Nachfolge in Familienunternehmen Probieren Sie mal einen Kopfstand!

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Drei von vier Inhabern eines mittelständischen Unternehmens wünschen sich, dass die eigenen Kinder übernehmen. Aber die haben darauf immer seltener Lust. Was also sind die Alternativen?

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Einmal pro Monat erhielt Michael Hetzer ein lukratives Angebot von einem Wettbewerber. Für die meisten Unternehmer wäre das eine äußerst angenehme Situation. Für Hetzer war es Grund zur Grübelei: Er wollte sich nicht selbst die Taschen vollmachen – und die Belegschaft, die an dem Erfolg schließlich mitgearbeitet hatten, leer ausgehen lassen. Gerade einmal fünf Jahre war Hetzer alt, als sein Vater den Sensorikspezialisten Elobau gründete. 1990 stieg er selbst in die Firma ein, 2003 starb sein Vater. „Für meinen Vater“, so erzählt es Michael Hetzer, „war es vollkommen logisch, dass ich als sein Sohn ihm nachfolge. Aber für meine beiden Söhne wollte ich das nicht.“

Was also tun?

Heute gehört das Unternehmen einer Stiftung – und ist für Anke Rippert ein gutes Beispiel dafür, wie die Nachfolge in einem Familienunternehmen eben auch geregelt werden kann. Hetzers Fall ist eine von mehreren Case Studies, die Rippert für die Studie „Miteinander statt nacheinander. Wie wir Unternehmensnachfolge neu gestalten können“ zusammengetragen hat. Rippert stammt selbst aus einer Unternehmerfamilie. 2021 hat sie gemeinsam mit ihrem Bruder die Stiftung „In guter Gesellschaft“ gegründet, die bei unternehmerischen Entscheidungen unterstützen will – und dazu nun eine Art Gebrauchsanweisung für eine gelungene Staffelübergabe in Familienunternehmen veröffentlicht hat. Die Geschichte von Michael Hetzer ist darin nur eine Antwort auf die schwierige Frage, vor der immer mehr Familienunternehmen stehen: Was tun, wenn der Gründer, der die Firma lange geprägt hat, nicht mehr da ist?

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Warum nicht eine Stiftung?

Hetzer fasste schließlich den Plan, das Unternehmen Elobau nicht an seine Söhne zu vererben. „Es sollte aber auch nicht Käufern oder Aktionären gehören. Sondern gewissermaßen sich selbst, treuhänderisch verwaltet von einer Stiftung“, so formuliert er es. 2010 hielt er diesen Plan in seinem Testament fest. Damit traf er zwar früher Regelungen für die Nachfolge als viele andere Unternehmer. Und sollte doch schon bald, auf einer Autofahrt mit seinem jüngsten Sohn, feststellen, dass diese Vorbereitungen nicht gut genug waren.

Viele Unternehmer gehen die Nachfolge vor allem aus einem finanziellen, rechtlichen und steuerlichen Blickwinkel an, so die Beobachtung von Rippert. Aber, so betont sie, „es geht bei der Nachfolge nicht nur um Prozesse und Verträge, sondern um die Frage: Wie will ich als Unternehmer, als Unternehmerin heute arbeiten?“ Solche eher emotionalen Fragen gingen im Alltag oft unter. Das Papier ihrer Stiftung wählt auch deshalb einen anderen Zugang zum Thema – und beleuchtet vor allem soziopsychologische Aspekte der Nachfolge. 

Der Ratgeber dürfte damit einen Nerv treffen. Zwar gehen große Familienunternehmen, von denen es in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern besonders viele gibt, inzwischen durchaus professionell mit all den Befindlichkeiten um, die es innerhalb der Verwandtschaft nun einmal gibt. Mediatoren begleiten dort den Übergang von einer zur anderen Generation. Eine Familiencharta definiert die Regeln – und schafft so Klarheit. 

Bei mehr als 90 Prozent aller deutschen Familienunternehmen aber liegt der Umsatz unter einer Million Euro. Und in diesen kleineren Firmen ist der Umgang mit der Nachfolge zumeist weniger professionell. Dort dominiert eine gewisse Ratlosigkeit, eine Überforderung. Auch weil junge Menschen heute andere Prioritäten in ihrem Leben setzen – und nicht mehr ganz so selbstverständlich wie einst in die Fußstapfen ihrer (zumeist) Väter oder (mitunter eben auch) Mütter treten.  

Die Zeit drängt

„Diese Generation steht vor anderen Herausforderungen als die ihrer Väter. Und sie hat auch einen anderen Angang an viele Themen“, sagt Rippert. Daran sei viel Gutes: Denn mit dem Ende der Patriarchen ziehe ein neuer Ton in viele Unternehmen ein, auch ein neues Verständnis von Eigenverantwortung und von der Vereinbarkeit von Job und Familie. „Und dass sich da etwas tun muss, das ist mit Blick auf die Demografie doch klar“, sagt Rippert.

So zeigte die jüngste Befragung für das KfW-Mittelstandspanel im ersten Halbjahr 2023: Allein bis Ende des laufenden Jahres planen rund 224.000 Inhaber mittelständischer Firmen ihren Rückzug. Das entspricht sechs Prozent der 3,81 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen mit einem Jahresumsatz von maximal 500 Millionen Euro. Bereits jetzt ist demnach jeder Dritte von ihnen mindestens 60 Jahre alt – und die folgenden Generationen sind wegen der niedrigeren Geburtenraten kleiner. 

Die meisten Unternehmer allerdings wünschen sich, dass jemand aus der Familie die Nachfolge antritt: 57 Prozent der Inhaber äußerten in der Umfrage diese Präferenz, für einen Verkauf der Firma an Externe sprachen sich 43 Prozent aus, für die Nachfolge durch Beschäftigte des Unternehmens 28 Prozent, die Übergabe an einen Miteigentümer 21 Prozent.

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Der Ratgeber der Stiftung „In guter Gesellschaft“ listet deshalb auf, welche Alternativen es zur klassischen Nachfolge gibt – und zeigt anhand konkreter Beispiele, dass ein Stiftungsmodell oder auch der Verkauf mitunter sogar besser für die Unternehmerfamilie als auch für die Belegschaft sein kann. Es bietet zudem konkrete Tools, um sich innerhalb der Familie, aber auch innerhalb des Unternehmens diesen Alternativen zu nähern. 

Die Wunderfrage, eine in den 1980ern von dem Therapeutenpaar Steve de Shazer und Insoo Kim Berg entwickelte Technik, etwa hilft, zügig vom Problem zur Lösung zu kommen: Angenommen, es passiert ein Wunder – und morgen früh stünden in Ihrem Unternehmen der perfekte Nachfolger vor der Tür? Was würde er dort machen? Ein anderer Ansatz, um auf neue Ideen zu kommen: die Kopfstandmethode in Anlehnung an Edward de Bono, die auf Mittel der (übertriebenen) Umkehrung setzt. Statt sich zu fragen „Wie gestalte ich die Übergabe möglichst gut?“ fragt man: „Was muss ich tun, damit dieser Nachfolgeprozess so richtig gegen die Wand fährt?“ Und aus den Antworten natürlich wiederum die Umkehrungen ableiten.

Mehr Offenheit für Frauen – und bei den Frauen

Der Ratgeber macht auch deutlich, dass Frauen stärker als bislang in die Überlegungen zur Nachfolge einbezogen werden sollten. „Der Mittelstand ist männlich dominiert“, sagt Rippert. „Es fehlt am Selbstverständnis, dass die Tochter auch eine Option ist.“ Um das zu ändern, brauche es einerseits die Offenheit beim Inhaber wie in der Belegschaft. Aber auch eine neue Offenheit bei den Frauen: „Die Nachfolge müssen die Frauen auch stärker als eine Möglichkeit sehen, Unternehmerin zu werden.“ Rippert stammt selbst aus einer Unternehmerfamilie: Seit den 1990er-Jahren, als ihr Bruder ins Familienunternehmen einstieg, während sie einen anderen Karriereweg einschlug, habe sich zwar schon viel getan. Aber: „Da muss sich noch mehr tun.“  

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Michael Hetzer, der einstige Inhaber von Elobau, hat keine Tochter. Nur zwei Söhne. Und obwohl er sich bereits früh mit dem Gedanken anfreundete, das Unternehmen in eine Stiftung zu überführen, war der Druck auf seine beiden Söhne groß. Das merkte Hetzer auf einer Autofahrt: Sein jüngerer Sohn, damals acht Jahre alt, sagte wie aus dem Nichts: „Wenn mein Bruder das nicht machen will mit der Firma, dann muss ich das ja machen.“ Hetzer hakte nach: „Aber warum musst du dann die Firma übernehmen?“ – und bekam als Antwort: „Das ist doch ein Familienunternehmen. So was muss doch in der Familie bleiben.“ Der Vater war baff. „Ich konnte es in diesem Moment jedoch kaum glauben, dass sich ein achtjähriges Kind schon so einen Rucksack aufsetzt. Dass es diesen Druck schon spürt – und deshalb womöglich etwas ganz anderes studiert, als es eigentlich will, nur um für den Fall gewappnet zu sein.“

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Und so beließ es Hetzer nicht dabei, seinen Wunsch einer Stiftung lediglich im Testament festzuhalten. Er nahm die Umwandlung selbst in die Hand. „Zum Glück – denn am Ende war es komplexer als gedacht und dauerte ganze sechs Jahre.“ Seine beiden Söhne sind heute erwachsen. Eines Tages in das Familienunternehmen mit 1200 Mitarbeitern einzusteigen, ist für sie noch immer eine Option. Aber eben keine Pflicht mehr.

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