Die Belgier stellen ein grundsätzliches Konzept der Arbeitswelt auf den Kopf: Schluss mit acht Stunden Arbeit am Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Stattdessen sollen Arbeitnehmer in dem kleinen Land bald drei Tage in der Woche freimachen können. Was für Arbeitnehmer nach froher Kunde klingt, kommt allerdings mit einer großen Einschränkung daher: Wer in Vollzeit arbeitet, kann künftig mit dem Segen der Regierung an den vier Tagen länger arbeiten, um die gleiche Arbeit auch an weniger Tagen verrichten zu können. Im Klartext bedeutet das: Sie würden nicht weniger arbeiten, sondern die Arbeit nur anders aufteilen. Auf der Plattform Reddit kommentierte ein Belgien das dann auch konsequent: „Auf keinen Fall mache ich das.“
Dabei klingt das Versprechen einer Viertagewoche so reizvoll: Drei Tage freimachen, das bitte ohne Lohnabzug und vor allem ohne Mehrarbeit an den vier Arbeitstagen. Das Zauberwort: Produktivität. Ihr Anstieg regele das schon, meinen die Befürworter der Idee. Den Beschäftigten bliebe mehr Zeit für Freunde, Familie, Hobbys.
Bei solchen Aussichten ist es nachvollziehbar, dass zahlreiche Beschäftigte nun hoffen, dass Belgien mit dem Modell nur den Auftakt gibt – und Deutschland eines Tages auch nachzieht. Vielleicht ja sogar mit einer richtigen Viertagewoche. Seit Jahren werden die Plädoyers dafür immer wieder und höchst leidenschaftlich vorgebracht, obwohl die Chancen auf die Umsetzung sehr gering sind. Studien aus Island zeigten zwar im Sommer, dass das Konzept dort, in einem Land mit so vielen Einwohnern wie Bochum und gut 2200 Kilometer vom politischen Berlin entfernt, womöglich funktionieren könnte. Im Koalitionsvertrag der Ampel jedoch taucht sie nicht auf.
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Die „richtige“ Viertagewoche mag ein visionäres New-Work-Konzept sein. Und doch passt es weder zur demografischen Situation, noch zum Fachkräftemangel. Eine Viertagewoche für jeden kann sich Deutschland nicht leisten.
Die Babyboomer, die in den geburtenstarken Jahrgängen Mitte der Sechzigerjahre auf die Welt kamen, setzen sich in den kommenden Jahren zur Ruhe. Das allein wäre noch verkraftbar. Viel gravierender ist die Entwicklung, die Experten „Pillenknick“ nennen. Nach den Geburtsjahren der Babyboomer sackte die Geburtenrate ab Ende der Sechziger rapide ab, von 2,5 Kindern pro Frau auf weniger als 1,5 Kinder.
Dem Arbeitsmarkt fehlen deshalb in den kommenden Jahren Millionen Arbeitskräfte, Studien sahen zuletzt den Wohlstand jedes einzelnen gefährdet – und einen Ausweg, für den vieles stimmen muss: Die Migration muss stark steigen, Ältere müssen länger arbeiten, Eltern aus der Teilzeit geholt werden, die Produktivität muss sprunghaft ansteigen. Doch daraus wird wohl nichts: Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters schließt die Bundesregierung aus. Und die Produktivitätsfortschritte fallen in Deutschland seit Dekaden im Trend immer geringer aus. Eine kollektive Verkürzung der Arbeitszeit um einen Tag in der Woche würden Roboter und Co. wohl noch nicht abfedern.
Ökonomen wie Michael Hüther, der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, rechnen damit, dass wir in den kommenden Jahren nicht weniger, sondern sogar mehr arbeiten müssen. Eine richtige Viertagewoche wirkt da realitätsfern.
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