Rhetorik Warum keine Verhandlung ohne Eskalation auskommt

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Die richtige Eskalation erfordert Fingerspitzengefühl

So sehr Eskalationen Verhandlungen nach vorne bringen können: Nicht jede Provokation löst eine Blockade. „Ein Eskalieren um des Eskalierens willen ergibt keinen Sinn“, sagt Bodo Ramelow. Grenzen auszutesten hilft Unterhändlern nur weiter, wenn sie ihr Ziel genau kennen. „Ich muss vorher wissen, warum ich eskaliere, und ob ich in der Lage bin, die Eskalation emotional wieder zurückzunehmen“, sagt Ramelow.

Er weiß, wovon er spricht. Als junger Gewerkschafter versuchte er nach der Wende, bei Kaufhausschließungen das Maximum für die Entlassenen herauszuholen. Er fusionierte die PDS mit der Linken. Und im Tarifkonflikt zwischen GDL und Deutsche Bahn schlichtete er zweimal.

Doch manchmal bringen Eskalationen selbst den erfahrensten Unterhändler nicht weiter. Schwierig wird es etwa, wenn die Macht ungleich verteilt ist. Bei Gehaltsverhandlungen etwa läuft ein Beschäftigter schnell ins Leere, wenn er feststellt, dass er für seinen Chef ersetzbar ist. Und bei Krisenverhandlungen wie im Falle der Pleite-Fluglinie Air Berlin sitzen die Gläubiger am längeren Hebel.

Auch erfahrene Verhandler verzocken sich:

Kulturelle Unterschiede

Die richtige Eskalation erfordert Fingerspitzengefühl – und ein Gespür für den kulturellen Kontext. Im angelsächsisch geprägten Investmentbanking, das überwiegend männlich besetzt ist, geht es manchmal zu wie im Western. „Erst hauen sie sich, und dann trinken sie Whisky an der Bar“, sagt Anwalt Pleister. In Asien gilt dagegen nach wie vor das Prinzip, dass alle Verhandlungspartner ihr Gesicht wahren müssen.

Zum Scheitern sind unbeabsichtigte Eskalationen verurteilt. Etwa aus Unerfahrenheit, wenn junge Unterhändler überfordert sind und sich auf Positionen versteifen, die eine Lösung verhindern. Nach seiner Wahl 2015 inszenierte sich zum Beispiel der griechische Ministerpräsident Alexis Tspiras als Jungpolitiker, der es mit der ganzen EU aufnehmen werde. Am Schluss vieler Krisensitzungen, bei denen Griechenland der Austritt aus der Euro-Zone drohte, musste Tsipras ein drittes Rettungspaket akzeptieren – inklusive derselben Auflagen.

Allerdings verzocken sich auch erfahrene Verhandler. Vor allem dann, wenn sie emotional werden. Nach der Landtagswahl 2009 fühlte sich Bodo Ramelow als großer Sieger und ließ das seine potenziellen Koalitionspartner SPD und Grüne spüren. „Ich habe so lange eskaliert, bis wir verloren haben.“

Fünf Jahre später ging Ramelow überlegter ans Werk. Alles, was ihm für eine Koalition wichtig war, schrieb er auf ein Blatt Papier, das er nicht mehr aus der Hand gab – um keine Gegenvorschläge zu bekommen. Am Schluss stand eine Koalition mit SPD und Grünen, die bis heute hält. Auch deshalb, weil Ramelow auf die Mischung aus sanften Stupsern einerseits und hartem Druck andererseits setzte. „Man muss sich immer das Ende überlegen“, sagt der 61-Jährige. „Wer trotzdem eskaliert, agiert verantwortungslos.“ Und was erwartet der erfahrene Verhandler für die Koalitionsdiskussionen in Berlin? Gespräche, die Flexibilität erfordern, am Ende aber zur Einigung führen – nicht ohne vorherige Eskalation.

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