Börsensegment Scale Nachfolger des Neuen Markts nimmt Fahrt auf

Bulle und Bär in modern: Das noch junge Börsensegment Scale lockt schnell wachsende Unternehmen an. Quelle: Bloomberg

Das Börsensegment Scale für aufstrebende Jungunternehmen ist in seinem ersten Jahr deutlich gewachsen. Für Privatanleger ist das Pflaster allerdings zu heiß.

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Wer sich von den Fähigkeiten des Scale-Unternehmens Daldrup überzeugen will, kann dies tief im Wald nahe Bingen am Rhein tun. Dort hat ein Spezialtrupp im Spätsommer 2017 in kommunalem Auftrag einen neuen Trinkwasserbrunnen rund 120 Meter in die Tiefe gebohrt. Zwei Mann reichen, um das dafür nötige schwere Gerät zu bedienen. Überschaubare 100.000 Euro kostet ein solches Projekt. Daldrup kommt aus dem bodenständigen Bohrgeschäft, wachsen will das Unternehmen aber vor allem mit Kraftwerken und Heizwerken wie sie in Neuried/Puchheim bei München geplant sind. Dafür hat Daldrup gerade über eine Kapitalerhöhung 6,4 Millionen Euro eingesammelt.

Daldrup notiert seit dem Start von Scale in dem von der Börse eingerichteten Marktsegment extra für junge und schnell wachsende Unternehmen. Scale hat den in den wilden Zeiten des Neuen Markts ziemlich in Verruf geratenen Entry Standard abgelöst und enthält aktuell 49 Aktien sowie 15 Unternehmensanleihen. Das ist ein für die Verbreitung von Aktien wichtiger Impuls angesichts der Tatsache, dass die Zahl der börsennotierten deutschen Unternehmen laut Zahlen des Deutschen Aktieninstituts seit 2010 um 30 Prozent auf 407 Werte gesunken ist.

Anders als am Neuen Markt sollen bei Scale keine windigen Geschäftsmodelle mehr aufs Parkett drängen, deshalb hat die Deutsche Börse bewusst Hürden und Überwachungen eingebaut. Sie lässt nur Unternehmen zu, die mindestens zwei Jahre alt sind und zehn Millionen Euro Jahresumsatz oder ein positives Ergebnis erzielen. Der Börsenwert muss mindestens bei 30 Millionen Euro liegen und 20 Prozent der Aktien müssen in Streubesitz verteilt sein, damit Inhaber größerer Anteilspakete den Markt nicht aushebeln können.

Scale soll das Interesse von Anlegern und Investoren an jungen Wachstumsunternehmen steigern und vielleicht auch das am Neuen Markt erlittene nationale Trauma heilen, als um die Jahrtausendwende viele deutsche Privatanleger ihr Geld in zweifelhaften Internet- und Biotech-Aktien versenkten und danach der Börse für immer frustriert den Rücken kehrten. Bei Scale steht also für die Aktienkultur einiges auf dem Spiel.

Scale mit doppeltem Umsatz und fünf IPOs

Ein Jahr nach dem Start sieht es so aus, als könnte das gelingen. So schnellte der Handel mit den im neuen Segment gelisteten Aktien laut aktueller Zahlen der Deutschen Börse in die Höhe: Von März bis Dezember 2017 wurden Scale-Aktien im Marktwert von 2,8 Milliarden Euro gehandelt, während im Vorgängersegment Entry Standard im gleichen Zeitraum des Vorjahrs nur 1,2 Milliarden Euro umgesetzt wurden – ein Plus von 133 Prozent.

Das spricht tatsächlich für steigendes Interesse, schließlich wurde im Jahr 2017 wegen der stetig nach oben strebenden Kurse weniger gehandelt als in normalen Börsenjahren. Zudem konnte Scale neue Unternehmen an die Börse locken. Fünf Emittenten gelang im neu gegründeten Segment der Sprung aufs Parkett, IBU Tec (Chemie), Noratis (Immobilien), Mynaric (Laserfunk), Naga (Fintech) und Stemmer (Optik).

Im alten Entry Standard dagegen hatte 2016 mit der Fintech-Bank MyBucks nur noch ein Kandidat den Börsengang gewagt, bei der im gleichen Jahr aufgenommenen Corestate handelte es sich strenggenommen um keinen IPO, sondern um ein Listing, bei dem kein Kapital von Anlegern eingesammelt wurde.

Sprungbrett für Jungunternehmen

Kapitalmarktexperten sehen Scale vor allem als Börsen-Sprungbrett für Jungunternehmen auf der Suche nach institutionellem Kapital. Privatanlegern dagegen raten sie zur Zurückhaltung. „Für Unternehmen sollte Scale nur eine Zwischenstation auf dem Weg in den Prime Standard sein“, sagt Christoph Demuth, General Manager und Head of Corporate Finance bei der auf kleine und mittlere Unternehmen spezialisierten Frankfurter Investmentbank equinet. Die Idee, kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt und zu Investoren zu erleichtern, sei zu loben. Allerdings müsse sich erst noch zeigen, ob dieses Ziel auch nachhaltig erreicht werden kann. „Trotz aller Auflagen bleibt Scale aus Investorensicht auch ein Risikosegment, das für klassische Privatanleger weniger geeignet ist, weil die Liquidität und Größe der Scale-Werte häufig überschaubar und eine faire Bewertung durch den Kapitalmarkt nicht immer gegeben ist“, sagt Demuth.

Wie schnell Anlegern bei Scale-Werten schwindelig werden kann, zeigte der Börsengang des Fintech-Unternehmens Naga Group im Juli 2017. Die Kurskapriolen unmittelbar nach dem Start erinnerten an die wilden Zeiten des Neuen Markts und riefen auch die Finanzaufsicht Bafin auf den Plan. Der Schwerpunkt des Geschäftsmodells scheint bei Naga noch nicht ganz festzustehen. Zunächst wollte Naga vor allem den Börsenhandel im Stil eines sozialen Netzwerks anbieten, sogenanntes Social Trading. Dann stand plötzlich das Projekt einer digitalen Geldbörse für Cyberwährungen auf dem Plan, was im Bitcoin-Boom des vergangenen Jahres für viel Aufmerksamkeit sorgte. Für Jungunternehmen sind solche Balanceakte nicht ungewöhnlich, langfristig orientierte Anleger dürfte das aber irritieren.

„Unternehmen mit geringerer Marktkapitalisierung haben es erfahrungsgemäß schwerer Investoren zu finden.“, sagt Dietmar Schieber, Leiter Capital Market Advisory bei der Bank Oddo BHF AG. Nennenswerte Nachfrage bestehe vor allem bei kleineren institutionellen Anlegern, wie kleinen Vermögensverwaltern. Für Privatanleger gestaltete Zertifikate auf den Scale-Index werde es von großen Anbietern wegen der geringen Liquidität der Aktien wohl nicht geben. Falls doch, stünde dafür seit Februar ein von der Börse geführter Index der 30 meist gehandelten Scale-Unternehmen zur Verfügung.

Hans-Werner Grunow vom Finanzierungsberatungsunternehmen capmarcon sieht Scale als einen Schritt in die richtige Richtung. Sehr skeptisch ist der Kapitalmarktexperte allerdings mit Blick auf die in dem Segment notierenden Unternehmensanleihen. Hier seien die Zutrittshürden nicht wirklich geeignet, schwache Kandidaten vom Markt abzuhalten.

80.000 Research-Downloads

Grunow hatte anlässlich des Scale-Starts vor einem Jahr spektakuläre Pleite-Anleihen aus dem umstrittenen Mittelstandssegment Bond M der Stuttgarter Börse überprüft, und siehe da, zwölf der 17 Papiere oder 1,1 der rund 1,5 Milliarden Euro hätten auch in Scale emittiert werden können, wären also vom Schutzfilter des neuen Börsensegments nicht ausgesiebt worden. Darunter wären die mittlerweile insolventen Skandalunternehmen wie German Pellets, KTG Agrar oder Windreich gewesen.

Scale-Mitglieder müssen sich beim Börsenstart und anschließend mindestens jährlich von den beiden Researchhäusern Edison und Morningstar analysieren lassen. Zudem werden sie ständig von einem Begleiter beaufsichtigt, der Dienstleister mit Kapitalmarkterfahrung sein muss. Die obligatorische Begleitung der Scale-Unternehmen durch Kapitalmarktdienstleister ist ein gutes Geschäft für die bei der Börse akkreditierten Beratungsunternehmen und Banken wie die Investmentbanken Oddo Seydler und equinet, die Anwaltskanzlei Hogan Lovells oder ähnliche. Laut aktuellen Zahlen wurden die auf den Internetseiten der Deutschen Börse bereitgestellten Unternehmensberichte von Edison 80.000 mal heruntergeladen.

Bei einem der bei Scale akkreditierten Kapitalmarktpartner handelte es sich im wörtlichen Sinn um keine ganz so sichere Bank. Die auf kleine und mittlere Unternehmen spezialisierte Dero Bank aus München ist pleite, weil sie sich wohl mit Steuertricks verzettelt hat. Dero hat Kapitalmarkttransaktionen von Scale-Unternehmen betreut, wie eine Kapitalerhöhung bei FinLab, ein Schuldscheindarleihen von Blue Cap oder Wahldividenden bei Mensch + Maschine. Auch stand Dero den Scale-Werten EQS und Heliad als Kapitalmarktpartner zur Seite. Trotz des Abgangs von Dero ist die Zahl der Kapitalmarktpartner von ursprünglich 34 auf mittlerweile 67 gestiegen.

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