Berliner Museumsinsel, Kölner Dom, Wartburg – klar, alles Weltkulturerbe-Stätten auf der Liste der Unesco. Vom immateriellen Kulturerbe der UN-Organisation für Bildung und Kultur haben dagegen die wenigsten gehört. Um diesen Status bewerben sich unter anderem gemeinsam die rund 12 000 deutschen Volksfeste – und haben sich dafür jetzt Unterstützung aus der Politik geholt.
„Die Formen immateriellen Kulturerbes sind entscheidend von menschlichem Wissen und Können getragen“, so die Definition der Unesco. „Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben und fortwährend neu gestaltet. Zu den Ausdrucksformen gehören etwa Tanz, Theater, Musik und mündliche Überlieferungen wie auch Bräuche, Feste und Handwerkskünste.“
Für die Vorschlagsliste aus Deutschland bewerben sich neben der „gelebten Volksfestkultur“ unter anderem die Brauer mit dem Reinheitsgebot, die Bäcker mit der deutschen Brotkultur und die Tradition des Chorgesangs.
Warum die Volksfestkultur die Anerkennung als Kulturerbe verdient
Gleich eine ganze Reihe von Gründen, warum die Volksfestkultur in Deutschland die Anerkennung als immaterielles Kulturerbe verdient, führen die Unterstützer der Bewerbung ins Feld. Ein Überblick.
Volksfeste sind kulturell tief in der Gesellschaft verwurzelt. Volksfeste und Kirmessen – und dazu gehören auch die Weihnachtsmärkte – sind über Jahrhunderte gewachsene, kulturell und kirchlich beeinflusste Veranstaltungen. So leitet sich das Wort Kirmes beispielsweise ab von Kirchmesse oder Kirchweihe. Und die Verleihung von Stadt- oder Marktrechten steht oft in Verbindung mit Volksfesten (zum Beispiel Oldenburger Kramermarkt anno 1608). Das älteste deutsche Volksfest ist das Lullusfest in Bad Hersfeld (1200 Jahre).
Auf den deutschen Volksfesten wird Brauchtum gepflegt, Gemeinschaft erlebt und die Tradition volksnaher Unterhaltung aufrechterhalten. Volksfeste üben seit Jahrhunderten im Kulturgebiet Deutschlands einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Gesellschaft, der menschlichen Sozialisation und des Tourismus aus und stellen ein einzigartiges und außergewöhnliches Zeugnis einer jahrhundertealten Kulturtradition dar.
Volksfeste sind gelebte Völkerverständigung und ein herausragendes Beispiel für Bräuche, die bedeutsame Abschnitte in der menschlichen Geschichte darstellen. So förderten beispielsweise das Deutsch-Französische und das Deutsch-Amerikanische Volksfest in Berlin nach dem Ende des zweiten Weltkrieges die Wiederannäherung der Völker. Volksfeste sind eine kulturelle Ausdrucksform (wie Sprache, Handwerk oder Musik), die von Generation zu Generation weitergegeben und immer wieder neu gestaltet wird.
Volksfeste sind Besuchermagneten und bedeutender Wirtschaftsfaktor. Volksfeste sind die Werbe-Aushängeschilder der Städte und Gemeinden. Jedes Jahr locken sie Millionen Besucher aus nah und fern in die deutschen Städte und Regionen. Davon profitieren auch der Einzelhandel, Hotels, Gaststätten, Taxibetriebe und der öffentliche Nahverkehr.
Volksfeste sind Orte des sozialen Miteinanders. Volksfeste sind Orte der Integration und Identifikation („mein Volksfest“). Hier kommen Menschen von jung bis alt, von unterschiedlicher Herkunft und aus unterschiedlichen sozialen Schichten zusammen. Ihre soziale Funktion wird uns auch von den deutschen Gerichten, allen voran dem Bundesverwaltungsgericht (2009) bestätigt. Sie heben die Ausrichtung traditioneller Volksfeste und Weihnachtsmärkte als ein Stück Daseinsvorsorge für die Bürger hervor.
Die Schausteller sind seit jeher die Träger der deutschen Volksfestkultur. Ob Imbiss, Fahrgeschäft oder Schaubude: Schausteller passen den Auftritt ihrer Geschäfte seit Jahrhunderten dem spezifischen Charakter des jeweiligen Volksfestes stets von Neuem an und sorgen so für den richtigen Lokalkolorit und die passende Atmosphäre – vom Nürnberger Frühlingsfest bis zum Dresdner Weihnachtsmarkt. Die Schausteller geben ihr Wissen um die Bespielung der Volksfeste von Generation zu Generation weiter und tragen damit maßgeblich zum Erhalt einer lebendigen Volksfestkultur bei. Dieses Wissen gilt es zu schützen, denn es ist nicht verschriftlicht.
Mit ihren Darbietungen fördern die Schausteller den sozialen und kulturellen Austausch über nationale Grenzen und sprachliche Barrieren hinweg. Sie entführen die Besucher in eine Traumwelt und leben den europäischen Gedanken der Völkerverständigung. Sie handeln zukunftsorientiert, bewerben ihre Volksfeste in den neuen Medien und binden Veranstalter und Besucher interaktiv (zum Beispiel auf Facebook) mit ein.
Die gelebte deutsche Volksfestkultur ist einmalig auf der Welt. Die Verknüpfung von Tradition und Moderne und ihr ständiger Wandel machen die deutsche Volksfestkultur so lebendig. Die Vielfältigkeit der Volksfeste spiegelt sich in ihren regional unterschiedlichen Bezeichnungen wider: Die einen sagen „Kirmes“ oder „Kerwe“, die anderen „Messe“ und wieder andere „Markt“. In München zieht es die Besucher auf die „Wiesn“, in Stuttgart auf den „Wasen“, in Franken auf den „Plan“ und in Oberbayern auf die „Dult“. Im Elsass ist es der „Bungert“ und in Norddeutschland heißt die Messe „Brink“. In ihrer Vielfältigkeit repräsentieren die Volksfeste ganz Deutschland und seine Bevölkerung, nicht nur Teile davon. Das unterscheidet sie von anderen Segmenten im Freizeitsektor und macht sie schützenswert.
Die Anerkennung der Volksfeste als immaterielles Kulturerbe unterstützt den Fortbestand der Volksfeste. Viele kleine und mittlere Volksfeste und Stadtteilkirmessen mit langer Geschichte kämpfen heute ums Überleben. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Konkurrenz im Freizeitsektor, ein verändertes Freizeitverhalten (mehr Indoor, weniger Outdoor), aber auch ein mangelndes Bewusstsein und nachlässige Behandlung der Feste durch die Veranstalter. Vielerorts arbeiten Schausteller und Kommunen bereits eng zusammen, teilen sich Kosten und erarbeiten neue Marketingkonzepte, um das Fortbestehen der Volksfeste für die Zukunft zu sichern.
Mit der Aufnahme der gelebten deutschen Volksfestkultur in die „Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ will der DSB die lebendige Volksfestkultur aufrechterhalten. Die Anerkennung der Volksfeste als immaterielles Kulturerbe hilft Politik, Veranstaltern und Schaustellern, die vielen traditionsreichen Volksfeste hierzulande durch kulturpolitische Maßnahmen zu schützen und damit den Volksfesttourismus und die Wirtschaft in den Regionen zu fördern. Denn die Aufnahme kultureller Ausdrucksformen, Bräuche und Traditionen in die Liste des immateriellen Kulturerbes hält diese auch in Zukunft lebendig.
Der Deutsche Schaustellerbund (DSB) will nun mit Unterstützung aus der Politik punkten. Der Verband bewegte eine Vielzahl von Bundestagsabgeordneten und zwei Bundesministerinnen dazu, sich vor der Kamera über die Bedeutung von Jahrmärkten, Kirmessen und Weihnachtsmärkten zu äußern.
Die Videobotschaften sollen die gesellschaftliche Verankerung der Volksfeste sowie ihre Bedeutung für den Wirtschafts- und Tourismusstandort Deutschland deutlich machen. Immerhin setzt die Branche mit knapp 5000 Schaustellerunternehmen nach DSB-Schätzung rund 3,4 Milliarden Euro pro Jahr um und beschäftigt gut 45 000 Mitarbeiter plus Saison- und Aushilfskräfte.
In ihrer Videobotschaft lobt Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales (SPD): „Volksfeste haben eine wirtschaftlich große Bedeutung, spielen für den Tourismus eine große Rolle und haben etwas identitätsstiftendes für die gesamte Region. Volksfeste gehören gewissermaßen zur DNA einer Region.“
Ähnlich argumentiert ihre Parteigenossin, Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig: „Volksfeste gehören zur Kultur in Deutschland. Sie sind ein Anziehungspunkt für die Einheimischen und für die Gäste, die zu uns kommen. Sie sind immer ein Ausdruck von Freundlichkeit und Gastfreundschaft. Was will man mehr in einem weltoffenen Land?“
Und die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering hält Volksfeste für „unverzichtbar, denn sie sind etwas, das uns auszeichnet gegenüber allen Ländern in der Welt.
Wie geht es jetzt weiter? Zunächst entscheidet ein Expertenkomitee bis Oktober/November, welche Bewerber in das sogenannte „Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes“ aufgenommen werden. Dieser Erfolg auf nationaler Ebene ist die Voraussetzung für die Aufnahme in die „Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes nach der Unesco Konvention“ auf internationaler Ebene. Eine Entscheidung hierzu wird laut der Deutschen Unesco-Kommission erst 2015/2016 fallen.
Die Videobotschaften der Unterstützer
Prominente Unterstützung: In kurzen Videobotschaften erklären Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig und 43 Bundestagsabgeordnete aus verschiedenen Regionen Deutschlands, welche Bedeutung die Volksfeste in Deutschland für sie haben.
DSB-Kurzfilm 1: (U.a. Andrea Nahles, Michelle Münteferin, Winfried Lorenz)
DSB-Kurzfilm 2: (U.a. Alois Rainer, Ingrid Arndt-Brauer, Daniela Ludwig)
DSB-Kurzfilm 3: (U.a. Manuela Schwesig, Arno Klare, Heiko Schmelzle)
DSB-Kurzfilm 4 (U.a. Carsten Müller, Johannes Steiniger, Thomas Stritzl)