Ende des Wahns Warum sich die Jagd nach Größe nicht lohnt

Unternehmensziele: Warum die Größe kein Indikator für Erfolg ist Quelle: Illustration: Leander Aßmann

Schiere Größe ist nicht alles. Und schon gar kein Zeichen des Erfolgs. Eine Studie belegt, dass Manager nicht zwanghaft nach dem Immer-mehr streben sollten. Es gibt bessere Unternehmensziele.

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Wenn Uniqlo-Chef Tadashi Yanai über seine Unternehmensziele spricht, vergleicht er gern. Zuletzt verkündete er, in den nächsten zwei Jahren zum größten Modekonzern der Welt aufsteigen und dabei Konkurrenten wie die Modekonzerne H&M und Inditex hinter sich lassen zu wollen. Gut gebrüllt, Löwe! Denn Yanais japanisches Textilimperium ist zwar mit mehr als 1600 Filialen in Japan, China und Korea vertreten. In Europa zählt Uniqlo aber bislang nur 75 Geschäfte – und in den USA gerade mal knapp über 50.

Wir werden die Größten, Besten, Ersten sein – dieses olympische Mantra gehört immer noch zum Standardrepertoire jedes Managers: Wer sich mit weniger zufrieden gibt, kann es gleich bleiben lassen, der glaubt nicht an Erfolg, Wachstum – an sein eigenes Unternehmen. Chinas Technologiegigant Huawei etwa gab vor Kurzem bekannt, im laufenden Geschäftsjahr mehr Smartphones verkaufen zu wollen als SamsungApple sei bereits überholt. Und Ex-Opel-Managerin Tina Müller verkündete, ihren neuen Arbeitgeber Douglas an die Spitze des Kosmetikmarkts führen zu wollen. In allen europäischen Märkten, in denen das Unternehmen vertreten ist, soll Douglas möglichst zur Nummer eins avancieren; dafür kaufte Müller bereits Konkurrenten in Spanien und Italien auf.

Hinter den ehrgeizigen Wachstumszielen steht immer die gleiche Annahme: Nur an der Spitze eines Marktes lassen sich bessere Konditionen mit Lieferanten verhandeln; nur ganz vorne lassen sich Synergien heben und Skaleneffekte in der Produktion nutzen; nur wer der Größte ist, kann seine Profitabilität steigern. Und tatsächlich: Facebook, Google, Amazon, die großen amerikanische Digitalkonzerne, wirken wie eindrucksvolle Beweise dieser These.

von Daniel Rettig, Varinia Bernau, Christopher Schwarz

Aber gilt das „Gesetz Amazon“, das The-winner-takes-it-all-Prinzip auch abseits des Plattform-Kapitalismus – für Kurbelwellen, Kühlanlagen, Knäckebrot? Wird nicht heute, gegenläufig zum Trend der Automatisierung, der Wert des Individuellen, Spezifischen, Personalisierten geschätzt? Wenn aber so vieles in der Wirtschaft von morgen auf den Einzelnen zugeschnitten wird – braucht es dann nicht auch im Management neue Ziele jenseits der Marktführerschaft?
Alexander Himme, Professor für Rechnungswesen an der Hamburger Hochschule Kühne Logistics, und Marketingexperte Alexander Edeling von der Universität Köln sind diesen Fragen nachgegangen. Dafür werteten sie 89 Studien zum Thema aus, die zwischen 1972 und 2017 erschienen sind. Ihr Ergebnis: Das Prinzip „Je größer, desto besser“ hatte früher seine Berechtigung. Aber es gilt inzwischen immer seltener.

Konkret stellten Himme und Edeling in Studien aus den Siebziger- und Achtzigerjahren noch einen starken Zusammenhang zwischen Marktanteilen und Profitabilität fest. Das Problem: „Seitdem haben viele Unternehmen diese Doktrin nicht mehr infrage gestellt“, sagt Himme, und: „Die Manager stützen ihre Entscheidungen auf veraltetes Wissen.“ Denn die wissenschaftliche Erkenntnislage hat sich verändert. Schon seit den frühen Neunzigerjahren, so Himme, nähmen die positiven Auswirkungen der Größe auf die Profitabilität ab. Heute seien „andere Faktoren wie Kundenbindung und Markenbildung deutlich wichtiger“. Ein Zuwachs von einem Prozentpunkt Marktanteil führe nur noch zu einer Gewinnsteigerung um 0,13 Prozentpunkt. Zum Vergleich: Eine Steigerung der Markenstärke um einen Prozentpunkt schlägt mit 0,3 Prozentpunkten zu Buche. Und im Fall der Kundenbindung steigt der Gewinn sogar um 0,6 Prozentpunkte an.

Der wichtigste Grund für den Befund? Wie so häufig hebelt die Digitalisierung bewährte Gesetze aus. Früher punkteten Marktführer durch ihre große Sichtbarkeit. Und weil Kunden sich bevorzugt daran orientierten, was Freunde und Nachbarn konsumierten, genoss der Marktführer große Vorteile: Größe zog Größe nach sich. Das hat sich, von den Internetgiganten einmal abgesehen, geändert: „Heute können sich Verbraucher etwa über Bewertungsportale informieren“, sagt Himme. „Und stellen dabei oftmals fest, dass der Nischenanbieter viel besser zu ihren Bedürfnissen passt.“

Tatsächlich verschiebt sich zum Beispiel der Umsatz mit Produkten des täglichen Bedarfs seit Jahren zugunsten von kleineren Herstellern. In den USA entfielen zwischen 2016 und 2017 etwa 19 Prozent der Umsätze auf Marken, die nicht zu den 416 wichtigsten gehören. In Europa waren es sogar 33 Prozent.

Doch die Forscher stellten auch fest, dass die Entwicklung nicht für jedes Produkt, jede Branche, jede Region gilt. In Schwellenländern etwa sei die Marktführerschaft bis heute nützlich. In China spiele das Prestige, das mit dem Marktführerprodukt verbunden sei, immer noch eine wichtige Rolle.
Himme rät Unternehmern und Managern daher, die Unternehmensziele regelmäßig zu hinterfragen. Welchen Vorteil bringt die Marktführerschaft? Oder ist Wachstum zum Selbstzweck geworden? Diese Frage sollte sich auch Uniqlo-Chef Yanai stellen. Konkurrent H&M kommt derzeit auf mehr als 4300 Filialen. Dennoch schwächelte das Geschäft zuletzt.

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