Störungen initiieren Veränderungen, ohne die keine Entwicklung möglich wäre. Andererseits bringen Störungen immer Ineffizienzen mit sich. Sie beeinträchtigen Prozesse und Strukturen, die bis dahin funktioniert hatten – die eine Reform ist noch nicht umgesetzt, da wird schon die nächste entschieden. Der Störungsauftrag mit dem Ziel der Resilienz steht also in Spannung zur Kernaufgabe „Transaktionskosten senken“. Viele gute Vorschläge bedrohen sogar das Kerngeschäft – man denke an das Internet und den Handel, oder an Handys und das Festnetz. Will man die Störung verstetigen, aktiviert man im Regelfall den Widerstand der oberen Managementebenen, die unter hohem Erfolgsdruck stehen und auch kurzfristig Gewinne maximieren müssen.
Wir müssen uns also hindurchschlängeln zwischen den Möglichkeiten des Zukünftigen und den Erfolgen der Gegenwart. Es geht darum, Abläufe zu perfektionieren, aber immer wieder auch neue Alternativen auszuprobieren. Und sich so Neuem zu öffnen. Will man das entscheiden, dann ist das Reagieren auf Veränderungen wichtiger als das sture Befolgen eines Plans.
Mit Erregern versorgen
Gibt es eine optimale Organisationsform für Zukunftsfähigkeit? Wie können wir das Unternehmen so aufstellen, dass Veränderung als Rückenwind erfahren wird, nicht als Gegenwind? Der französische Soziologe Emile Durkheim schrieb 1895: „Nichts hindert einen Industriellen daran, mit den Methoden eines anderen Jahrhunderts zu arbeiten. Er soll es aber nur tun. Sein Ruin wäre sicher.“ Damals wie heute galt: Das Kundenproblem ist die Voraussetzung für die Existenz von Unternehmen. Es muss daher auf eine Eigenlogik und eine monolithische Struktur verzichten. Es darf nicht sagen: „Ich habe die Lösung, wo ist das Problem?“ Es verkauft nicht, was es produzieren kann, sondern produziert, was es verkaufen kann. Wenn sich Markt und Aufträge ändern, passt sich die Organisationsform dem Markt an, um erfolgreich zu bleiben. Eine solche marktgetriebene Organisation aber ist fast keine mehr – sie gleicht mehr einem Zur-Verfügung-Halten von Potenzialen. Unternehmen müssen sich mit Erregern versorgen, die es markt- und weltoffen halten und in den Modus des Problemlösens versetzen.
Testballone steigen lassen
Einige der geschicktesten Verhaltensweisen langlebiger Unternehmen sind Experimentierfreude, Herumprobieren, Irrtum, Opportunismus und Zufall. Google etwa lässt statistisch nur eins von hundert Projekten zur Marktreife kommen – frei nach dem Motto: „Start many, try cheap, fail early!“ Dem Zufall eine Chance geben, die starren Strukturen verflüssigen, das Aus- und Abgebremste wieder in Bewegung bringen – das ist eine Kernaufgabe der Führung. Zukunftsfähigkeit lässt sich nicht kontrollierend und steuernd erreichen, sondern wird gerade durch Kontrolle und Steuerung behindert – durch Management eben. Die einzig moderne Strategie heißt Ausprobieren, Testballone steigen lassen, mit dem Scheitern rechnen. Experimentieren – das ist heute unternehmerisches Handeln unter Unsicherheitsbedingungen. In einer Welt, die nicht kontrollierbar ist, nicht der Planung gehorcht und auch nicht der kontrollierenden Mega-Hierarchie. Provisorisch, bis auf Weiteres, das heißt: spielerisch. Dieses Experimentieren ist nur möglich in einer heiteren, zukunftsgerichteten Unternehmenskultur.
Bob Dylan etwa ist seit 1988 permanent auf Tour – aber mit ständig wechselnden Besetzungen. Er variiert von Konzert zu Konzert, spielt Songs an einem Abend akustisch, am nächsten elektrisch, verändert während einer Konzertreise mitunter Arrangement, Tonart und Geschwindigkeit. Manchmal erkennt man einen Song erst, nachdem er fast beendet ist. Das mag für seine Mitspieler schwierig sein, für seine Kunden aber entstehen auf diese Weise nie gehörte, magische Momente. Nicht selten geht das grandios schief – aber das eine ist ohne das andere eben nicht zu haben.