Geldanlage Wie Ihr Depot den Börsencrash überlebt

Die Kursgewinne der letzten zwei Jahre sind ausradiert, die Lage an den Märkten erinnert frappierend an den Horror-Crash nach der Lehman-Pleite im Spätsommer 2008. Warum Anleger trotzdem nicht auf Aktien verzichten sollten, mit welchem Anlagemix sie am besten durch die nächsten Monate kommen.

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„Unkalkulierbare Börsen“

Goldbarren Quelle: dpa

Gold gilt seit Jahrhunderten als Krisenanker. Der Goldpreis stieg seit Anfang Mai in Euro um rund 20 Prozent. Die Börse aber, die zuletzt zehn Tage in Folge mit teils drastischen Verlusten aufwartete, hat die Gewinne vieler Anleger aus den letzten zwei Jahren ausradiert. Der Dax verlor von seinem Hoch Anfang Mai 2011 bei rund 7500 Punkten mehr als 20 Prozent, der Dow Jones in New York 15 Prozent.

„Beängstigende Parallelen zu den Monaten rund um den Lehman-Crash 2007 und 2008“, sieht der Vermögensverwalter Dieter Helmle. Wie damals hat der Dax zuletzt ein dreifaches Hoch markiert. Ganz so tief wie 2002 werde der Dax wohl dennoch nicht fallen, hofft Helmle, anders als damals seien die Versicherungen zuletzt kaum noch am Aktienmarkt aktiv gewesen, sie zumindest fielen als Großverkäufer also weg. Dies sei „die schwierigste Börsenphase meines Lebens“, gesteht Jens Ehrhardt, Gründer von DJE Kapital, einem der größten bankenunabhängigen Kapitalanlageunternehmen Europas und einer der erfahrensten Anleger. „Es ist alles so unkalkulierbar geworden“, klagt Ehrhardt, „von den Bewertungen her müsste die Börse eigentlich durchstarten, aber durch die Nullzinspolitik der Notenbanken sind die Preise grotesk verzerrt.“

Wenn schon die alten Hasen des Geschäfts nicht mehr durchblicken, wen wundert es da, dass die meisten Privatanleger der Börse längst den Rücken gekehrt haben. Dabei wäre gerade jetzt konsequentes Handeln gefordert. Denn die kommenden Monate werden aufregend und unsicher bleiben. „Der Markt hat seinen endgültigen Boden noch nicht gefunden; für eine Entwarnung ist es noch zu früh“, sagt Helmle. Warum Anleger trotzdem nicht auf Aktien verzichten sollten, wie sie jetzt sukzessive ein stabiles Depot aufbauen.

„Es war ein Crash mit Ansage“, sagt Graham Secker, Aktienstratege bei Morgan Stanley in London. Was jetzt Anleger zittern lässt, ist schon lange bekannt: Europa und die USA haben ihre Schuldenprobleme nicht im Griff. Die Herabsetzung der Kreditwürdigkeit der USA durch die Ratingagentur Standard & Poor’s vom vorvergangenen Freitag ließ die Krise eskalieren.

Konjunkturängste

Nun greift die Angst um sich, die USA könnten am Zinsdienst ersticken, die größte Volkswirtschaft der Erde in die Rezession abgleiten. Sparprogramme, die Staaten auflegen, um ihre Schulden zumindest nicht weiter ausufern zu lassen, „sind natürlich Gift für die Konjunktur“, sagt Joachim Paul Schäfer vom Vermögensverwalter PSM. „Die Weltkonjunktur hängt am seidenen Faden“, fürchtet Jens Ehrhardt, „einzig die Schwellenländer haben noch vernünftiges Wachstum.“ Das sind keine guten Aussichten für Aktien in den kommenden Monaten.

Heftigkeit und Ausmaß des Crashs erschüttern selbst hartgesottene Börsenprofis. „Wie ein Stein, der durch dünne Papierwände schlägt“ habe der Dax Unterstützungslinien gerissen, sagt Alexander Seibold, Vermögensverwalter am Tegernsee. Computergestützte Handelsprogramme, die inzwischen 50 bis 80 Prozent des weltweiten Aktienhandels abwickeln, haben die Kursverluste verstärkt. Das Problem: Viele der Programme ticken sehr ähnlich. „Am Anfang der Kursstürze stand die Angst vor der Rezession, die die Märkte nach unten getrieben hat. Trendfolgemodelle haben den Kurssturz dann verstärkt“, sagt Christoph Mast, Chef des Aktienhandels bei RCM Allianz Global Investors. Gefährlich ist insbesondere der Hochfrequenzhandel, bei dem nur noch mit mathematischen Algorithmen gefütterte Maschinen entscheiden. „Algo-Trader haben zum Ausverkauf beigetragen“, bestätigt ein Händler aus London.

Ausschnitt aus der Dax-Kurve Quelle: dpa

„Die Computer verselbstständigen sich“, sagt ein Börsenaufseher. Ökonomen der US-Universität Yale fanden heraus, dass Kursausschläge mit steigendem Marktanteil des Hochfrequenzhandels zunahmen. „Stark ist der Zusammenhang in Zeiten hoher Marktunsicherheit“, schreiben die US-Ökonomen.

Computerprogramme prüfen zum Beispiel, ob bei Aktien wichtige Schwellen durchbrochen werden. Viele Marktteilnehmer orientieren sich an dem gleitenden Durchschnitt aus den Kursen der jeweils vergangenen 200 Handelstage, der sogenannten 200-Tage-Linie. Durchbricht eine Aktie diese Linie, verkaufen die Computer dann zum Beispiel die Aktie.

Klaus Kaldemorgen, Top-Fondsmanager bei der Deutsche-Bank-Tochter DWS, macht auch das Risikomanagement der Großanleger für die zum Teil irrationalen Kurseinbrüche verantwortlich: „Wird es turbulent, zählen Unternehmensdaten nicht. Dann regiert der Risikomanager“. So kam es etwa, dass der Dax am Mittwoch rund 120 Punkte höher eröffnete, als er am Vortag schloss. Nach 15 Uhr aber abrupt drehte und plötzlich wieder rund 300 Punkte im Minus lag.

Wo ist der Boden?

„Im Moment fliehen Anleger einfach aus dem Risiko, verkaufen alles, was unsicher ist und volatil, also Aktien, vor allem Zykliker und Nebenwerte“, sagt Schäfer von PSM. „Natürlich wird in so einer Situation viel Qualität verkauft, und natürlich ist der Markt überverkauft, aber das heißt nicht, dass nicht auch die guten Aktien noch weiter fallen können – dazu müsste sich die Unsicherheit zumindest abschwächen.“

Davon ist aber noch nichts zu erkennen, obwohl die meisten Unternehmen nach wie vor blendend verdienen und ihre Bilanzen – im Gegensatz zu denen der Staaten – solide sind. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der für 2012 erwarteten Gewinne der Dax-Firmen liegt bei 7,5 – sensationell billig.

Doch „vom KGV sollten Anleger sich derzeit nicht blenden lassen – es kann sich fast über Nacht ändern, wenn die Konjunktur kippt“, warnt der Berliner Fondsmanager Jürgen Dickemann. Das KGV basiert auf Gewinnschätzungen der Analysten; die extrapolieren in der Regel die nähere Vergangenheit in die Zukunft. „Weil die letzten Quartale oft sehr gut waren, sind die KGVs niedrig – gerade bei Zyklikern wie Auto, Maschinenbau oder Logistik ist das aber eher eine Warnung, denn ein Kaufsignal“, findet Dickemann.

Ben Bernanke Quelle: REUTERS

Zykliker, also konjunkturabhängige Aktien, waren in der Vergangenheit eher dann kaufenswert, wenn das KGV hoch war, weil eine Rezession sich dem Ende zuneigte und die jeweils letzten Quartale schwach waren. Derzeit ist das Gegenteil der Fall: Der Boom scheint im Sommer seinen Zenit erreicht zu haben, die zyklischen Werte haben niedrige Kurs-Gewinn-Verhältnisse.

Frische Dosis

Nun mehren sich die Anzeichen, dass erneut die Notenbanken den Karren aus dem Dreck ziehen sollen. Er rechne „fest mit einem neuen Gelddruckprogramm der US-Notenbank noch in diesem Herbst“, sagt Investor Marc Faber. Die Europäische Zentralbank kauft bereits Staatsanleihen Italiens und Spaniens, um deren Kurse zu stützen und die Renditen zu drücken. Kauft die Notenbank Staatspapiere, ist dies nichts anderes als Gelddrucken. Ob das den Börsen noch hilft, ist zweifelhaft: „Die Börsen sind nicht nur abhängig wie ein Junkie vom ständigen frischen Geld, sie brauchen auch eine immer höhere Dosis“, urteilt Seibold. Brachte das erste Liquiditätsprogramm der US-Notenbank (QE1) 2009 noch ein Kursplus von 21 Prozent an den US-Börsen, so ließ die Wirkung des zweiten schon nach einer Börsen-Erholung von zwölf Prozent nach.

Die konjunkturellen Probleme hat das Gelddrucken aber nicht gelöst. „Das Geld fließt in die Schwellenländer, weil dort die Renditechancen besser sind, das Wachstum höher ist und die Staatsverschuldung geringer“, sagt Andreas Utermann, Investmentchef bei RCM Allianz Global Investors, „dadurch steigen in den Schwellenländern die Preise, die dortige Inflation wird angeheizt.“ Folge: Die Staaten sehen sich gezwungen, ihr Geld teurer und knapper zu machen und Investitionen zu bremsen, um die Inflation zu bekämpfen, allen voran China. Das wiederum drückt auf die weltweite Nachfrage, auch nach deutschen Exportgütern.

Bei Erholung raus!

Weil die Konjunktur sich abschwächt und eine Lösung der Schuldenprobleme nicht erkennbar ist, verbieten sich zunächst großangelegte Aktienkäufe. „Zu erwarten ist eine Zitterbörse mit starken Schwankungen nach oben und unten – die Zwischenrallys können Anleger ausnutzen, doch einfach ist das nicht“, warnt Schäfer.

„Woher soll die Wende zum Guten kommen?“, fragt Helmle. „Die Gewinnmargen der Unternehmen sind auf Rekordhoch und kaum noch steigerbar; jetzt dreht auch noch der Wind. Konjunkturprogramme sind ausgelaufen, nun folgt die 180-Grad-Wende – die Staaten sparen in den Abschwung hinein.“ Dass gerade bei den Zyklikern der Boden noch nicht erreicht ist, bewies am Mittwoch der Stahlhändler KlöCo, der nach einem enttäuschenden Ausblick über 25 Prozent verlor – obwohl die Aktie schon in den zehn Crashtagen davor schwer gelitten hatte.

Logo von Nestlé Quelle: dpa

„Hochsensible Konjunkturwerte jetzt billig einsammeln zu wollen ist nur etwas für Hasardeure“, meint Seibold, „Anleger sollten sie lieber an starken Tagen verkaufen und an schwachen Tagen Qualität einkaufen.“ Denn ganz auf Aktien zu verzichten ist wegen der drohenden Gelddruck-Programme keine Option. Bargeld und Staatsanleihen sind langfristig von höherer Inflation bedroht. Dividendenstarke Aktien weltweit operierender Konzerne, die gut geführt sind und die Produkte herstellen, die immer gebraucht werden, bieten wohl noch den besten Schutz. „Mit einem guten Mix aus Anleihen, Edelmetall, Aktien und Bargeld können Anleger Kursstürze relativ entspannt sehen“, sagt Faber. Die Kursgewinne des einen Depotteils gleichen die Verluste der anderen aus.

Aktien, die die oben genannten Kriterien erfüllen, gibt es immer, etwa die der Schweizer Nestlé, die seit mehr als 20 Jahren Jahr für Jahr die Dividende erhöht, oder die des weltgrößten Goldminenbetreibers Barrick Gold. Auch bei Anleihen sollten Anleger auf Qualität achten, findet Schäfer, und nicht „auf ein paar Punkte mehr Rendite schielen und sich dafür ein unkalkulierbares Risiko einkaufen“.

Vermögen verteilen

Wie sich ein optimal aufgebautes Depot seit Sommer 2010 entwickelt hat. Wie Anleger jetzt reagieren sollten, um zur optimalen Aufteilung zurückzukehren

Für den Anlageerfolg ist es zudem wichtig, sich nicht zu stark von der jeweils herrschenden Börsenstimmung anstecken zu lassen. „Private Anleger kaufen Aktien meist erst, wenn sie seit ein paar Monaten gestiegen sind, und sie verkaufen, wenn sie schon eine Weile gefallen sind“, sagt Andreas Beck vom Institut für Vermögensaufbau. Damit Anleger nicht Kursstürze aussitzen, Kursanstiege aber verpassen oder ganze Anlageklassen links liegenlassen, sind fixe Depotaufteilungen hilfreich.

So ist es bei der langfristigen Geldanlage sinnvoll, etwa je 30 Prozent des liquiden Vermögens in Aktien und Unternehmensanleihen zu investieren, 25 Prozent in Gold und 15 Prozent auf dem Tagesgeldkonto zu halten. Investoren, die ihr Depot im Juli 2009 entsprechend der Musteraufteilung angelegt haben, haben ihr Vermögen um 31 Prozent gesteigert. Während der Dax in diesem Zeitraum nur um 18 Prozent zulegte, stieg der Goldpreis in Euro um 86 Prozent. Wer das Depot erst im Sommer 2010 auf die Musteraufteilung umgestellt hat, liegt aktuell noch acht Prozent vorn – trotz Crash.

Wichtig ist, dass Anleger nach einer festen Zeitspanne – beispielsweise alle sechs Monate – die Depotanteile austarieren: Ist der Goldpreis gestiegen, die Börse aber gefallen, verkauft der Anleger einen Teil seines Goldes und kauft vom Erlös Aktien (siehe Grafik). Das ist psychologisch zwar nicht einfach, aber so ist man davor geschützt, sich von Euphorie oder Panik leiten zu lassen. Wer die Verteilung auf Vermögensklassen nicht selbst übernehmen will, setzt auf gemischte Fonds, die auf Aktien, Anleihen, Gold und Derivate streuen. Beim Flossbach & von Storch Multiple Opportunities etwa hat dies gut funktioniert. Andere, wie der Warburg Daxtrend, haben rechtzeitig Cash aufgebaut.

Gewinne sichern

Eine breite Depotstreuung ist die Basis. Anleger können daneben aber auch mit Shortzertifikaten auf fallende Kurse spekulieren oder Aktienbestände sichern. Die Anfang August vorgestellte Absicherungsstrategie ging voll auf. Der Kurs des empfohlenen Zertifikats auf den Dax hat sich verdreifacht, seit Erstempfehlung im Mai sogar fast versechsfacht. Anleger, die nur einen geringen Teil ihres Depotwerts ins Shortzertifikat investierten, glichen die Kursverluste ihrer Aktien so mehr als aus.

Besonders interessant ist die Absicherung über Shortzertifikate, wenn Anleger vor 2009 gekaufte Aktien halten. Verkaufen sie diese mit Gewinn, zahlen sie darauf keine Abgeltungsteuer. Ein zwischenzeitlicher Verkauf mit Rückkauf nach dem Crash würde den langfristigen Steuervorteil zunichte machen. Hier lohnt es sich, die Aktie zu halten, bis sie endgültig verkauft werden soll – und mit Zertifikaten abzusichern. Eine Strategie für Fortgeschrittene, zugegeben.

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