Führen auf Distanz? Für viele Managerinnen und Manager klingt das auch im Jahr 2023 noch abschreckend. Es ist aus ihrer Sicht weder machbar noch wirtschaftlich, einzelne Teams und ganze Abteilungen mobil oder zumindest nicht von einer Zentrale aus zu steuern. Nur im Büro komme der nötige Korpsgeist auf, um Kreativität zu entfesseln und Krisen zu meistern, meinen sie. Und ja, zeitweiliges Beisammensein schweißt zusammen. Aber Zusammenarbeit funktioniert nicht allein deshalb gut, weil alle an einem Ort sind. Sondern Kollaboration ist vor allem Kommunikation. Wie sie gelingt, können zivile Führungskräfte von der Bundeswehr lernen, denn: Armeen wurden schon immer auf Distanz gemanagt.
Das A und O einer jeden sozialen Gruppe ist klare Kommunikation. Im Unternehmensalltag sind selten Entscheidungen auf Leben oder Tod zu treffen – Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr müssen aber gerade bei Einsätzen in komplexen Umgebungen alle an einem Strang ziehen. Klare und effektive Kommunikation stellt sicher, dass weit entfernte Streitkräfte Befehle und Weisungen sofort verstehen und ausführen können.
Hingegen scheitern Unternehmen, die mit Remote Work hadern, meistens schon daran, dass es keine klaren Regeln für die Kommunikation gibt – sei sie nun synchron, zum Beispiel im direkten Gespräch, oder asynchron über E-Mail oder andere schriftliche Kanäle. Sobald das Miteinander aber grundlegend geregelt ist, kommen bessere Ergebnisse zustande. Damit lassen sich Vorbehalte zum Führen über Distanz schnell aus der Welt schaffen.
Schneller schlau: Bundeswehr
Die Streitkräfte der Bundeswehr bestehen aus den drei Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine sowie den drei militärischen Organisationsbereichen Streitkräftebasis, Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr und Cyber- und Informationsraum.
Im Frieden hat der Bundesminister der Verteidigung als Mitglied der Bundesregierung die Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) über die Streitkräfte. Sie geht im Verteidigungsfall auf den Bundeskanzler über. Dies regeln die Artikel 65a und 115b des Grundgesetzes.
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und benötigt daher für Einsätze die Zustimmung des Deutschen Bundestags. Auslandseinsätze der Bundeswehr finden grundsätzlich im Rahmen von Mandaten der Nato, EU oder UN statt.
„Hinter der Bundeswehr steckt mehr als Waffen und Gerät, mehr als Befehl und Gehorsam. Werte, Normen und das Grundgesetz geben ihren Soldaten und Soldatinnen, ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Orientierung für ihr Handeln und bestimmen so das Selbstverständnis“, heißt es bei der Bundeswehr. Neben Pflichtbewusstsein, Kameradschaft, Disziplin und Loyalität gehören laut der deutschen Armee auch Toleranz, Gerechtigkeit und Vielfalt dazu. Das Selbstverständnis der Bundeswehr formuliere einen hohen Anspruch an ihre Angehörigen und bringe diesen in drei Worten auf den Punkt: „Wir. Dienen. Deutschland.“
Stand: August 2023
Die Führungskräfte der Bundeswehr vertrauen stark darauf, dass ihre Kameradinnen und Kameraden ihre Aufgaben nach bestem Wissen erfüllen. Sie werden schon während der Ausbildung befähigt, Entscheidungen im Feld weitgehend eigenständig zu treffen. Denn in einer immer komplexeren Welt braucht es freilich auch deutlich mehr Flexibilität.
Das Prinzip von „Befehl und Gehorsam“ aus dem Soldatengesetz wird daher, wann immer möglich, durch das Prinzip „Führen mit Auftrag“ ergänzt: Vorgesetzte geben ein Ziel vor – doch welche Lösungen dahin führt, kann dann entlang der Befehlskette weitgehend frei erarbeitet und umgesetzt werden. Dass Mittel und Informationen bereitgestellt werden, um diese Aufträge schnell zu erfüllen, ist dafür unabdingbar.
Auf diesem Beispiel militärischer Führungspraktik beruht auch die im zivilen Management beliebte OKR-Methode (Objectives and Key Results): Die Unternehmensführung gibt Ziele vor, die verschiedenen Abteilungen und Teams definieren eigenständig Unterziele und setzen sie um.
Das Hauptwaffensystem der Bundeswehr ist der Kopf. Genau deshalb legt die Bundeswehr großen Wert auf die Entwicklung ihrer Führungskräfte. Das Konzept der „Inneren Führung“ ist dabei von zentraler Bedeutung. Es bildet den Kern der Ausbildung und Entwicklung von Führungskräften bei der Bundeswehr. Sie lernen, integer und im Einklang mit demokratischen Werten zu handeln, anderen mit Respekt zu begegnen und eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens und der Unterstützung zu pflegen.
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Das erfordert sehr viel Selbstreflexion und -bewusstsein. Denn nur wer sich selbst führen kann, kann auch andere führen.
Auch die Fähigkeit, effektiv zu kommunizieren und eigenverantwortlich mit gutem Beispiel voranzugehen, wird im Sinne der Inneren Führung in mehrteiligen Fortbildungen über Jahre trainiert. Nur wenige Unternehmen legen so einen Wert auf die zeitintensive Schulung, mitunter sicher auch, weil zivile Karrieren nicht so geradlinig verlaufen wie beim Militär.
Trotzdem sollten kontinuierliche Trainings für Führungskräfte intensiver genutzt werden, um in Kombination mit den neuesten Technologien den hybriden Herausforderungen der Wirtschaftswelt zu begegnen. Führungskraft hat jeder, sie muss nur vernünftig austrainiert werden.
Angesichts des Kampfes um die besten Talente ist die Bundeswehr ihrerseits jedoch auch gefragt, Soldatinnen und Soldaten bei der Gestaltung ihrer Arbeit konsequent einzubeziehen. Um als moderner Arbeitgeber wahrgenommen zu werden, darf sie Themen wie Diversität, Flexibilität oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht außer Acht lassen. Gleichzeitig ist immer anzuerkennen, dass die Bundeswehr qua ihres Auftrags in einem speziellen Spannungsfeld agiert, das im Extremfall keine Flexibilität erlaubt.
Zivile und militärische Führungskräfte eint, dass sie nicht für Motivation sorgen, sondern sie nur begünstigen können. Die Menschen, die hier wie da einer Sache dienen sollen, müssen das aus eigener Überzeugung tun. Sonst leiden Moral und Qualität. Entsprechend braucht es die Bereitschaft „von oben“, den eigenen Führungsstil stets zu hinterfragen und zu modernisieren – und von anderen zu lernen.
Wenn also selbst bei Teilen der Bundeswehr hybrides Arbeiten und Homeoffice möglich sind, dann hat auch das letzte Unternehmen keine Ausrede mehr, sich nicht ernsthaft mit flexiblen Arbeitsmodellen auseinanderzusetzen.
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