Großraumbüro Selbst Mittelständler richten sich ein wie Google

Adidas Quelle: PR

Moderne Großraumbüros gleichen Spielplätzen oder Freizeitparks. Warum die inzwischen alle gleich aussehen – und wieso die Idee dahinter aus Deutschland stammt.

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Manchmal wundert sich Wolfgang Miazgowski. Etwa wenn ein Kunde mal wieder besonders kunterbunte Wünsche äußert. Egal. Miazgowski ist zu lange im Geschäft, um sich von extravaganten Anliegen verrückt machen zu lassen. Wenn er eine Idee total daneben findet, lehnt er sie ab. Aber meistens verlangt seine Klientel immer das Gleiche: die leicht verrückte Norm.

Miazgowski leitet den Bereich Innenarchitektur bei HPP. Die Düsseldorfer Architektenpartnerschaft hat sich auf den Entwurf von Firmenhauptquartieren spezialisiert. HPP plante Großprojekte wie den BASF-Standort in Ludwigshafen, Gebäude mehrerer Banken und Versicherer, die deutsche Microsoft-Zentrale, das neue Innenleben im Hauptgebäude der Metro-Zentrale. Und in der chinesischen Millionenstadt Hangzhou baut HPP derzeit die neue Zentrale des Internetkonzerns Alibaba.

Seit gut 20 Jahren entwickelt Miazgowski Bürolandschaften, Raumaufteilungen, Möblierungen. Und wundert sich, dass viele Bauherren neuerdings auffällig oft nach dem Immergleichen verlangen, sobald sie von einer Geschäftsreise aus den USA heimkehren: „Büroräume à la Google.“

Rot-orangene Treppe bei Vodafone Quelle: PR

Aber warum machen sich Unternehmen überhaupt so viele Gedanken über die Inneneinrichtung? Laut einer Umfrage des Industrieverbands Büro- und Arbeitswelt (IBA) sind sich 78 Prozent der Arbeitnehmer sicher, dass die Arbeitsplatzgestaltung ihre Produktivität direkt beeinflusst. Und tatsächlich: Wohlbefinden im Büro zu schaffen, das sei für Arbeitgeber ein wichtiger Hebel, um sich beliebt zu machen, sagt Udo-Ernst Haner vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO).

Außerdem erleichterten Rückzugsorte das konzentrierte Arbeiten in der geforderten hohen Geschwindigkeit. Spielmöglichkeiten wiederum regten zum Austausch und zur Bewegung an. Und unterschiedlich gestaltete Arbeitszonen würden die Mannschaft auf neue Gedanken bringen.

Kurzum: Eine schöne Inneneinrichtung zielt darauf ab, dass Mitarbeiter kreativer sind – und womöglich gerne auch mal was länger im Büro bleiben, ohne auf die (Stech-)Uhr zu schauen. „Arbeitgeber können nicht verlangen, dass Mitarbeiter innovationsorientiert und flexibel arbeiten, ihnen dann aber eine Umgebung anbieten, in der sie von 9 bis 17 Uhr brav an einem Tisch im Büro sitzen“, sagt Haner.

Amerikanische IT-Konzerne haben nicht nur zahlreiche Branchen und Geschäftsmodelle aufgemischt. Sie prägen auch die Vorstellung davon, wie das ideale Arbeitsumfeld für moderne Kreativarbeiter heutzutage auszusehen hat.

Die schrillbunten Google-Büros in Hamburg (2001) etwa setzten in Deutschland einen neuen Standard für Innenarchitektur: für die Verwandlung des Büros in eine Art Freizeitpark und Spielplatz – mit Tischtennisplatten, Golfteppichen, Ruhezonen und weiten, offenen Räumen, die dem Inneren eines Hallenbades nachempfunden sind, einer U-Bahn oder einer Kajüte.

Google wird auch seiner angenehmen „Work-Spaces“ wegen als Arbeitgeber geschätzt. Kein Wunder, dass deutsche Unternehmen ebenfalls versuchen, mit eigenwilligen Innenarchitekturen aufzufallen. Dass sie von verrückten Arbeitswelten träumen, von Kletterwänden und Hängematten, von Bällebädern und Konferenzen in der Skigondel. Die Realität fällt am Ende meist ein bisschen braver aus als der kühne Entwurf. Aber auch in neuen deutschen Bürolandschaften steckt eine Idee kalifornischer Start-up-Spirit.

Die Deutsche Telekom hat ihre Konzernzentrale fit gemacht für das, was man „Future Work“ nennt. Es gibt keine Zellenbüros mehr, sondern jede Menge Kreativräume. Im Innenhof stehen „Foodtrucks“ für Kantinenmuffel – und wer sich fit halten will, kann sich ein „Desk Bike“ ausleihen, ein tragbares Ergometer für die Radelrunde am Schreibtisch.

Eines von Miazgowskis jüngsten Projekten war der Entwurf einer neuen Deutschlandzentrale des französischen Kosmetikherstellers L’Oréal. Das 60 Meter hohe Haus heißt Horizon; es wirkt mit seinen hin und her springenden Geschossen und seiner rundum verglasten Fassade modern, aber nicht sonderlich ambitioniert. Im Innern der wie Bauklötze lässig aufeinander gelegten Etagen aber hat es umso mehr zu bieten.

Die Büroflächen sind offen; es gibt kein Einzelbüro, keine Türen und Wände lediglich aus Glas. Alles drückt hier Transparenz und Demokratie aus; selbst die acht Geschäftsführer arbeiten mittendrin. Die Möbel erstrahlen in Weiß und hellen Cremetönen; es gibt Stille-Bereiche und auf zwölf Etagen 81 Thinktanks – kleine, abgeschottete Räume für konzentrierte Arbeit. Dazu eine Bibliothek, mehrere Terrassen und Lounge-Zonen mit Möbeln wie aus einem Metropolen-Café.

Außerdem hat sich der Kosmetikkonzern noch eine Prise Extravaganz in Form zweier Konferenzräume gegönnt. Sie sind der deutsch-französischen Freundschaft gewidmet, schwarz-rot-gold der eine, blau-weiß-rot der andere, und „kommen gerade bei internationalen Geschäftsleuten gut an“, sagt Miazgowski: „So demonstriert das Unternehmen seine Internationalität.“

Ursprünglich habe auch L’Oréal nach dem Vorbild Google eine Skigondel oder auch einen alten VW-Bus integrieren wollen. Doch das fand Miazgowski unpassend. Er riet L’Oréal davon ab – und setzte sich durch.

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