen. Sie verdienen oft das Hundertfache ihrer Belegschaft.
Meistens wird in dem Zusammenhang ja, wie auch von Björklund, das immer gleiche Argument genannt: Wir müssen die Spitzenmanager so hoch bezahlen, sonst können wir sie im internationalen Vergleich nicht halten. Das wurde schon vielmals widerlegt. Ich sage: Lasst sie doch gehen. Wo sollen sie denn hin? Bei über 4000 börsennotierten Unternehmen in den USA gibt es insgesamt sechs deutsche Chefs. Die warten dort jetzt wirklich nicht auf deutsche Manager. Aber die Argumentation zeigt: Sobald es an ihr Geld geht, werden die Topmanager unruhig und führen teilweise abstruse Gründe für ihre hohen Gehälter an.

Wie meinen Sie das?
Nehmen sie das Beispiel von Frank Appel, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post. Er verdient zweihundertsiebzigmal so viel wie sein durchschnittlicher Angestellter. Appel könnte auch sagen: Okay, das ist ein bisschen viel, ich verzichte. Das würde ihm ja nicht wehtun. Tut er aber nicht. Er argumentiert lieber mit dem Lohnabstandsgebot: Er könne nicht weniger verdienen als seine Kollegen in den USA. Dass es ein Lohnabstandsgebot in solchen Fällen gar nicht gibt, das Gebot vielmehr ausschließlich für die Berechnung der Sozialhilfe galt, ficht ihn nicht an.

Sind die CEOs also unehrlich?
Nicht unbedingt, sie nehmen die Realität nur anders wahr. Friedrich Merz ist Millionär. Er hat kürzlich gesagt, er sehe sich damit als Teil der gehobenen Mittelschicht. Ich kenne Menschen mit zweistelligem Millionenvermögen, die würden sich da anschließen. Was ich damit sagen will: Es kommt immer darauf an, wen man kennt. Diese Leute lügen nicht, aber sie bewegen sich in einer Welt mit anderen Maßstäben. Der BMW-CEO Harald Krüger verdient knapp neun Millionen Euro. Im Vergleich zu den zwei größten Anteilseignern des Unternehmens fühlt er sich sicher nicht reich. Die bekommen über 1,1 Milliarden Euro an Dividende. Die wirklich Reichen bleiben in der öffentlichen Diskussion weitgehend außen vor. Die wissen auch, warum sie sich besser nicht äußern.

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