Dabei ist eine der Grundvoraussetzungen für gute Entscheidungen der Mut zu Fehlern – doch dafür braucht es im Unternehmen eine Vertrauenskultur. Das Beispiel VW zeigt, wie man sie verhindert: indem man Mitarbeiter klein hält und Widerspruch untersagt. Doch ein Kulturwandel ist gar nicht so einfach. Vor allem weil ein CEO heute nur noch durchschnittlich etwa fünf Jahre auf seinem Posten bleibt. Das ergab eine Studie der Beratung strategy&, die die Verweildauer von Vorstandsvorsitzenden der weltweit 2500 größten börsennotierten Unternehmen untersuchte. Mit dieser Perspektive wundert es nicht, dass so mancher Manager in seiner Amtszeit die wichtigen Projekte aufschiebt und allenfalls ein Revolutiönchen wagt anstatt den ganz großen Coup.
Was gute Führung ausmacht
Laut einer Umfrage der "Initiative Neue Qualität der Arbeit" unter 400 Führungskräften sind Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren. Das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen, mit individueller Zeiteinteilung und in wechselnden Teamkonstellationen ist aus Sicht der meisten Führungskräfte bereits auf einem guten Weg. Die Idee der Förderung von Unterschiedlichkeit ist demnach in den Unternehmen angekommen und wird umgesetzt. Die Beiträge zur Führungskultur gerade aus weiblichen Erfahrungswelten werden äußerst positiv bewertet.
Prozesskompetenz ist für alle das aktuell wichtigste Entwicklungsziel. 100 Prozent der interviewten Führungskräfte halten die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung ergebnisoffener Prozesse für eine Schlüsselkompetenz. Angesichts instabiler Marktdynamik, abnehmender Vorhersagbarkeit und überraschender Hypes erscheint ein schrittweises Vortasten Erfolg versprechender als die Ausrichtung des Handelns an Planungen, deren Verfallsdatum ungewiss ist.
Selbst organisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell. Die meisten Führungskräfte sind sich sicher, dass die Organisation in Netzwerkstrukturen am besten geeignet ist, um die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu bewältigen. Mit der kollektiven Intelligenz selbst organisierender Netzwerke verbinden diese Führungskräfte die Hoffnung auf mehr kreative Impulse, höhere Innovationskraft, Beschleunigung der Prozesse und Verringerung von Komplexität.
Hierarchisch steuerndem Management wird mehrheitlich eine Absage erteilt. Die meisten Führungskräfte stimmen darin überein, dass Steuerung und Regelung angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt nicht mehr angemessen sind. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Managementwerkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Überwiegend wird die klassische Linienhierarchie klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von „guter Führung“ stilisiert.
Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung. Über die Hälfte der interviewten Führungskräfte geht davon aus, dass traditionelle Wettbewerbsstrategien die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben und das Prinzip Kooperation weiter an Bedeutung gewinnt. Nur noch 29,25 Prozent der Führungskräfte präferieren ein effizienzorientiertes und auf die Maximierung von Profiten ausgerichtetes Management als ihr persönliches Idealmodell von Führung.
Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung. Mit dem Übergang zur Netzwerkorganisation schwindet der selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen. Die Durchsetzung eigener Vorstellungen über Anweisung werde immer schwieriger oder sei gar nicht mehr möglich. Mächtig ist nur, was auf Resonanz trifft. Einfühlungsvermögen und Einsichtsfähigkeit werden dadurch immer wichtiger. Alle Akteure, ob nun Führungskraft oder geführte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bräuchten im Unternehmen mehr Reflexion und intensive Entwicklungsbegleitung.
Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt. Die Führungskräfte gehen davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt. Persönliches Engagement wird mehr mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie werde wichtiger als Statussymbole und der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimme den Grad der Einsatzbereitschaft.
Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit. In der intuitiven Schwerpunktsetzung der Führungskräfte nimmt die Stakeholder-Perspektive des Ausgleichs der Ansprüche und Interessen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einen wachsenden Raum ein. Über 15 Prozent aller frei genannten Beschreibungen im Führungskontext beschäftigen sich mit Fragen der gesellschaftlichen Solidarität und der sozialen Verantwortung von Unternehmen.
Für den Psychologen Gerd Gigerenzer liegt der Grund für ein solches Verhalten auch in der Unternehmensstruktur begründet. In seinem Buch „Risiko“ beschreibt er, wie Menschen besser entscheiden können. Das Problem in Unternehmen: Viele Manager treffen eben nicht mehr die beste Entscheidung, sondern nur die zweitbeste – die sie selbst schützt, falls etwas schiefgeht.
Sicher ist nicht immer besser
In Familienunternehmen sei das anders, sagt Gigerenzer. Dort stehe der langfristige Fortbestand im Fokus statt kurzfristiger Gewinne. In Konzernen kommen noch die verstärkten Kontrollmechanismen hinzu. „Unsere Corporate-Governance-Struktur führt dazu, dass zunehmend risikoavers agiert wird“, sagt ein Manager, der namentlich nicht genannt werden will. „Ich sehe das sehr kritisch.“ Denn die sichere Lösung sei für das Unternehmen eben nicht immer die beste.
Die Experten sind sich trotzdem einig: Das ist immer noch besser, als gar nicht zu handeln. „Manager sollten lieber eine falsche Entscheidung treffen als keine“, sagt Coach Brandl. „Eine Fehlentscheidung zieht die falschen Konsequenzen nach sich und wird somit sichtbar.“ Das Unternehmen kann dementsprechend gegensteuern. Handelt jedoch niemand, droht im schlimmsten Fall das gleiche Schicksal wie dem Versandhaus Quelle.
Trotz zunehmender Konkurrenz aus dem Internet werkelten die Manager, allen voran der langjährige Karstadt-Quelle-Chef Walter Deuss, munter nach dem Grundsatz weiter: Es funktioniert ja noch. Statt eine Strategie zu entwickeln und harte Einschnitte zu wagen, senkte Deuss lieber Preise oder verkaufte Immobilien. Das Ergebnis? Bei Quelle funktioniert nichts mehr, das Versandhaus gibt es nicht mehr. Aber wenigstens ist keiner schuld.