Hätte Hieronymus Bosch im 21. Jahrhundert gelebt, sähe sein Gemälde der sieben Todsünden anders aus: Es wäre vermutlich eine Collage aus Zeitungsartikeln oder Fernsehmeldungen. Denn für die Sinnbilder der Sünden hätte Bosch nicht seine Fantasie bemühen müssen. Ein Blick in die Nachrichten hätte gereicht: Hier Konzerne, die jeden erdenklichen Trick nutzen, um Steuern zu sparen. Da Firmenchefs, die diktatorisch regieren. Und dort Rekordboni trotz schlechter Leistungen.
Tugendreiche Manager schützen vor Skandalen
Wer unternehmerische Entsprechungen der sieben Sünden finden will, muss nicht lange suchen, er findet sie zuhauf in der Wirtschaftswelt. „Um sich dagegen zu schützen“, sagt Anselm Grün, „braucht es Tugenden.“ Die Finanzkrise habe schließlich eindrucksvoll gezeigt, wohin Wertelosigkeit langfristig führt.
Grün ist Benediktinermönch und lebt in der Abtei Münsterschwarzach in der Nähe von Würzburg. Er hat inzwischen mehr als 300 Bücher veröffentlicht, die in 30 Sprachen übersetzt wurden. In seinem neuesten Werk „Von Gipfeln und Tälern des Lebens“ erzählt er, wie er selbst durchs Wandern neue Kraft schöpft. Solche Erkenntnisse über Psychologie und Lebensgestaltung sind vor allem für Wirtschaftslenker relevant, deshalb ist Grün seit Jahren ein gefragter Referent. „Viele Firmen wollen mehr und mehr Tugenden leben“, sagt er, „denn sie machen ein Unternehmen erst wertvoll.“
Tag und Nacht, Gut und Böse: Das alte Spiel der sich bedingenden Gegensätze. So ist es auch bei Tugend und Sünde. Die Demut steht dem Hochmut entgegen, die Mildtätigkeit der Habgier, die Mäßigung der Völlerei. Die Lehre der sieben Todsünden und ihrer Gegenspieler hat ihren Ursprung im 4. Jahrhundert. Doch so wie die Sünde kein Alter kennt, so bleiben auch die Tugenden bestehen. Mehr noch: Sie erleben derzeit eine Renaissance.
Wie wichtig das Thema ist, zeigen neben der Flut an Ratgebern und Seminarangeboten auch zahlreiche Initiativen. Etwa die Wertekommission, ein Zusammenschluss von Managern, die vorbildliches Führen propagiert. Im vergangenen Jahr startete sie mit dem Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung und Corporate Governance an der Universität Witten/Herdecke eine Führungskräftebefragung. Darin nannten die Teilnehmer Vertrauen und Verantwortung als wichtigste Werte, gefolgt von Integrität. Die Befragten waren sich sicher: Wenn sich solche Werte in der Führungskultur widerspiegeln, wächst die Motivation bei den Angestellten.
Die Chef-Checkliste zur sozialen Kompetenz
Können Sie sich im "Hier und Jetzt" spürbar auf Ihre Führungsaufgabe einlassen? Sind Sie offen und ansprechbar? Hören Sie aktiv dazu?
Hören Sie sich alle Meinungen an und würdigen Sie die verschiedenen Sichtweisen, bevor Sie sich (vorschnell) ein Urteil bilden?
Stehen Sie hinter dem, was Sie sagen? Können Sie diese Haltung gegenüber dem Team ebenso wie nach außen vertreten?
Bleiben Sie auch in schwierigen Situationen standfest, um Ihr Gegenüber von Ihrem Standpunkt zu überzeugen?
Unterschiedliche Ziel- und Wertvorstellungen führen zwangsläufig zu Konflikten. Erkennen und bewältigen Sie diese Konflikte? Erreichen Sie in Mitarbeitergesprächen konstruktive Lösungen?
Sind Sie in der Lage, Mitarbeiter und Kollegen schnell einzuschätzen und ihre jeweiligen Stärken und Schwächen zu erkennen?
Besitzen Sie das notwendige Einfühlungsvermögen, um Ihre Mitarbeiter zu verstehen und in der Folge leichter von einer Sache zu überzeugen?
Wenn es nicht "rund" läuft: Sprechen Sie das Problem offen an? Stehen Sie hinter ihren Leuten, auch wenn sie Fehler machen?
Verhalten Sie sich integer und folgen Sie im Umgang mit Mitarbeitern und Kollegen den Regeln des Fair Play?
Sind Sie in der Lage, Interaktionen und gruppendynamische Prozesse in Teams aktiv zu gestalten und effizient in und mit Teams zu kooperieren?
Es scheint fast so, als setzten sich nun vermeintlich selbstverständliche Erkenntnisse durch. Wer Gutes tut, hat zufriedenere Mitarbeiter, schafft ein positives Bild in der Öffentlichkeit und sichert letztlich die Zukunftsfähigkeit. Und tatsächlich: Angeblich altmodische Tugenden lassen sich durchaus in die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts übertragen.
1. Tugend: Demut
Bobby Dekeyser hat viel erreicht: Vom Schulabbrecher zum Profifußballer, vom Gründer zum Millionenunternehmer. 1990 gründete der gebürtige Belgier Dedon. Das Unternehmen produziert hochwertige Outdoor-Möbel, inzwischen beliefert es Promis und Luxushotels. „Dass es so weit gekommen ist“, sagt Dekeyser, „hat auch damit zu tun, dass ich Menschen habe machen lassen.“
Ein Manager, der sich selbst nicht so wichtig nimmt – geht das? „Das lateinische Wort für Demut ist humilitas, also Mut zur Wahrheit“, sagt Pater Grün. Ein demütiger Manager stellt sich nicht über andere und gibt seine Fehler zu. Dekeyser hat das schon in der Jugend gelernt – als Torwart:
„Da lebt man zwischen den Extremen, entweder Held oder Versager.“ Später, während seiner Karriere als Unternehmer, habe er zudem immer versucht, ehrlich zu sein und mit seinen Ängsten offen umzugehen. Dadurch schuf er eine Kultur, in der sich jeder frei bewegen darf und keiner etwas vorspielen muss. Diese Demut hilft dem gesamten Unternehmen. Die US-Wohltätigkeitsorganisation Catalyst fand 2014 heraus: Waren Angestellte an Entscheidungen und Prozessen beteiligt, arbeiteten sie bis zu 40 Prozent innovativer als der Durchschnitt. Außerdem erledigten sie ihre Tätigkeit gewissenhafter und waren teamfähiger.
Doch auch Demut muss Grenzen haben. Michael Kastner, Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Herdecke, vergleicht Manager mit einem Arzt: Gegenüber dem Patienten müsse der selbst bei geringer Überlebenschance Optimismus verbreiten. Hinter verschlossenen Türen solle er im Team dann aber überlegen, wie die Operation am besten laufen könnte.
Sonst entsteht Hybris, und die kann gefährlich werden: „Wenn niemand mehr widerspricht, können schneller gravierende Fehler passieren“, sagt Matthias Sutter, Professor für Verhaltensökonomie an der Universität zu Köln.
Was Manager tun können, um Begeisterung zu entfachen
Viele Unternehmen lassen sich bei der Personalauswahl noch zu häufig allein von der Fachexpertise, dem Leistungswillen und der Eloquenz der Kandidaten leiten. Wenn jemand mit Leidenschaft seinem Beruf nachgeht oder gar ein besonders kreativer Querdenker ist, wird ihm das eher negativ ausgelegt. Mehr Mut zu weniger Uniformität und Stromlinienförmigkeit kann sich vor allem in Forschung und Entwicklung, in Marketing und Vertrieb bezahlt machen. Das Management gerade deutscher Unternehmen ist jedoch häufig zu eindimensional auf Effizienz getrimmt. Beim Optimieren von Prozessen ist das goldrichtig, bei kreativen Prozessen nur bedingt“, warnt Jens-Uwe Meyer, Autor des Buches „Das Edison-Prinzip“.
Wer Mitarbeiter für die Sache begeistern und damit ihre Motivation erhöhen möchte, muss auch ein guter Kommunikator sein, mit guten Argumenten, aber auch der nötigen Empathie für die menschlichen Belange. Gut kommunizieren zu können, ist auch in der notwendigen Darstellung nach außen enorm wichtig. Dies erst zu lernen, wenn man bereits auf der Zielgeraden für eine Top Position ist, ist eindeutig zu spät. Übrigens gehört dazu auch ein verhandlungssicheres Englisch.
Wer Ideenfindung zur Chefsache erklärt, zeigt seinen Mitarbeitern vielleicht, wer in der Hierarchie ganz oben steht. Er läuft aber auch Gefahr, wichtige Details oder Erkenntnisse zu übersehen und damit Fehlentscheidungen zu treffen. Weil Technologiesprünge, Veränderungen von Geschäftsmodellen und Kundenbedürfnisse sich immer schneller drehen, kann ein einzelner – egal wie gut er ist - niemals alle für Geschäftsentscheidungen relevanten Informationen überblicken. Wer hingegen in den offenen Ideenaustausch mit seinen Mitarbeitern investiert, braucht zwar mehr Zeit, erntet dafür aber am Ende auch die kreativeren Ideen und durchdachteren Konzepte. Gleichzeitig schafft die direkte Einbindung eine höhere Identifikation mit dem Ergebnis, das Mitarbeiter dann viel motivierter umsetzen, denn es ist ja auch ihr Konzept.
Am kreativsten sind Mitarbeiter in Teams mit flachen Hierarchien. Um die Expertise aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen, Fachgebieten und Ländern an einen Tisch zu bringen, hat z.B. der Essener Konzern Evonik sogenannte Forscher-WGs eingerichtet, in denen Experten aus verschiedenen Unternehmensbereichen und Ländern über drei Jahre lang gemeinsam Innovationen ausbrüten. Der IT-Dienstleister IBM veranstaltet sogenannte „Innovation Jams“, bei denen sich über Hunderttausend IBM-Mitarbeiter, deren Familien, Wissenschaftler und Kunden aus der ganzen Welt drei Tage lang via Computerbildschirm über neue Ideen, Innovationen und die Lösung kniffliger Probleme austauschen.
Führungskräfte umgeben sich häufig am liebsten mit Personen, die ähnliche Stärken aufweisen wie sie selbst. Wer gerne kommuniziert, arbeitet gerne mit kommunikativen Menschen. Wer detailverliebt ist, schätzt Mitarbeiter mit ähnlichen Präferenzen. Wer seine Stärken und Schwächen kennt und sich vornimmt, das volle Potenzial seines Teams zu heben, kann sich als Führungskraft darauf konzentrieren, die verschiedenen Talente so einzusetzen, dass sie sich ergänzen – zum Erfolg aller. Teams sind dann besonders stark, wenn jeder eine eigene Rolle seinen Fähigkeiten entsprechend übernehmen kann. Der Job des Teamleiters ist es, jedem die passende Rolle zuzuteilen.
Lässt sich Demut lernen? Ja, sagt Führungskräftecoach Karin Kuschik: „Wer sich einmal im Monat bewusst in Situationen begibt, in denen er nur Schüler und nicht Meister ist, übt sich automatisch in Demut – weil er ständig erlebt, dass er eben nicht alles kann und weiß.“ In manchen Firmen setze sich der Chef einen Tag an den Empfang, andere buchen einen Tanzkurs. Möbelunternehmer Bobby Dekeyser hat seine eigene Methode. Wenn er auf Ibiza sei, wandere er immer einen Berg hoch: „Wer in der Natur keine Demut empfindet, dem ist auch nicht mehr zu helfen.“
2. Tugend: Mäßigung
In seinem ersten Leben war Andreas Butz Bankmanager. Er arbeitete von früh bis spät und hatte eine Standleitung zum Pizzataxi, nebenbei absolvierte er Triathlons. Das extreme Leben bescherte ihm zwei Hörstürze. Butz stieg aus und um. Seit 15 Jahren ist er nun Lauftrainer und Coach, trainiert mit seinen Kunden für Marathons und berät Führungskräfte beim gesünderen Leben.
Bedarf gibt es genug, denn viele Manager leben extrem: wenig Schlaf, immer erreichbar, keine Freizeit. Das sah man ihnen auch an, früher zumindest. Nun scheint der barocke Typ auf der Chefetage ausgestorben. Manager wie der ehemalige RWE-Chef Jürgen Großmann oder Solarworld-Chef Frank Asbeck sind selten geworden. Verzicht ist in – weniger Alkohol, weniger fette Speisen, weniger Kohlenhydrate.
Selbstoptimierung wird häufig zur Sucht
Auch das Ausmaß der Arbeit und das eigene Selbstbild will heute reguliert werden. Daher wird unter Managern lieber gelaufen statt geschlemmt. Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube, der beim Jogging nicht nur entspannt, sondern Zeit zum Denken hat, sagt: „Oft bekomme ich dann die zündende Idee.“ Was vorher unklar gewesen sei, löse sich für ihn auf, die Gleichförmigkeit der Bewegung versetze ihn in kurzer Zeit in einen „Ideenmodus“.
Schon zu Studienzeiten in Hamburg gehörte Jogging zu Grubes Routine. Trotz zeitintensivem Job versucht er es jeden Morgen, in der Regel zehn Kilometer, am Wochenende schon mal 20. Auch Opels Vorstandsvorsitzender Karl-Thomas Neumann oder Adidas-Chef Kasper Rorsted gehören zu den laufenden Managern. Kein Wunder: Das Training macht gesünder, leistungsfähiger und belastbarer, sagt Laufcoach Butz: „Bessere Kondition heißt bessere Konzentration, und das führt zu mehr Ausdauer im Verhandlungsmarathon.“ Doch Obacht: Ist der Sport nur ein neuer Ausdruck von Kontrollwahn und der Sucht nach Erfolg, ist es mit der Mäßigung vorbei.
3. Tugend: Mildtätigkeit
Sebastian Mader, Vertriebsmanager bei Vodafone, trägt heute blaues Hemd und dunklen Anzug. Wenig erinnert daran, dass er im Dezember 2015 nicht in einem vollverglasten Bürogebäude saß, sondern in einem Township bei Kapstadt. Drei Monate lang lebte der Manager dort. Es war nicht das erste Mal. Schon 2010 und 2012 unterstützte Mader ein Freiwilligenprojekt und unterrichte Betriebswirtschaftslehre. Seine Schüler waren Bewohner des Townships. Beim ersten Mal gab es Tage, an denen sein Klassenzimmer fast leer blieb. Mader wandte sich enttäuscht an seine Chefin. Die erklärte ihm, dass es für die Menschen manchmal Wichtigeres gäbe als Unterricht – den Hunger zu stillen, zum Beispiel: „So lernt man, sich selbst und seine Gefühle nicht immer in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt Mader.
Soziales Engagement als Karrieresprungbrett
Zwar geben 43 Prozent der Befragten an, durch ihr freiwilliges Engagement nicht beruflich vorankommen zu wollen. Aber immerhin jeder Vierte der jungen Freiwilligen verspricht sich auch bessere Karrierechancen.
Sie sind weit weniger auf ihre Karriere fixiert. 72 Prozent engagieren sich ohne Hintergedanken. Nur acht Prozent wollen auch beruflich vorankommen. Die restlichen 20 Prozent stimmen der Aussage zumindest teilweise zu.
In dieser Altersgruppe sieht die Verteilung ähnlich aus. Nur fünf Prozent versprechen sich berufliche Vorteile durch ihr Engagement. 78 Prozent ist der Effekt für die Karriere egal.
Bei den Rentnern steht das Ziel, die Karriere voranzutreiben, naturgemäß nicht im Vordergrund. 88 Prozent haben nicht die Absicht ihr freiwilliges Engagement für die berufliche Karriere auszuschlachten.
Diese Lektion will sein Arbeitgeber fördern. Daher erlaubt Vodafone Mitarbeitern ein Sabbatical von drei Monaten in einem sozialen Projekt, wohlgemerkt unter Fortzahlung der Bezüge. Auch SAP, Accenture oder IBM stellen ihre Angestellten frei, damit sie ihre Mildtätigkeit ausleben können. Das geschieht nicht nur aus Selbstlosigkeit: 2011 befragten die Unternehmensberatung Roland Berger und die US-Wirtschaftsvereinigung AmCham mehr als 100 Unternehmen, warum sie solche Aktivitäten förderten. Am wichtigsten waren gesellschaftliche Verantwortung, ein besseres Betriebsklima und mehr Teamfähigkeit.
Die Beratung Deloitte wiederum kam 2013 bei einer Befragung unter US-Führungskräften zu einem ähnlichen Ergebnis: Ehrenamtliches Engagement verbessert das Firmenimage – intern und extern. Doch Freiwilligenprojekte und Sozialpraktika verändern auch die Mitarbeiter, sagt Businesscoach Karin Kuschik. Nach einem Sabbatical sehen sie vieles klarer. „Entweder sie kommen hoch motiviert und mit einer neuen Haltung zurück“, sagt Kuschik, „oder sie gehen.“ Beides ist immer noch besser, als jemanden aufzuhalten, den es eigentlich fortzieht.
Sebastian Mader von Vodafone ist an seinen Schreibtisch zurückgekehrt – im Gepäck eine Geschichte, an die er gerne zurückdenkt: Einer seiner Schüler war ein begnadeter Korbflechter. Der kann inzwischen von seinen Produkten leben – und wohnt in einer besseren Gegend.
4. Tugend: Keuschheit
Der Firmeninhaber, der sich in seine Sekretärin verguckt. Oder die Chefärztin, die sich in den Krankenpfleger verliebt. Die Geschichten sind beinahe so alt wie die Marktwirtschaft selbst – und mindestens so umstritten. Angeblich lernen sich fast 30 Prozent aller Pärchen am Arbeitsplatz kennen. Problematisch wird es allerdings dann, wenn die Partner nicht auf derselben hierarchischen Ebene stehen.
Auch für Margit Scheller-Wegener kam die Liebe am Arbeitsplatz daher nicht infrage. Sie ist heute Personal- und Kommunikationsleiterin bei der Kommunikationsagentur Braunwagner in Aachen. Ihre Karriere begann sie einst in einer großen Unternehmensberatung. Doch dann verliebte sie sich in einen der Partner – und verließ das Unternehmen freiwillig. Nicht gerade romantisch, aber verständlich.
Eine Beziehung beim selben Arbeitgeber ist heikel. „Angestellte, die mit einer Führungskraft zusammen sind, stehen im Verdacht, Sprachrohr auf der einen und Abhörgerät auf der anderen Seite zu sein“, sagt Führungskräftecoach Karin Kuschik. Manch ein Konzern setzt da lieber gleich auf Verbote: Die US-Supermarktkette Walmart versuchte 2005, das auch für deutsche Filialen einzuführen. Damit scheiterte der Konzern zwar vor Gericht, das sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Trotzdem sehen die meisten Arbeitgeber innerbetriebliche Beziehungen skeptisch. Offen zugeben mag das kaum jemand, aber die meisten haben vor allem bei unterschiedlichen Hierarchieebenen klare Regeln. Dann überlegen sie gemeinsam, ob es nicht besser wäre, mindestens einen von beiden in einer anderen Abteilung unterzubringen, um Störungen im Teamgefüge vorzubeugen.
Das haben anscheinend auch die meisten Deutschen verstanden. Im Jahr 2013 lehnte in einer Forsa-Umfrage die Mehrheit eine Affäre im Büro ab. Und in einer weltweiten Studie des Karriereportals Monster aus dem Jahr 2014 hielten sie 58 Prozent sogar für karriereschädlich.
5. Tugend: Wohlwollen
Wenn der Chef mit einem Notizbuch durch die Firma läuft, dann kann dem ein oder anderen Angestellten schon mal angst und bange werden. Was notiert der sich da jetzt? Habe ich etwas Falsches gesagt? Oder gemacht? War die Kaffeepause doch keine so gute Idee? Bei der Bielefelder Marketingberatung Pluris Consulting hingegen freuen sich die Angestellten, wenn Michael Höfelmeier den Kugelschreiber zückt oder in sein Handy tippt. Denn bei dem Geschäftsführer steckt dahinter ein besonderes System.
Höfelmeier notiert keine Fehler, sondern gute Leistungen. Dadurch weiß er im Mitarbeitergespräch, wer vor ihm sitzt. „Wohlwollen lässt sich mit Empathie übersetzen“, sagt Anselm Grün, „und die schafft Verbundenheit und Wertschätzung für den Blickwinkel des anderen.“ Genau das will Höfelmeier erreichen.
Was für die kleine Beratung richtig ist, das ist für Großunternehmen nicht falsch. „Manager müssen logisch denken, aber auch psychologisch“, sagt Experte Kastner. „Sie müssen konkret schauen, wie Menschen ticken, wie sie sie ansprechen oder anregen.“ Ein wenig mehr Lob kann schon helfen. Das motiviert Mitarbeiter und bindet sie ans Unternehmen. „Allerdings muss Wertschätzung präzise erfolgen und nicht inflationär“, sagt Kastner.
Und das zahlt sich aus. Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren Dutzende von Studien erschienen, die auf den Zusammenhang zwischen guter Führung einerseits und guter Leistung andererseits hindeuten. Warmherzige Führungskräfte erhalten mehr Vertrauen, die Angestellten sind loyaler, engagierter und kooperativer, entspannter und gesünder. „Ein guter Chef“, sagt Emma Seppälä, Glücksforscherin der Stanford-Universität, „ist wortwörtlich gut für das Herz.“
6. Tugend: Fleiß
Wenn Fabiana Trani in die Saiten ihrer Harfe greift, scheint die Welt auf wundersame Art und Weise langsamer zu werden. Doch das Spiel auf dem Instrument ist ein Knochenjob: „Harfenisten haben Hornhaut auf den Fingerkuppen“, sagt Trani. Sind diese weg, können sich Blasen bilden, das Spielen tut weh. Nur regelmäßiges Üben kann das verhindern. Mehrere Stunden täglich. Tag für Tag, Woche für Woche.
Trani ist Solo-Harfenistin der Düsseldorfer Symphoniker und Dozentin an der Robert-Schumann-Hochschule. Begonnen hat sie ihre Karriere am Konservatorium von Triest. Da lernte sie den Wert von Konsequenz und Ehrgeiz. Der Mythos vom Wunderkind ist eben nicht die ganze Wahrheit: „Natürlich braucht man Talent, aber ohne Disziplin wird es schwierig“, sagt Trani.
Fleiß führt zum Erfolg
Fleiß hilft nicht nur Harfenisten: 2015 fanden Sportökonomen der Universität Duisburg-Essen und der Sporthochschule Köln heraus: Laufleistung und Erfolg von Bundesligateams hängen zusammen. Jede 100 Meter, die sich ein Spieler mehr bewegt als sein Gegner, steigt die Siegeswahrscheinlichkeit um rund drei Prozent. Doch entscheidend ist die richtige Dosis: Mit jedem Sprint sanken die Erfolgschancen.
Fleiß bedeutet eben nicht nur puren Einsatz, sondern auch die Erfahrung, zu wissen, wann wie viel gefordert ist. Dass das zum Erfolg führt, beweisen auch die Studien der US-Psychologin Angela Duckworth. Sie hat den Begriff „grit“ (Biss) geprägt. Mit einem Team von Psychologen wertete sie 2011 die Daten von Teilnehmern eines nationalen Buchstabierwettbewerbs aus. Dabei fokussierten sich die Forscher auf jene Kinder, die mit der Methode des zielgerichteten Übens gelernt hatten.
Dabei geht es vereinfacht gesagt darum, über einen langen Zeitraum an seinen Fähigkeiten zu feilen, sich ständig zu steigern und fortwährend Feedback einzuholen. Das Ergebnis war eindeutig: Kinder, die mit dieser Methode gelernt hatten, waren erfolgreicher als andere. 2013 wiederum untersuchte Duckworth Kadetten an der US-Militärakademie West Point. Jene mit Biss hielten länger durch. Duckworth ist überzeugt:
Biss hilft nicht nur Schülern und Kadetten, sondern auch hochrangigen Führungskräften. „Topmanager müssen im Grunde wie Spitzenkünstler sehr beharrlich an ihrer Karriere arbeiten“, sagt auch Verhaltensökonom Sutter. In beiden Bereichen ginge es nicht ohne die Fähigkeit, für das Erreichen langfristiger Ziele einen ausreichend langen Atem zu haben.
7. Tugend: Geduld
Das Wort klingt passiv, nach Abwarten und Ausharren. Lieber sprechen Manager über Ungeduld als ihre größte Schwäche. Dabei wissen Experten: Auch Geduld ist wichtig, um Ziele zu erreichen. Ökonomisch betrachtet geht es um die Fähigkeit, anstelle einer kleineren Belohnung in der Gegenwart eine etwas größere in der Zukunft zu wählen. Wie wichtig das ist, zeigte schon das inzwischen berühmte Marshmallow-Experiment: In den Sechzigerjahren setzte der Wissenschaftler Walter Mischel eine Gruppe von amerikanischen Vorschulkindern vor einen Marshmallow. Die Aufgabe: Wenn die Kinder es schaffen, die Süßigkeit 20 Minuten lang nicht anzurühren, bekommen sie als Belohnung noch eine zweite klebrige Köstlichkeit. Manche Kinder konnten problemlos warten, andere wurden von der Lust auf die Süßigkeit übermannt.
Viele Jahre später besuchte der Wissenschaftler die mittlerweile Erwachsenen erneut. Und siehe da: Die Kinder, denen es gelang, durchzuhalten, haben Jahrzehnte später erfolgreichere Wege im Berufsleben eingeschlagen als jene, die eben nicht abwarten konnten.
Geduld ist also ein wichtiger Faktor in der eigenen Karriereplanung und genießt zu Unrecht einen schlechten Ruf. Und doch fällt vielen das Abwarten schwer. Laut einer Studie der Europäischen Kommission hat die lebenslange Karriere in einem Unternehmen ausgedient. Nur noch 14 Prozent der Deutschen haben ihren Arbeitgeber noch nie gewechselt. Die Mehrzahl ist zu Veränderungen bereit. 66 Prozent der Deutschen haben ihre Stelle zwischen einem und fünf Mal gewechselt.
Wer kann es ihnen verdenken? Den Wechselwilligen lockt in der Regel mehr Geld und eine bessere Position. Dass es sich dennoch lohnt, den sprichwörtlichen Spatz auf der Hand für die Taube auf dem Dach abzulehnen, zeigt eine Studie von Russell Reynolds Associates.
Die Personalberatung analysierte die Karrieren von amtierenden Vorstandsvorsitzenden weltweit. Das Ergebnis: Deutsche Spitzenpositionen werden zu 73 Prozent intern nachbesetzt. Prominente Beispiele dafür gibt es zuhauf: Lufthansa-Chef Carsten Spohr war rund 19 Jahre im Konzern, bevor er 2014 Vorstandsvorsitzender wurde. Ähnlich sieht es bei Harald Krüger von BMW oder bei Joe Kaeser von Siemens aus. Krüger fängt 1992 als Trainee bei dem Autobauer an, erst 2015 wird er an die Spitze gewählt. Kaeser blickt auf 36 Jahre im Münchner Unternehmen zurück.
Management erfordere die Balance zwischen Gelassenheit und dem Willen, etwas erreichen zu wollen, sagt Anselm Grün: „Es braucht Geduld mit anderen, aber auch mit sich selbst.“ Das wussten schon die Verfasser des Alten Testaments: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.“