Werner knallhart
Quelle: imago images

Food-Trend Austern: Die einen schlürfen, die anderen würgen

Plötzlich schlabbert die Generation Z rohe Muscheln. Als den kleinen Luxus – statt Eigentumswohnung. Wie sollen wir das denn nun schon wieder finden? Spoiler: gut!

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Jetzt also Austern. Vorgestern saß ich in einem Restaurant, da versammelte sich nebenan am Tisch eine Vierergruppe Männer um die Mitte Zwanzig. Sie bestellten Aperol Spritz, Leitungswasser, eine riesige Steakplatte für vier Personen und zur Vorspeise eine eisüberhäufte Etagere Austern.

Nun war ich ja mal gespannt: Wie isst die Gen Z Austern? So eine Bande von Haudegen, die man früher doch eher bei Vapiano mit einem Knäuel Vollkornnudeln auf die anderen wartend vermutet hätte. Ich rechnete mit einigem Mutproben-Hohoho und Gekratze und Gepule und ein paar kichernd geknipsten insta-tauglichen Fotos von Schlürfgesichtern mit anschließendem Ganzkörper-Geschüttel nach dem Abschlucken. Doch die überwiegend bärtigen Männer waren beim Austernmahl derart ins Gespräch vertieft, dass ich zumindest aus dem Augenwinkel beobachtend nicht sicher war, ob sie überhaupt mal kurz auf den Geschmack der Tiere geachtet hatten. So wie man sonst beim Quatschen nebenher ein paar Pommes pikt.

Ich raunte meiner Begleitung hinüber: „Das hat System.“ Austern war für die Herrschaften normal.

Da habe ich mal gegoogelt. Und siehe da: Das hat tatsächlich System. Die Gen Z entdeckt die Auster. Teilweise klingt es so, als sei die lebend geknackte Edelmuschel der Trost für alle Nöte der aktuellen Zeit:

Zum einen ist sie zumindest in deutschen Landen der Inbegriff von Luxus, von Dekadenz. Kostet so ein Glibber-Schluck aus der Austernschale selbst in hippen Markthallen im Stehen geschlürft gut und gerne 4 Euro 50. Dass sie die guten Austern an der französischen Atlantikküste oft im Dutzend viel frischer für 50 Cent pro Stück bekämen, schmälert offenbar nicht die Wirkung als Statussymbol zum Start ins Wochenende.

Mit einem Glas Crémant oder deutschem Winzersekt statt Champagner (gleiches Prinzip Flaschengärung, nur mit weniger Image-Schnickschnack und deshalb 70 Prozent billiger) kommt man so an einem Samstagmittag auf Lifestyle-Kosten von vielleicht 25 Euro pro Person. Für das Geld kriegen Sie keinen Porsche.

Die Auster beweist: Uns geht es trotz allem gut. Ganz ohne Aussicht auf Eigentumswohnung oder eigenen Garten.

Die Auster: Mehr als ein Statussymbol

Aber es geht noch symbolhafter: Das wird Ihnen klar, wenn Sie eine geöffnete Auster einmal genauer betrachten. Das zerschnittene Tier sieht einer Vulva nicht ganz unähnlich. Und schwupp ist sie angeblich Ikone des Feminismus. Gleichzeitig kann die Auster mehrfach ihr Geschlecht ändern, was ja eigentlich genau dem entspricht, was die Bundesregierung gerade im Personenstandsrecht anstößt: Bloß nicht für immer in eine Schublade stecken lassen.

Die Auster ist einfach rundum ein tolles Tier! Wobei: Ist die denn gesund? Ja, Leute, anschnallen: Auch hier lässt sich die Auster nicht lumpen und wartet da in ihrem kleinen scharfgratigen Gehäuse auf mit wenig Kalorien, wenig Fett, recht viel Protein, vielen Mineralien und Vitaminen.

Bleibt die eine, allerletzte Frage: Wer isst gerne lebende Tiere? Die Gen Z hat sich da nicht so. Sie beißt Austern mit immer mehr Wonne tot. Bei hastigen Schluckern erledigt den Rest die Magensäure.

Finden Sie das ordinär? Ich habe da umgedacht. Früher dachte ich: Es kann mir doch kein Mensch erzählen, dass ihm dieser schleimige Glibberbatzen mit Meerwasseraroma schmeckt. Heute denke ich: Die Twens finden die Austern immer noch nicht lecker. Spritzen Zitrone rein, kippen Vinaigrette drüber, was das eigentliche feine Aroma übertüncht wie Ketchup auf Seezunge, halten Brot und Crémant parat und hoffen, die ganze Zeremonie nicht eklig zu finden. Aber ich finde es nicht mehr ordinär.

Denn immerhin werden Austern nachhaltig „angebaut“. Auf Austernbänken. Da wird kein Meer leergefischt, da schrappt kein Netz über den Meeresboden und nimmt alles mit, was sich nicht schnell genug verbuddeln kann. Die Tierschutzorganisation WWF hält den Konsum von Austern bis auf Weiteres für unbedenklich und gibt grünes Licht.

Image, Wirkung, Nährwerte, Ökobilanz. Alles, alles an der Auster stimmt. Der Rest ist Geschmacksache. Heute sehe ich auf Insta einen Ausschnitt aus einer Sendung des Senders Vox. Da sitzt ein Pärchen auf einer Terrasse mit Blick auf den Eiffelturm und sie reicht ihm Austern. Er will ihr den Gefallen tun, mitzuschlemmen, doch sein Brechreiz entzaubert alle Romantik. Würgend fährt er immer wieder zusammen, bis sie ihm lachend die Auster entreißt. Aus Liebe!

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Irgendwann wird sich die Auster als invasive Art auf unseren Speiseplänen ausgedehnt haben. Erst bei der Gen Z, dann bei uns allen. Roh, gedünstet, eingelegt, gebraten. Und wenn irgendwann keiner mehr würgen muss, sobald sich die schlabbrige Auster seinen Lippen nähert, dann – ja, dann sprechen wir nochmal über die großen Vorteile von Insekten auf unseren Tellern. Ich bin mir ziemlich sicher: Die kommen als Nächstes. In Schwärmen!

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