Deshalb braucht es nicht nur den einsamen, heroischen Unternehmenslenker, der das Unternehmen umkrempelt. Es braucht unabhängige Geister auf allen Hierarchieebenen, die für permanentes Neu- und Vorausdenken eintreten. Die dem immensen Anpassungsdruck widerstehen, der vom Status quo und von Effizienzdenken aufgebaut wird. Ihre zentrale Fähigkeit hat Marcel Proust definiert: „Die wahre Entdeckung besteht nicht darin, Neuland zu finden, sondern die Dinge mit neuen Augen zu sehen.“
Zukunft rekrutieren
Jedes Unternehmen muss sich heute fragen, ob es Führungskräfte will, die ihren Störungsauftrag ernst nehmen. Organisationen haben die Tendenz, immer wieder Mitarbeiter ähnlichen Typs zu rekrutieren. Genau jene, die sich überhanglos der Kultur anschmiegen. Gewinnen kann jedoch nur, wer sich stören lässt.
Seien Sie skeptisch bei Bewerbern, die glauben, Erfolgsrezepte zu kennen – sie sind tendenziell rückwärtsgewandt. Prüfen Sie, ob jemand in einem Strategiespiel einen Plan B entwickelt, weil er damit rechnet, dass sich die Dinge anders entwickeln als angenommen.
Das ist die Aufgabe: Menschen zu finden, die einen Unterschied in das Unternehmen bringen, aber ihr Verhalten auf die Bedürfnisse ihrer Kollegen und Mitarbeiter abstellen. Das Management sollte für viele Zusammentreffen mit unterschiedlichen Leuten sorgen. Mitarbeiter, die etliche Jahre dieselben Aufgaben verrichten, sind keine Störung mehr. Bei der souveränen Beherrschung rasch wechselnder Umstände sind jüngere Manager den älteren klar voraus. Sie kommen besser mit Aufgaben zurecht, deren Herausforderungen und Ergebnisse zu Beginn unklar sind.
Einen Störungsauftrag werden vorrangig Generalisten erledigen. Ein resilientes Unternehmen wird im Top-Management daher eher Menschen mit Überblick einsetzen, die die Vielfalt der eigenen Person und der Welt kennen, die schnell die Perspektive wechseln können und ihrerseits die Spezialisten richtig einsetzen. Die oft geforderte Branchenerfahrung ist jedenfalls mit Blick auf Zukunftsfähigkeit nicht immer hilfreich.
Sich selbst unterbrechen
„From a distance“ hieß ein Song, mit dem Bette Midler im Jahr 1991 einen Grammy gewann. Im Text ging es darum, dass vieles sich verändert, wenn man es aus der Distanz betrachtet. Dass Distanz notwendig ist, um zu einem abgewogenen Urteil zu kommen. Dass viele Dinge, die uns oft so ungeheuer wichtig erscheinen, sich aus einiger Entfernung lächerlich aufgeblasen ausnehmen. Zu große Nähe verzerrt die Optik. Diese Distanz zu gewinnen, gehört auch zum Störungsauftrag einer Führungskraft. Distanz meint, sich selbst zu hinterfragen. Verzögerungen einzubauen, die Schnelligkeit von Hetze unterscheiden, die uns schauen lassen, wohin wir laufen. Der Alltagshypnose entkommen.