Riedls Dax-Radar
Quelle: imago images

Börsenkrise: Showdown um die Zinswende

Die Angst vor einem Zinsanstieg historischen Ausmaßes lässt die Weltbörsen taumeln. Wenn sich der Dax nicht bald wieder über den wichtigen Kursbereich um 15.600 Punkte rettet, sieht es düster aus für die nächsten Wochen.

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Ungewöhnlich deutlich rückt Jerome Powell die Bekämpfung der Inflation in den Mittelpunkt der amerikanischen Geldpolitik. Auf bis zu sieben Prozent ist die Teuerung in den USA mittlerweile gestiegen. Und die neuesten Daten zu Konjunktur, die einen robusten Verlauf mit einem Wachstum von ebenfalls fast sieben Prozent zeigen, signalisieren keine Entwarnung. Der Arbeitsmarkt, den die US-Notenbank besonders im Auge hat, ist angespannt. Auf den Energiemärkten gibt es zwar immer wieder kurze Rücksetzer, wie zuletzt beim Ölpreis. Dennoch liegen die Notierungen hier mit bis zu 90 Dollar je Fass (der Nordseesorte Brent) mittlerweile deutlich über den Preisspitzen der Jahre 2018 und 2021. Eine solche Konstellation macht einen Anstieg auf 100 Dollar und mehr wahrscheinlicher als eine Abkühlung in Richtung 70 Dollar. 

All das wird dazu beitragen, dass die Eindämmung der Inflation über höhere Zinsen, Rückführung von Anleihekäufen und Abbau der Fed-Bilanz auf absehbare Zeit die Leitlinie der amerikanischen Notenbank sein wird. Dass die Zinsen nicht auf ewig sinken beziehungsweise extrem niedrig bleiben könnten, wurde an den weltweiten Anleihe- und Aktienmärkten seit Monaten immer wieder gemutmaßt. Doch dass die Wende nun so abrupt und grundsätzlich ausfallen soll, wurde so nicht erwartet. 

Die Hoffnung, dass die Fed dabei angesichts der ausgelösten Turbulenzen wieder, wie so oft in den vergangenen Jahren, Rücksicht auf Anleihe- und Aktienmärkte nimmt, scheint sich dieses Mal nicht zu erfüllen. Bisher jedenfalls gibt Jerome Powell dafür keine Anzeichen. Unter Wall-Street-Börsianern wird schon gemunkelt, dass die Kurse dafür noch ein ganzes Stück tiefer gehen müssten, bevor sich die Fed womöglich dann doch wieder der Investoren erbarmt. Bis dahin gießen Short-Spekulationen auf Vorzeigeaktien wie Tesla oder Netflix und Crashprognosen renommierter Anlagestrategen wie Ray Dalio oder Jeremy Grantham Öl ins Feuer. An der Technologiebörse Nasdaq, die besonders unter Druck steht, dürften die Notierungen diesen Monat mit dem größten Januarverlust seit Jahrzehnten abschließen. 

Die Kurve der Renditen der zehnjährigen US-Staatsanleihen, in der die ganzen Sorgen und Ängste um Inflation und Zinsen zusammenkommen, haben sich dabei in den vergangenen zwei Wochen nicht einmal dramatisch verändert. Nachdem die Renditen in der ersten Januarhälfte über das alte mittelfristige Top bei 1,70 bis 1,75 Prozent gestiegen sind, pendeln sie nun zwischen 1,7 und 1,9 Prozent. Absolut betrachtet ist diese Rendite nicht einmal hoch. Sie entspricht dem Zinsniveau in der zweiten Hälfte des Jahres 2019. Damals vollzogen die Aktienmärkte, auch an der Nasdaq-Börse, eine stabile Aufwärtsbewegung.

Investoren fürchten Jahrzehnte des Zinsanstiegs

Wovor die Märkte allerdings jetzt Angst haben, ist die ungeheure Dimension, die hinter dem aktuellen Zinsanstieg stecken könnte. Denn seitdem die US-Renditen im Herbst 1981 bei fast 16 Prozent ihren Jahrhunderthöhepunkt erreicht hatten, sind sie von da aus vier Jahrzehnte Schritt für Schritt nur gesunken, bis zu den Tiefpunkten 2020, die bei 0,5 Prozent lagen. 

Diese große Zinstendenz, so die Befürchtung, könnte sich nun umkehren – und dafür gibt es eine historische Blaupause: Von Ende 1941, dem Jahr der amerikanischen Niederlage in Pearl Harbour, bis 1981, also ebenfalls vierzig Jahre lang, sind die US-Renditen tendenziell nur gestiegen. Sollte jetzt wieder ein solcher Prozess eingeleitet werden, wäre natürlich bei einem Anstieg auf zwei, drei oder vier Prozent wahrscheinlich noch lange nicht Schluss. 

Lesen Sie hier, wie Sie Ihr Aktiendepot fit für die Zinswende machen.

Die erste, vergleichsweise moderate Phase des historischen Zinsanstiegs von zwei bis auf fünf Prozent haben die Aktienmärkte dabei recht gut überstanden – vor allem dank der weltweiten Wirtschaftserholung nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch Mitte der Sechzigerjahre überschritten die Renditen dann erstmals die Fünf-Prozentmarke – und danach folgte der Jahrhundertanstieg der Zinsen bis zum Gipfel bei 16 Prozent im Jahr 1981. 

Diese Eskalation der Zinsen beendete die Aktienhausse, die ein Vierteljahrhundert gedauert hatte. Von 1966 bis 1982 sackte der Dow Jones von 8600 auf 2300 Punkte ab. Das war eine Wertvernichtung von mehr als 70 Prozent. Nach Großem Crash und Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 war das die schwerste Baisse des 20. Jahrhunderts. Die Angst vor den Folgen einer historischen Zinswende, die derzeit an den Börsen umgeht, ist also keineswegs aus der Luft gegriffen. 

Die Nervosität hat ein gefährliches Niveau erreicht 

Das wichtigste Angstbarometer an der Börse hierzulande ist der V-Dax. Dieser Volatilitätsindex basiert nicht auf einer Auswertung von Anlegerstimmungen, sondern von Preisen bestimmter Dax-Optionen, aus denen die Markterwartungen professioneller Investoren für die nächsten 30 Tage herausdestilliert werden. Mit einem Stand um 30 Punkte hat der Index ein mittleres, erhöhtes Niveau erreicht. Für die weitere Entwicklung der Börse ist das kritisch. Einerseits hat der V-Dax die sichere Zone, die in der Regel zwischen 15 und 20 Punkten liegt, verlassen; es besteht also Alarmzustand.

Andererseits ist der V-Dax aber noch deutlich von seinen Extremwerten entfernt, die zwischen 50 und 90 Punkten liegen, wie sie etwa im Coronacrash, in der Finanzkrise oder in der Hightech-Baisse 2001 bis 2003 erreicht wurden. Das bedeutet: Die Verunsicherung an der Börse ist zwar deutlich spürbar, die Stimmung ist aber noch nicht so düster, dass deshalb automatisch mit einer starken Gegenreaktion, also nachhaltigen Kurserholungen, zu rechnen wäre. 

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